Jürgen Gottschlich über die Freilassung von „Cumhuriyet“-Journalisten: Kein Grund zum Jubeln
Als Ahmet Şık, eine der Ikonen des türkischen Journalismus, Freitagnacht gemeinsam mit Murad Sabuncu aus dem berüchtigten Silivri-Gefängnis freigelassen wurde, sagte er zu seinen jubelnden Freunden: „Ihr solltet wütend sein, statt zu jubeln. Es gibt nichts zu feiern.“
Tatsächlich war die Freilassung des Cumhuriyet-Chefredakteurs Murat Sabuncu und des Reporters Ahmet Şık nach rund eineinhalb Jahren durchaus ein Grund zur Freude. Endlich wurde die völlig unbegründete Haft aufgehoben, endlich konnten die beiden zu ihren Familien zurückkehren und sie können auch wieder arbeiten. Das ist für die unmittelbar Betroffenen und ihr Umfeld wichtig, aber was bedeutet es für die Pressefreiheit in der Türkei insgesamt?
Nach der Freilassung von Deniz Yücel haben alle Türkeiexperten davor gewarnt, nun die inhaftierten türkischen Journalisten zu vergessen. Jetzt sind einen Monat später auch zwei der bekanntesten türkischen Journalisten auf freien Fuß gesetzt worden. Fast gleichzeitig wurden aber in einem anderen Prozess über zwanzig Journalisten, die alle bei Gülen-nahen Medien beschäftigt waren, zu teils langjährigen Haftstrafen verurteilt. Rund 100 Journalisten sitzen immer noch in Untersuchungshaft oder sind bereits verurteilt.
Gegen alle beschuldigten Journalisten, auch die, die jetzt am Wochenende freigelassen wurden, laufen die Verfahren weiter. Nach wie vor drohen hohe Haftstrafen.
Trotzdem, die ganz massive Repression, wie sie nach dem Putschversuch Mitte Juli 2016 begann, scheint etwas gelockert zu werden. Obwohl der Ausnahmezustand nicht aufgehoben wird, durften die Frauendemonstrationen am 8. März stattfinden. Es gibt so etwas wie eine neue Normalität im Ausnahmezustand. Von Pressefreiheit kann weiterhin keine Rede sein, aber die wenigen regierungskritischen Medien, die noch existieren, sind nicht mehr so stark gefährdet wie vor einem Jahr. Das ist kein Grund zu feiern, aber doch Gelegenheit, etwas durchzuatmen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen