Press-Schlag: Jubel-Design
■ Fußballfrauen kreierten neue Varianten des Torschußglücks
Zum letztenmal durften die schwedischen Fußballfrauen beim 1:1 im Viertelfinale der WM gegen China, welches sie schließlich im Elfmeterschießen verloren, das vorführen, was sie fast so eifrig wie das Toreschießen geübt hatten: ihren Jubelkreis. Wer erinnert sich nur wenige Tage später noch daran, wie die Tore zustande kamen? Welche Fotos finden die Zeitungen am nächsten Tag veröffentlichungswürdig? Richtig: nicht die Tore, sondern das, was danach kommt. Wie sich die Frauen im Kreis auf den Rasen setzen und zusammen jubelnd die Arme in die Luft werfen. Und nicht nur die Schwedinnen betraten mit ihrem Jubelkreis fußballerisches Neuland, ihre norwegischen Sportfreundinnen sind mit ihrem auf dem Boden schlängelnden „Jubelwurm“ mindestens ähnlich kreativ.
Mochten sich da auch einige publizistische Miesmacher lustig machen und den Frauen ein „Ringelspiel mit Gesang“ empfehlen – die Schwedinnen und Norwegerinnen haben die Zeichen der Zeit erkannt. Die Jubelgesten sind immer mehr zum Teil der Fußballunterhaltung geworden, Feilen am Jubel-Design zahlt sich publikumswirksam aus. Viel zu viele Bilder stürzen auf die Medienkonsumenten ein, da gilt es aufzufallen und mit unerwarteten Gesten Aufmerksamkeit einzufangen.
Die Herrenfußballer haben dies ja auch seit einiger Zeit gelernt. Tiefste Fußballsteinzeit, wo man es noch bei einem kameradschaftlichen Schulterklaps auf den Rücken des Torschützen beließ. Vorbei aber auch die großen Umarmungshaufen, die danach in Mode kamen, jedoch viel zu formlos, ungeordnet und ohne eigenes Design waren und nur noch von rückständigen Mannschaften gebraucht werden. Auch das von vielen Zuschauern als obszön empfundene gegenseitige Anspringen mit anschließender Schenkelzange wird mittlerweile nur noch relativ selten gesichtet. An was denkt der Fußballfan beim Stichwort Fußball-WM 1990? Ganz bestimmt nicht an das stinklangweilige Endspiel zwischen Deutschland und Argentinien. Aber sicher noch an das obszöne Hüftschwenken eines Roger Milla.
Und was blieb von 1994 haften? Großartige Rettungsaktionen des schwedischen Torwarts Thomas Ravelli oder sein derwischartiger Siegertanz die Tribüne entlang? Glaube niemand, das sei Ravellische Spontaneität gewesen. Dem guten Thomas hatte es ganz einfach mächtig gestunken, daß die Fernsehkameras nach einem Torschuß, ob gelungen oder nicht, immer auf den Torschützen zoomten, fast nie auf den tapferen Torwart – und war seine Rettungsaktion noch so überragend. Im Zeitalter der persönlichen Werbebudgets gilt es aufzufallen, die Kameras auf sich zu ziehen. Und was bleibt neben sportlichen Höchstleistungen da anderes als eine spektakuläre Siegergeste, der kein Kameramann und keine Fotografin widerstehen kann?
Die Fußballfrauen, darum kämpfend, ihren Sport aus dem Schatten zu führen, haben dies allemal verstanden. Bezeichnend mag sein, daß sie sich nicht in individuellen Siegesgesten geübt haben, sondern sich für eine kollektive Vorstellung entschieden haben. Und die männlichen Stärkegesten – geballte Fäuste, ins Publikum geschleuderte Symbolgeschosse – bewußt mit einer Sportgemeinschaftssymbolik ersetzten. Spätestens seit der Frauenfußball-WM sollte die Bedeutung des Jubel-Designs jedem Klubmanager klar geworden sein. Keine Elf, die auf sich hält, dürfte in Zukunft ohne sorgsam in Szene gesetzten ureigenen Siegertanz auskommen.
Arbeitslose Designstudenten können sich auf eine Zukunft als Jubel-Designer einstellen. Für die sponsernde Werbewirtschaft gilt es, neue Zusammenhänge zwischen Trikotprodukt und Siegesschrei herzustellen. Zwischen Logotyp der Warenmarke und Tanzvorstellung nach dem Torschuß. Für die Toyota bewerbende Elf dürfte die Art des Torschreis von vornherein naheliegen, und wer Aral auf dem Trikot stehen hat, könnte sich vielleicht im rhythmischen Kreislaufen mit kräftigem Schwenken des rechten Armes – Zusatzgag: ein aufblasbarer Reservekanister! – ergehen, wenn es um den passenden Jubeltanz geht.
Und die Patentämter müssen eine neue Abteilung aufmachen: für den Copyrightschutz der designgeschneiderten Torschußjubelfiguren. Wo der Unterzeichner hiermit seine obigen Designideen zum Warenmarkenschutz anmeldet. Reinhard Wolff
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