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Israelische PropagandaJournalisten in Gaza und der Hamas-Vorwurf

Die IDF beschäftigt eine Einheit, die palästinensischen Journalisten Hamas-Verbindungen anlasten soll. Das will eine Recherche aufgedeckt haben.

Die Journalisten Anas al-Sharif (l) und Mohamed Qreiqeh wurden bei einem israelischen Luftangriff in Gaza getötet

Berlin taz | Was den Krieg in Gaza angeht, gibt es selbst in der israelischen Regierung ein Problembewusstsein. Ihr Problem sind aber nicht etwa die ausgehungerten und ausgebombten Palästinenser oder die verbleibenden Geiseln. Ihr Problem besteht darin, wie man der Weltöffentlichkeit einen Krieg präsentabel machen kann, den viele Völkerrechtler und Menschenrechtsorganisationen als Völkermord betrachten.

„Wir stehen vor sehr schwierigen PR-Herausforderungen, und die größte davon ist die Verlängerung des Krieges“, sagte Premierminister Benjamin Netanjahu kürzlich auf die Frage des Portals ynet. „Das Außenministerium verfügt über ein riesiges Budget in Höhe von mehreren hundert Millionen Schekel für Propagandamittel, auf die ich hier nicht näher eingehen werde, was im digitalen Zeitalter von großer Bedeutung ist.“

Zu welchem Zweck einige dieser Schekel ausgegeben werden könnten, will eine neue Recherche der israelisch-palästinensischen Zeitschrift 972+ Magazine und des Portals Local Call nachgewiesen haben. Demnach habe das israelische Militär nach dem 7. Oktober 2023 eine Spezialeinheit geschaffen, deren Aufgabe es ist, Informationen aus Gaza zu beschaffen, um das Ansehen Israels in den internationalen Medien zu verbessern.

So habe die Einheit versucht, Belege zu finden, dass die Hamas Schulen und Krankenhäuser für militärische Zwecke nutzt. Mit eben diesem Verweis hat Israel immer wieder seine völkerrechtswidrigen Angriffe auf zivile Infrastruktur begründet. Darüber hinaus sollte die Einheit Journalisten in Gaza ausfindig machen, die man als Undercover-Hamasfunktionäre darstellen könne, heißt es weiter. Die Informationen seien auch an amerikanische Geheimdienste weitergegeben worden.

Nicht Sicherheit, sondern Propaganda

Dem Bericht zufolge ging es Israel dabei nicht um Sicherheit, sondern um Propaganda. Man sei erbost gewesen, dass palästinensische Reporter Israels „Ansehen vor der Welt beschmutzten“, zitiert 972+ Mag eine Quelle.

Immer wenn die mediale Kritik an Israel anschwoll, sei die „Legitimierungs-Zelle“ beauftragt worden, Informationen zu finden, die man als Gegenpropaganda streuen konnte. „Wenn die globalen Medien darüber berichten, dass Israel unschuldige Journalisten tötet, dann wird sofort versucht, einen Journalisten zu finden, der vielleicht nicht ganz so unschuldig ist – als ob das irgendwie die Tötung der anderen 20 akzeptabel machen würde“, sagte die Quelle.

So scheint das Vorgehen auch im Fall von Anas al-Sharif gegriffen zu haben. Am 10. August tötete das israelische Militär den Al-Jazeera-Journalisten und fünf weitere Kollegen mit einem Raketenschlag in einem Zelt in Gaza-Stadt. Bereits im Oktober 2024 hatte Israel behauptet, al-Sharif sei in Wirklichkeit ein Hamas-Kommandant. Das Komitee zum Schutz von Journalisten warnte daraufhin vor seiner Tötung.

Zur Rechtfertigung hat die israelische Armee auf X Dokumente veröffentlicht: Screenshots angeblicher Dienstpläne, Trainingslisten und Gehaltsunterlagen der Hamas. Die Echtheit dieser Dokumente konnte bislang nicht verifiziert werden. Sie sollen aber zeigen, dass al-Sharif von 2013 bis 2017 Teil der Hamas war. Selbst aus ihnen geht also nicht hervor, dass al-Sharif seit dem 7. Oktober an Kampfhandlungen teilgenommen hätte.

Kein Krieg der Welt ist derzeit so gefährlich für Journalisten wie der in Gaza. Laut Reporter ohne Grenzen sind mehr als 200 von ihnen ums Leben gekommen. Insgesamt sind mindestens 61.776 Menschen gestorben, wobei die wirkliche Zahl deutlich höher liegen dürfte. Durch die israelische Belagerung entfaltet sich derzeit eine Hungersnot in Gaza, in deren Zusammenhang laut UN bereits 235 Menschen, darunter 106 Kinder, ihr Leben verloren haben.

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