piwik no script img

Jürgen Trittin zum Fall Nawalny„Vermögen einfrieren“

Grünen-Politiker Trittin fordert, Nawalnys Arbeit in Deutschland ernst zu nehmen. Immobilien korrupter russischer Politiker sollte man beschlagnahmen.

2014 in Moskau betritt der Oppositionsführer und Antikorruptionsaktivist Nawalny den Gerichtssaal Foto: Pavel Glolovkin/ap
Anna Lehmann
Interview von Anna Lehmann

taz: Herr Trittin, wie sehr belastet der Fall Nawalny die deutsch-russischen Beziehungen?

Jürgen Trittin: Jetzt ist für jeden klar: Opposition gegen das System Putin und die korrupten Machenschaften einiger Oligarchen kann lebensgefährlich sein. Spätestens jetzt muss die Außenpolitik der Großen Koalition, die Russland als strategischen Partner betrachtet, ad acta gelegt werden. Russland bleibt unser Nachbar in Europa. Aber in einem gemeinsamen Haus kann man auch nicht wegschauen, wenn in der Nachbarwohnung permanent Gewalt gegen andere ausgeübt wird.

Und was macht man mit dem renitenten Nachbarn? Rausschmeißen?

Russland wird nicht verschwinden. Man wird mit Russland weiter kooperieren müssen. Sicherheit kann es in Europa nur mit und nicht gegen Russland geben. Aber man könnte in Europa anfangen, die Arbeit von Herrn Nawalny ernst zu nehmen, das heißt seinen Kampf gegen Korruption. Auf seiner Seite gibt es ein Video über eine beeindruckende Finca in der Toscana, die Ex-Ministerpräsident Medwedjew gehören soll. Nawalny hat außerdem Berichte darüber veröffentlicht, wie der derzeitige Ministerpräsident Mischustin zu seinem Vermögen gekommen sein soll: mithilfe von Schwarzgeld, das aus Erpressung und Korruption stammt. Wenn in Europa Immobilien erworben werden mit Geld, das aus solchen Quellen stammt, müssen diese Immobilien beschlagnahmt werden. Man darf sie erst wieder freigeben, wenn nachgewiesen werden kann, dass sie mit sauberen Mitteln erworben wurden.

Sie fordern Sanktionen gegen führende Politiker:innen Russlands?

dpa
Im Interview: Jürgen Trittin

von den Grünen, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags und der Deutsch-Russischen Parlamentariergruppe.

Nein. Es geht mir darum, zu unterbinden, dass diejenigen, die in Russland der Korruption, der Erpressung und der Nötigung verdächtigt werden, ihr Vermögen in Europa waschen und in legalen Besitz umwandeln können. Diese Vermögen muss man einfrieren.

Wäre jetzt der Zeitpunkt, den Unterstützer:innen Nawalnys und der zersplitterten russischen Opposition ernsthaft den Rücken zu stärken?

Das wäre der nächste Schritt. Funktionsträger des russischen Staates dürfen visumfrei nach Europa einreisen. Für Studierende, Sportmannschaften, Kirchenchöre, also die Zivilgesellschaft, herrscht dagegen Visumzwang. Ich könnte mir vorstellen, dass man das umdreht.

Russische Politiker:innen brauchen Visa, normale Bürger:innen nicht?

Wir sollten gerade die Kontakte zur Zivilgesellschaft stärken, und das heißt, man muss ihnen den Zugang in die EU erleichtern.

Die Bundesregierung fordert volle Transparenz bei der Aufklärung der Tat gegen Nawalny. Sind Sie optimistisch, dass das passiert?

Die Forderung ist richtig, die Hoffnung, dass sie erfüllt wird, teile ich nicht. Der Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja ist bis heute nicht aufgeklärt. Selbst in den Fällen, wo Täter ermittelt wurden, bleiben die Hintergründe im Dunkeln.

Wieso hat Russland dann zugestimmt, dass Nawalny nach Deutschland überführt werden konnte? Erst hier ist doch aufgedeckt worden, dass er vergiftet wurde.

Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man im Kreml Deutschland anders einschätzt als etwa die Vereinigten Staaten. Aber Deutschland muss zusammen mit der EU eine gemeinsame Antwort auf diese Tat geben.

Ein europäisches Projekt ist die Gaspipeline Nord Stream 2. Soll der Bau gestoppt werden?

Nord Stream 2 ist eine Wette gegen die europäischen Klimaziele. Die Strategie der EU-Kommission ist es aber, die Gasversorgung zu diversifizieren. Das bedeutet, neben Herrn Putin auch auf andere Autokraten als Lieferanten zu setzen – etwa Herrn Erdoğan und den Scheich von Katar. Das ist nicht klug. Stattdessen müssen wir den Energieverbrauch in Europa senken.Wir müssen aber auch zur Kenntnis nehmen, dass die Pipeline in allen europäischen Staaten genehmigt ist. Wenn man die Genehmigung widerrufen will, dann muss man Schadenersatz zahlen.

Sie sind gegen einen Baustopp aus Kostengründen?

Ich sage nur, wenn man den Bau verbietet, muss man zahlen. So ist das mit gültigen Verträgen im Rechtsstaat. Ich wundere mich, dass manche sich immer noch so aufführen wie wir Grüne vor 30 Jahren. Da glaubte man auch, man könnte Atomkraftwerke enteignen, ohne Entschädigung zu zahlen. Es ist auch wohlfeil, sich wie Manfred Weber hinzustellen und als CSU-Vize zu sagen, die Pipeline dürfe nicht mehr gebaut werden. Dann muss die CSU diese Forderung auch in den Koalitionsausschuss einbringen und die Bundesregierung entscheidet, das Projekt zu untersagen. Das sehe ich nicht.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • So spricht ein intelligenter Politiker eines Rechtsstaats? Einfach auf die schnelle "Der Russe war's"? Ein Glück, dass die Grünen nicht den Tatort drehen, die Einschaltquoten gingen in den Keller bei der Logik.

    Ein Giftmord an Nawalny nützt Amerika viel mehr, kann man so noch härte Sanktionen erlegen und vielleicht endlich das verhasste Nordstream 2 Projekt stoppen. Oh Mann, was für eine Welt. Die Grünen haben zugestimmt, dass Frackinggas aus Amerika nach Deutschland kommen soll.

    Das mit den Giftmorden, bei denen es immer sofort der Russe war, nervt. Für wie blöd und ohne Sinn für Recht werden die Menschen eigentlich gehalten, denen man solche Geschichten auftischt?

    Eines ist offensichtlich: ein vergifteter Nawalny scheint mehr zu bewirken, als ein lebender, wenn es darum geht, Russland zu schaden.

  • Die Idee mit der Immobilienenteignung finde ich problematisch. Ein Gesetz, dass allein auf korrupte russische Politiker angewendet werden soll, nicht aber auf korrupte deutsche Politiker, oder auf korrupte Politiker aus einem mit Deutschland verbündeten Land, halte ich für diskriminierend. Wenn schon denn schon, dann müssten sämtliche korrupte Politiker enteignet werden, aber das würden die Grünen wiederum nicht wollen, man ist ja nicht populistisch sondern nur ein bisschen russophob.

  • Ich finde da braucht man garnicht hämisch über den Gartenzaun zu blicken.

    Wie wär's mal damit, vor der eigenen Haustür zu fegen ?

  • Wenn die Vermögen sämtlicher korrupten Politiker*innen aus Ländern mit Menschenrechtsverletzungen und politischen Morden eingefroren würden, hätten die Gerichte vermutlich viel zu tun. Wobei noch zu fragen wäre auf welcher Rechtsgrundlage das geschehen sollte. Eine ehrliche an Menschenrechten orientierte und nicht ausschließlich nach wirtschaftlichen Interessen ausgerichtete Außenpolitik wäre da wohl hilfreicher - gegenüber Russland und anderen Ländern weltweit.

  • " Wieso hat Russland dann zugestimmt, dass Nawalny nach Deutschland überführt werden konnte? Erst hier ist doch aufgedeckt worden, dass er vergiftet wurde.

    Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man im Kreml Deutschland anders einschätzt als etwa die Vereinigten Staaten. "



    Hat der Trittin jetzt völlig den Verstand verloren? Das ist doch keine Antwort auf die gestellte Frage.



    Da müsste doch inhaltlich was kommen.

    • @albert992:

      Auf den ersten Blick antwortet Tritten nicht auf die Frage. Aber offenbar glaubt Putin, dass Deutschland sich stärker in einer Abhängigkeit zu Russland wähnt. Man kann aber wirtschaftliche Kooperation und politische Distanzierung sehr wohl trennen. Tritons Vorschläge sind nicht schlecht.

    • @albert992:

      "'Ich glaube, das hat etwas damit zu tun, dass man im Kreml Deutschland anders einschätzt als etwa die Vereinigten Staaten.'



      ...



      Da müsste doch inhaltlich was kommen."

      Da hätte ich mir auch eine Erklärung gewünscht, was das bedeuten soll; so ist das irgendwie gar nix.

      Die Bemerkung zu Trittins Verstand hätte jetzt allerdings nicht zu sein brauchen.

  • "Nein. Es geht mir darum, zu unterbinden, dass diejenigen, die in Russland der Korruption, der Erpressung und der Nötigung verdächtigt werden, ihr Vermögen in Europa waschen und in legalen Besitz umwandeln können. Diese Vermögen muss man einfrieren."

    ... auch von Putin? Ich meine wer hat den Morde wohl angeordnet?

    • @danny schneider:

      Wieso eigentlich nur Korruption in Russland? Scheint mir ein doch ziemlich unausgegorenes Konzept...

      • 0G
        05838 (Profil gelöscht)
        @Encantado:

        Welcher Wirtschaftsbereich, inklusive des ÖD, wird in Deutschland nicht von Korruption regiert?

        Wie heißt doch der Spruch?



        Mit dem Zeigefinger auf andere......

        • @05838 (Profil gelöscht):

          meine Güte, da sind ja nun doch große Unterschiede in der Dreistigkeit und im Ausmaß der Korruption.

  • Außenpolitisch positionieren sich die Grünen rechts von der Union. Die Partei scheint von einer Russophobie durchsetzt, die auffallend der Islamophobie der AfD ähnelt.

    • 8G
      83379 (Profil gelöscht)
      @Linksman:

      Der Vergleich hinkt nicht mehr der sitzt im Rollstuhl.



      Die AFD verteufelt individuelle Muslime, die Leute denen sie Russophobie unterstellen (da zähle ich mich mal dazu) lehnen die Außenpolitik Russlands ab, nicht die Menschen. Wenn man Sanktionen gegen korrupte mordende Politiker veranlasst, dann hat das ganz genau 0 mit dem Rassismus der AFD zu tun die alle Muslime als Terroristen, Vergewaltiger, etc. abstempelt.

      Wenn sie wirklich "links" sind wie sie behaupten würden sie das begrüßen ich verstehe die positiven Gefühle die einige Linke haben für eine klerikale-homophobe-Kleptokratie mit neu-imperalistischer Agenda überhaupt nicht.

    • @Linksman:

      Abgesehen von der Tatsache, dass Russland für seine Oppositionellen eine echte Bedrohung darstellt, während die Furcht der AfD vor sämtlichen Muslimen ein aufgebauschter Popanz ist.

  • Trittins Vorbild scheinen die USA zu sein, die sich jedes Recht heraus nehmen, Sanktionen auszusprechen. Neue grüne Außenpolitik?



    Seine Antwort auf die Frage, warum Nawalny ausreisen durfte, ist geradezu peinlich.

    Deutsche Großmäuligkeit, wie sie Trittin hier darstellt, ist mir sehr suspekt. Das erinnert mich an den Transatlantiker Norbert Röttgen.

    • @Rolf B.:

      @Rolf B.: Warum Nawalny ausreisen durfte? Am ehesten deshalb, weil Wladimir Putin in der gleichen Liga spielt wie Mohammed bin Salman. Es ist ihnen völlig egal, dass jeder ihre blutige Hände sehen kann. Sie wissen, dass niemand sie zur Rechenschaft ziehen wird und beziehen Lustgewinn aus ihrer Willkür und absoluten Macht.

      • @Joe Brother i.a.:

        Wo haben Sie das denn her mit "Lustgewinn" usw.?



        Dashört sich nach Dämonisierung an, die wir uns als Deutsche nicht MEHR erlauben sollten. Da wünschte ich mir in Deutschland besseren Geschichtsunterricht, damit diese Denke erst gar nicht aufkommt.