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„Fachlich nicht völlig abwegig“

Jürgen Trittin, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hat lange gegen Atomkraft gekämpft – jetzt hat er der Ersatzreserve zugestimmt. Damit müsse die FDP sich nun zufriedengeben, sagt er

Foto: Trutschel/photothek

Jürgen Trittin, 68, ist grüner Abgeordneter und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. 1998–2005 war er Umwelt­minister.

Interview Sabine am Orde

taz: Herr Trittin, der Parteitag hat einen möglichen Streckbetrieb für zwei AKWs beschlossen – als langjähriger Kämpfer für den Atomausstieg: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?

Jürgen Trittin: Rein fachlich ist der Beitrag, den die zwei AKWs zur Regelung der Stromstabilität im Süden leisten können, ein außerordentlich bescheidener. Ich sehe darin eher ein symbolisches Signal, das sagt: Wir versichern euch, im Zweifelsfall greifen wir selbst auf diese Kapazität zu, damit es ein stabiles Netz gibt. Nach dem Motto: Wir haben heute schon Gürtel und Hosenträger an. Verglichen mit unseren Nachbarstaaten ist unsere Versorgungssicherheit exzellent. Und jetzt hängen wir uns zur Sicherheit noch ein zweites Paar Hosenträger in den Schrank.

Und: Sind Sie damit zufrieden?

Es musste ja eine Lösung geben. Diese Lösung produziert keinen neuen Atommüll und sie ist fachlich nicht völlig abwegig.

Un­ter­stüt­ze­r*in­nen des Gegenantrags befürchten, dass nun der Atomausstieg im Ganzen aufgeweicht wird. Teilen Sie diese Sorge?

Einerseits weicht er ihn auf, weil wir bei zwei Kraftwerken nicht fix beim Ausstieg am 31. 12. bleiben. Auf der anderen Seite ist in dem vorbereiten Gesetzesentwurf klar formuliert, dass die Berechtigung zum Leistungsbetrieb für deutsche AKWs am 31. 12. 22 endet. Es gibt ein Aussetzen dieses Endes für zwei Kraftwerke zur Vorhaltung einer Reserve bis zum 15.  4. 23. Dann erlischt die Berechtigung zum Leistungsbetrieb auch hier und die Betreiber beginnen mit dem Rückbau. Das ist also eine relativ sichere Regelung.

Hat der Parteitag damit Robert Habeck den Rücken gestärkt oder ihm Fesseln angelegt für weitere Verhandlungen mit der FDP?

Wir haben erst mal als Partei einen Beschluss gefasst, der fast eins zu eins der Vereinbarung der Bundesregierung mit Eon und EnBW entnommen ist. Die Betreiber werden ab dem 16. 4. 2023 unverzüglich den Rückbau der Anlangen beginnen.

Das beantwortet aber die Frage nach Habeck nicht.

Natürlich stützt ihn das, wenn das, was er erarbeitet und mit den Betreibern verhandelt hat, auch vom Parteitag gefordert wird.

Aber wie soll es jetzt zu einer Verständigung mit der FDP kommen?

Das ist relativ einfach: Die FDP kann bei dem bleiben, was sie vor mehr als zehn Jahren mit beschlossen hat, also den Atomausstieg am 31. 12. diesen Jahres. Oder sie kann das Angebot der Grünen mit den beiden Kraftwerken im Süden annehmen, um damit über den Winter zu kommen. Ein Angebot, das ja vorher in der Bundesregierung abgestimmt war.

Und wenn die FDP weder dem einen noch dem anderen zustimmt?

Wenn man sich nicht einigen kann, gilt der Koalitionsvertrag, und da ist die Lage also klar: Dann gilt der 31. 12.

Sie haben mit acht Änderungsanträgen Einfluss auf den Parteitagsbeschluss genommen: Was haben Sie damit erreicht?

Wir haben damit den Antrag des Bundesvorstands kompatibel gemacht mit der Einigung der Bundesregierung.

Unklar bleibt dabei, ob der Bundestag am Ende noch einmal zustimmen muss, bevor die AKWs als Einsatzreserve wirklich ans Netz gehen. War das nicht durchsetzbar?

Ich habe das bewusst offen formuliert. Es reicht gegebenenfalls auch, wenn der Bundestag nicht widerspricht. Als ehemaliges Regierungsmitglied rollen sich mir die Fußnägel auf, wenn man erst eine Verordnungs­ermäßigung erteilt und den Ermächtigten dann wieder kontrollieren will. Aber in so einem weitreichenden Fall sollten Regierung und Bundestag gemeinsam entscheiden.