Jubiläum der Deutschen Sporthilfe: Eine Frage der Haltung
Die Stiftung Deutsche Sporthilfe feiert den Gründungsakt ihrer Hall of Fame. Schon die ersten 40 Ruhmeskandidaten zeigen: Die Auswahl ist so diffus wie konfliktträchtig.
Karl Adam (Rudern), Cilly Aussem (Tennis), Helmut Bantz (Turnen), Franz Beckenbauer (Fußball), Heiner Brand (Handball), Johannes Braun (Leichtathletik), Rudolf Caracciola (Motorsport), Erwin Casmir (Fechten), Gottfried von Cramm (Tennis), Willi Daume (Funktionär), Wilfried Dietrich (Ringen), Hans Frömming (Trabfahren), Manfred Germar (Leichtathletik), Wolfgang Berghe von Trips (Motorsport), Rudolf Harbig (Leichtathletik), Sepp Herberger (Fußball), Gustav Jaenecke (Eishockey), Gustav Kilian (Radsport), Reiner Klimke (Reiten), Emanuel Lasker (Schach), Roland Matthes (Schwimmen), Ingrid Mickler-Becker (Leichtathletik), Rosi Mittermaier (Ski Alpin), Josef Neckermann (Reiten), Georg von Opel (Funktionär), Erich Rademacher (Schwimmen), Albert Richter (Radsport), Gustav Schäfer (Rudern), Max Schmeling (Boxen), Helmut Schön (Fußball), Carl Schuhmann (Turnen/Ringen), Alfred Schwarzmann (Turnen), Werner Seelenbinder (Ringen), Uwe Seeler (Fußball), Kurt Stöpel (Radsport), Heiner Stuhlfauth (Fußball), Fritz Thiedemann (Reiten), Fritz Walter (Fußball), Willy Weyer (Funktionär), Hans-Günter Winkler (Reiten)
Werner Seelenbinder hatte sich viel vorgenommen für die Olympischen Spiele 1936. Der international erfolgreiche Ringer wollte eine Medaille gewinnen - und er wollte ein Zeichen setzen. Er, der überzeugte Kommunist, wollte bei der Siegerehrung den vorgeschriebenen Hiltlergruß verweigern. Daraus wurde nichts. Seelenbinder belegte nur Platz vier. Doch er rang weiter, auch um jenseits der Reichsgrenzen im Auftrag der kommunistischen Untergrundbewegung internationale Kontakte zu pflegen. Sein Engagement dauerte an, bis er 1942 verhaftet wurde. 1944 wurde er zum Tode verurteilt und hingerichtet.
Seelenbinder gehört zu den 40 Sportlern, die als erste in die "Hall of Fame des deutschen Sports" der Stiftung Deutsche Sporthilfe aufgenommen worden sind. Kommenden Dienstag findet in Berlin der feierliche Gründungsakt der Ruhmeshalle im Beisein von Bundespräsident Horst Köhler statt.
Arbeiterringer Seelenbinder ist also eine jener ausgesuchten Persönlichkeiten, die "sich durch Leistung, Haltung und gesellschaftliches Engagement in besonderer Weise verdient gemacht haben", wie es in den Veröffentlichungen der Sporthilfe heißt. In der Hall of Fame befindet er sich nun in eigentümlicher Gesellschaft. Fünf deutsche Vorzeigesportler beziehungsweise Sportfunktionäre waren Mitglieder der NSDAP. Gustav Kilian, Seriensieger auf den Sechstagebahnen und später Bahnradtrainer, fuhr auf den US-Ovalen im Hakenkreuztrikot und zeigte stolz den Führergruß, auch wenn das dort niemand von ihm verlangte. Der Herrenreiter Josef Neckermann, der 2-mal olympisches Gold mit der Dressurequipe gewann, stieg seit 1933 für eine SA-Staffel in den Sattel. Basis für seinen späteren Erfolg als Versandhändler war die zwangsweise Arisierung jüdischer Unternehmen. Neckermann übernahm zu Niedrigpreisen oder umsonst Firmen jüdischer Unternehmer. Auch Rudolf Harbig, einst Weltrekordler über 400 und 800 Meter, war überzeugter Nazi, paradierte auf Reichssportfesten gerne mit seiner SA-Uniform. Weltmeistertainer Sepp Herberger war ebenso eingetragener Nazi wie der langjährige Präsident des Nationalen Olympischen Komitees Willi Daume.
Manfred Lämmer, Leiter des Instituts für Sportgeschichte an der Sporthochschule Köln, begrüßt die Idee der Stiftung zur Einrichtung einer Hall of Fame. Als Mitglied der Auswahljury weiß er, wie schwer es sein kann, sportliche Leistung, die leicht messbar ist, zusammen mit charakterlichen Eigenschaften zu bewerten. "Der Sport darf nicht mit einem strengeren Maßstab gemessen werden als andere gesellschaftliche Bereiche", fordert er und auch, dass nicht verurteilt werden dürfe, wenn ein Sportler seine Wettkämpfe im üblichen Nationaltrikot ausgetragen habe.
Dass Herberger, Daume und Neckermann zu Vorbildern taugen, davon ist nicht nur die Sporthilfe überzeugt. Alle drei sind Träger des Bundesverdienstkreuzes. Auch wenn ihre Lebensgeschichte so gar nicht zu der von Emanuel Lasker, dem Schachweltmeister, passt, der wegen seiner jüdischen Abstammung aus Deutschland fliehen musste, finden sich alle vier gemeinsam in der Ruhmeshalle des deutschen Sports.
Für Albert Richter, den Weltmeister im Bahnradsprint von 1932, stand zu Lebzeiten fest, dass es sich bei den Nazis um eine "Verbrecherbande" handelte. Bei Siegerehrungen verweigerte er regelmäßig den Führergruß. Stets hielt er zu seinem jüdischen Manager Ernst Berliner. Als er versuchte, für einen geflohenen jüdischen Kaufmann 12.000 Reichsmark - Geld, das der Verfolgte hatte zurücklassen müssen - in einem Fahrradreifen über die Schweizer Grenze zu schmuggeln, wurde er verhaftet. Kurz darauf wurde er tot in seiner Gefängniszelle aufgefunden, wahrscheinlich ermordet von der Gestapo. Nun wird er gemeinsam mit Josef Neckermann als Vorbild geehrt. "Wenn man ehrlich ist, würde man sagen, man würde gar nichts anders machen", bilanzierte der Wirtschaftswunder-Unternehmer kurz vor seinem Tod 1992 sein Leben. Nur Widerstandskämpfer auszuzeichnen werde dem Anspruch der Hall of Fame auch nicht gerecht, sagt Lämmer.
Besonders schwierig scheint der Jury, in der neben Sport- und Innenminister Wolfgang Schäuble so integre Persönlichkeiten sitzen wie Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder Ex-Siemens-Boss Heinrich von Pierer, die Einordnung des DDR-Sports. Lediglich ein Ossi-Sportler hat es in die Hall of Fame geschafft. Der 4-fache Schwimm-Olympiasieger Roland Matthes hat die meisten seiner Erfolge vor dem Jahr 1974 erschwommen, jenem Jahr, in dem der Staatsplan 14.25 in Kraft trat, mit dem das systematische Doping der Leistungskader zum Alltag des DDR-Sports wurde. Matthes wurde 7-mal DDR-Sportler des Jahres, zuletzt 1975. Sollte man seinen Namen in der Hall of Fame nicht mit einem Sternchen versehen, in dem man auf mögliche Dopingverstrickungen hinweist? Lämmer lehnt das ab. "Der bloße Verdacht" sollte kein Ausschlusskriterium sein.
Eines der ganz großen Idole des DDR-Sports ist Gustav-Adolf Schur, 9-mal wurde der Radfahrer Sportler des Jahres in der DDR. In die Hall of Fame hat er es nicht geschafft. Dass seine Vergangenheit als langjähriger Deputierter der Volkskammer und PDS-Bundestagsabgeordneter (1998-2002) den Eintritt in die Ruhmeshalle verhindert hat, kann sich Lämmer nicht vorstellen. Und überhaupt: "Er hat ja noch gute Chancen, reinzukommen." Denn jedes Jahr werden drei weitere Sportler geehrt.
Auch Frauen scheinen in der Sportwelt selten zum Vorbild zu taugen. Nur Rosi Mittermaier, Doppelolympiasiegerin im alpinen Skisport von 1976 und die Leichtathletin Ingrid Mickler-Becker, die 1986 Olympiagold im Fünfkampf und bei Olympia 1972 Gold mit der 4x100-Meter-Staffel gewann, finden sich auf der Liste der Ruhmreichen.
Lämmer geht davon aus, dass nach der Installierung der Hall of Fame das Bewusstsein für ihre historische und gesellschaftliche Bedeutung steigt, dass die öffentliche Diskussion die Funktion eines Korrektivs bei der Auswahl der Ruhmreichen einnimmt. In Zukunft jedenfalls.
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