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Journalisten in Mexikos DrogenkriegVon der anderen Seite der Grenze

Wer in Mexiko über die Zusammenhänge zwischen Behörden, Militär und Drogenbossen recherchiert, ist seines Lebens nicht mehr sicher. Mexikanische Journalisten fliehen deshalb in die USA.

Die mexikanische Polizei bewacht die Beerdigung des Fotografen Carlos Santiago, der ermordet wurde. Bild: dapd

"Sie machten ihn zu Hackfleisch" steht in einer Überschrift der Sonntagsausgabe. Der dazugehörige Artikel beschreibt Hände und andere Körperteile, die einem Mordopfer in der mexikanischen Stadt Ciudad Juárez abgehackt worden sind.

Selbes Wochenende, anderer Titel: "Diabolisches Menschenopfer". Ein Foto zeigt blutige Innereien auf dem Asphalt. Der Text erklärt, dass die Täter eine Botschaft mit einem Namen hinterlassen haben: Er soll laut Artikel "der Nächste" sein.

Kostproben aus LaPolaka.com, die ihre LeserInnen täglich mit aktuellen Informationen aus dem Norden Mexikos versorgt. Im Land tobt ein Drogenkrieg, bei dem es immer mehr verschiedene Frontlinien zwischen Polizei, Armee und den konkurrierenden Drogenkartellen, den "Narcos", gibt.

Die spanischsprachige Onlinezeitung schwingt im Rhythmus der Gewalt. Sie ist ein Echo auf die Verrohung: Beinahe in Echtzeit bringt sie Verbrechen an die Öffentlichkeit. Und benutzt dabei sowohl Sprache als auch Drastik der Mörder. Zwei der häufigsten Wörter in La Polaka lauten "Auftragsmörder" und "Exekution".

Jorge Luis Aguirre hat den Onlinedienst gegründet, nachdem er zuvor bei fast allen Lokalzeitungen im Norden Mexikos als Reporter gearbeitet hatte. "Ich wollte einen anderen Stil entwickeln", sagt er, "die mexikanischen Zeitungen sind mindestens 30 Jahre zurück".

Bis November 2008 arbeitet er vom mexikanischen Bundesstaat Chihuahua aus. Dann erhält er selbst eine telefonische Morddrohung. Er ist sicher, dass sie direkt aus dem Büro des Gouverneurs kommt.

Aguirre hat über dessen Bestechlichkeit berichtet. Noch am selben Tag überquert der Reporter mit Frau und Kindern die Grenze. Das Journalistenvisum für die USA hat er bereits, ebenso ein Haus in der texanischen Grenzstadt El Paso.

"Das hier ist ein Bauernhof", sagt Aguirre knapp zwei Jahre danach über El Paso im Vergleich zu Ciudad Juárez auf der mexikanischen Seite des Flusses. In seiner Onlinezeitung berichtet er weiterhin vor allem über Ereignisse von der anderen Seite.

Doch seit November 2008 ist er aus Sicherheitsgründen nicht mehr in Mexiko gewesen. Die Frage nach seinen Quellen beantwortet er knapp: "das Radio" und "Reporter, die mich unterstützen, aber nicht genannt werden wollen".

Aus Mexiko kommt auch die Werbung, die laut Aguirre reicht, um LaPolaka.com zu finanzieren. Meist sind es Anzeigen für Bars und Restaurants, gelegentlich auch für Politiker.

Reporter Aguirre schreibt seinen Dienst allein voll, die Themen wählt er "ausschließlich lokal". Das Massaker, bei dem im August 72 Migranten ein paar hundert Kilometer weiter südlich im mexikanischen Bundesstaat Tamaulipas umkamen, hat er nicht einmal erwähnt. Zu weit weg.

Ende September, wenige Tage nachdem in Ciudad Juárez ein junger Fotoreporter ermordet worden ist und nur knapp zwei Jahre nach seiner eigenen Ankunft in den USA, erhält der 51-jährige Aguirre in El Paso politisches Asyl. Eine Premiere. Nie zuvor ist das einem Journalisten aus Mexiko gelungen. Aguirre veröffentlicht die Information unter einem Foto der New Yorker Freiheitsstatue.

Drohungen aus der Armee

Vier andere Journalisten aus Mexiko gehen einen Tag später an die Öffentlichkeit. Alle sind in die USA geflohen, um ihr Leben zu retten. Alle haben Morddrohungen erhalten - aus unterschiedlichsten Richtungen.

Die Morddrohung gegen Emilio Gutierrez Soto kam aus der mexikanischen Armee. Soto war Ende der 90er Jahre von der Zeitung El Diario als Korrespondent nach Ascensión geschickt worden. Der Wüstenort an der Grenze zu den USA ist bekannt als Umschlagplatz für Drogen und Menschen.

Die Bevölkerung ist an illegale Geschäfte gewöhnt. Aber einen Reporter, der Recherchen anstellt über illegale Glücksspiele und toxischen Industriemüll, der in der nahen Wüste gelagert werden soll, hatte es in Ascensión noch nie gegeben.

Gutierrez machte in der Lokal-Redaktion von El Diario del Noroeste alles: Er akquirierte Werbung, er fotografierte und er schrieb. Das einzige Thema, das er mied, waren die Narcos. Die sind "zu mächtig", sagt er heute, "und zu gefährlich."

Über die mexikanischen Militärs hingegen schreibt der Reporter. Unter anderem berichtet er über Bestechungsgelder, die sie an Straßensperren verlangen, und über Geld, das sie von Migranten erpressen, die auf dem Weg in die USA sind.

Erste Einschüchterungsversuche lassen nicht lange auf sich warten, erzählt Gutierrez. Politiker sagen: "Wir kennen deinen Chef." Hochrangige Militärs beschimpfen ihn als "Hurensohn".

Im Februar 2005 ruft ein Oberst der mexikanischen Armee den Reporter an und zitiert ihn zu einem Treffen. Auf offener Straße wird Gutierrez von Soldaten umzingelt. Der Chef der fünften mexikanischen Militärzone, General Alfonso García Vega, habe ihn angeschrien, erzählt der Journalist: "Wenn du noch einen einzigen solchen Artikel schreibst, ist es das Letzte, was du getan hast."

Im Mai 2008 brechen maskierte Soldaten die Türe zu seinem Haus auf und durchsuchen es. Sie hinterlassen einen Trümmerhaufen. Angeblich suchen sie nach Drogen. Aber das 75 Meter entfernte Nachbarhaus, eine bekannte Drogenverkaufsstelle, tasten sie nicht an.

Die Zeitung stellt ihm frei, Ascensión zu verlassen. Doch das bedeutet Arbeitslosigkeit. Er ist alleinerziehender Vater, muss für seinen Sohn sorgen. Mitte Juni 2008 merkt Gutierrez, dass er von "Männern mit militärischem Haarschnitt" verfolgt wird. Eine Freundin, die ein Gespräch unter Soldaten gehört hat, fleht ihn an: "Geh weg! Sie wollen dich umbringen."

Am 16. Juni 2008 flüchtet Gutierrez mit seinem 15-jährigen Sohn auf einer kleinen Landstraße in Richtung Grenze. Er hat nur seinen Presseausweis dabei - und nie geplant, auf die andere Seite zu wechseln. Ein Visum für die USA besitzt er nicht. Um es zu beantragen, müsste er zum Konsulat in Ciudad Juárez fahren. Dazu fehlt ihm die Zeit.

Außerdem gibt es auf der Strecke mehrere Straßensperren des Militärs. In Berrendo, dem kleinsten Übergang an der 3.144 Kilometer langen Grenze, fährt der Reporter bei den US-Grenzern vor. "Unser Leben ist in Gefahr. Bitte gewähren Sie uns humanitären Schutz", bittet er. Er sagt es auf Spanisch, Englisch spricht er nicht.

Der Reporter kommt sofort wegen illegalen Grenzübertritts ins Gefängnis - für sieben Monate. Erst nach dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama kommt er frei. Sein 15-jähriger Sohn bleibt ebenso lange vom Vater getrennt und sitzt selbst zwei Monate im Knast.

Seit die beiden frei sind, leben sie in einem spartanisch möblierten Häuschen in Las Cruces im Bundesstaat New Mexico. Der Junge geht zur Schule. Sein Vater versucht, Englisch zu lernen, bereitet sich auf seinen Asyltermin im Januar 2011 vor. Und verkauft zum Überleben Burritos, mexikanische Teigtaschen, auf der Straße. Doch die Konkurrenz ist groß: Täglich kommen neue Flüchtlinge aus Mexiko.

Inzwischen ist Gutierrez 47. Seit seinem 18. Lebensjahr war er Reporter. "Ich habe immer meinen Kopf hingehalten", sagt er. Doch als er Hilfe brauchte, war er allein. El Diario, die größte Zeitung im nordmexikanischen Bundesstaat Chihuahua, hat auch eine Redaktion im texanischen El Paso.

Doch dem Reporter, der zehn Jahre für das Blatt gearbeitet hat, bevor er fliehen musste, bezahlt die Zeitung nicht einmal die in Mexiko gesetzlich vorgeschriebene Entschädigung von rund 3.000 Dollar. Der Chefredakteur sagt: "Ich habe kein Geld".

Diesen September wird ein Fotograf von El Diario ermordet. Anschließend hat das Blatt mit einem offenen Brief an die Narcos reagiert, der weltweit Aufsehen erregte. "Ihr habt momentan de facto die Macht in dieser Stadt, weil die offiziellen Behörden nichts tun können, um weitere Morde an unseren Kollegen zu verhindern", heißt es darin. In dieser Lage "ist es unmöglich, weiter unsere Arbeit zu machen. Daher sagt uns, was ihr von uns als Medienhaus erwartet."

Kopfschütteln in El Paso

In El Paso schütteln mexikanische Exiljournalisten den Kopf über das Schreiben, Aguirre hat es auf LaPolaka.com nicht einmal erwähnt. Er nennt es "eine Kapitulation". Reporter Gutierrez spricht von einem "Nebelwerfer". Und vermutet, dass die Zeitung eigene Absprachen mit den Narcos verbergen will.

Er folgert das unter anderem aus einem Transparent, das am Tag nach dem Mord an dem Fotografen an einer Fußgängerbrücke in Ciudad Juárez flattert. Darauf steht eine Botschaft der Narcos an einen Polizeiinspektor: "Gib das Geld zurück, das du geraubt hast - sonst passiert dir dasselbe wie den Journalisten."

Seit Präsident Felipe Calderón in Mexiko im Dezember 2007 einen "Krieg gegen die Drogen" erklärt hat, sind mehr als 30 Journalisten ermordet worden. "In Mexiko schützt uns niemand", sagt Gutierrez. "Die Zeitungen verteidigen halbherzig ihre Toten - indem sie manchmal eine symbolische Aktion unternehmen, wenn es zu spät ist. Aber für die Lebendigen tun sie nichts."

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