Journalisten-Überprüfung: WM-Boykott provoziert Nachspiel
Im Fall der Durchleuchtung von Journalisten vor der Leichtathletik-WM fordern Grüne und Linkspartei Aufklärung von der Regierung. Veranstalter und Senat verteidigen ihr Vorgehen.
Jetzt muss Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Stellung beziehen: Sein Ministerium wollte sich bisher nicht zu den Sicherheitsüberprüfungen von Journalisten bei der Leichtathletik-WM in Berlin äußern. Jetzt wird die Behörde durch zwei parlamentarische Anfragen der Abgeordneten Petra Pau (Linke) und Hans-Christian Ströbele (Grüne) dazu gezwungen. Ströbele verlangt eine Aussage zur Rolle der Bundesregierung bei der Entscheidung zu der umfangreichen Datenuntersuchung. "Die schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu", kritisiert Ströbele, "keiner fühlt sich im Moment mit der gängigen Praxis wohl."
Ähnlich argumentiert Petra Pau. "Jeder, der überprüft wird, wird zu einem potenziellen Kriminellen", sagt Pau. Das werde auch nicht durch eine veränderte Sicherheitslage legitimiert. "Die größten Anschläge auf das Grundgesetz kommen von Sicherheitsfanatikern", sagt Pau. In ihrer Anfrage verlangt sie eine Stellungnahme zu der Frage, ob die Bundesregierung das Akkreditierungsverfahren mit der Presse-, Meinungs- und Berufsfreiheit vereinbar hält. Sie erwartet ein Umdenken für zukünftige Großereignisse. "So geht es auf jeden Fall nicht", sagt Pau.
Journalisten, die Zutritt zu den Pressekonferenzen und den Arbeitsräumen der an diesem Samstag in Berlin beginnenden Weltmeisterschaft erhalten wollen, müssen einer umfassenden Überprüfung ihrer Person zustimmen. Der Veranstalter, die Berlin Organising Committee 2009 GmbH (BOC), leitet die Daten der Journalisten an das Landeskriminalamt Berlin weiter. Dann wird überprüft, ob die Journalisten in einer der Datenbanken der Polizei - etwa in Inpol oder der Datei "Gewalttäter Sport" - gespeichert sind. Auch in den Datensammlungen der Verfassungsschutzbehörden der Länder sowie des Bundesamts für Verfassungsschutz wird nachgeschaut, bei ausländischen Journalisten auch beim Bundesnachrichtendienst.
Man muss nicht erst ausholen, Stephan Eiermann weiß sofort, um was es geht. "Sie wollen bestimmt wissen, wie das Akkreditierungsverfahren bei uns sein wird", sagt der Sprecher des Organisationskomitees (OK) für die Frauenfußball-Weltmeisterschaft 2011 in Deutschland. Es handelt sich beim OK um eine GmbH - wie auch im aktuellen Fall der Leichtathletik-WM. Deutsche Journalisten werden also 2011 nicht von der Fifa akkreditiert, sondern wieder von der Privatwirtschaft. Eiermann sagt: "Das Akkreditierungsverfahren wird nicht so sein wie bei der Fußball-WM 2006, wir sind dabei, das Procedere mit der Fifa abzustimmen, wobei ich sagen möchte, dass weder der Deutsche Fußball-Bund noch die Fifa ein Interesse daran haben, dass Journalisten überprüft werden." Angeblich stehe das Fußball-WM-OK nicht mit Sicherheitsbehörden in Kontakt, bei Nachfragen erklärt Eiermann aber: "Ich kann Ihnen dazu nichts sagen." Ende 2010 läuft der Akkreditierungsprozess für die Journalisten an. Die Fußball-WM der Frauen ist das nächste große Sportevent in Deutschland nach der Leichtathletik-WM in Berlin (15. bis 22. August).
Nachdem die taz mit dieser Überprüfung nicht einverstanden war, erhielt sie keine Akkreditierung für die WM. Die taz hatte in der vergangenen Woche erklärt, dass die Weltmeisterschaft daher boykottiert und nicht darüber berichten wird.
Bei den Journalisten, die der Überprüfung zugestimmt haben, erhält die BOC GmbH von den Behörden die Nachricht, ob etwas über die Person vorliegt oder nicht. "Wir erfahren aber nicht, was dort gespeichert ist", erklärt BOC-Sprecher Stefan Thies. "Wir bekommen nur den Hinweis, ob da etwas ist." Wenn die Überprüfung ergeben würde, dass ein Journalist bei den Behörden gespeichert ist, muss die BOC GmbH daher einen Umweg gehen. Sie würde den Journalisten auffordern, bei den Behörden einen Antrag auf Eigenauskunft zu stellen und das Ergebnis der BOC GmbH zu geben. Die entscheidet dann im Einzelfall.
Die Kontrollen seien "leider notwendig", sagt Thies. "Die Welt hat sich verändert seit dem 11. September 2001. Die Überprüfungen helfen dabei, für mehr Sicherheit zu sorgen." Das BOC wolle die Journalisten jedoch nicht generell unter Terrorverdacht stellen. "Man muss das etwas tiefer hängen", sagt Thies. "Das fängt mit Diebstahl an, es könnte auch um Drogenhandel gehen oder um Drogenmissbrauch. Auch das könnte ein Grund sein, dass jemand keine Akkreditierung erhält." Schließlich gebe es etwa im TV-Zentrum sehr viel teure Technik auf kleinem Raum. Besser also, wenn die Behörden alle Personen, die dort Zutritt haben, erst auf ihre Zuverlässigkeit prüfen.
Das gilt nicht nur für Journalisten. Auch Sportler, Trainer und freiwillige Helfer müssen durch die Sicherheitsüberprüfung und dürfen nur mit Zustimmung des BOC hinter die Kulissen. Feuerwehrleute werden als Beamte dagegen nicht überprüft. "Ein Beamter schwört bei Amtsantritt Treue dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung von Berlin", erklärt Nicola Rothermel, Sprecherin von Berlins Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Sollte ein Beamter die Verfassungstreue nicht einhalten, gibt es Disziplinarmaßnahmen. "Eine weitere Zuverlässigkeitüberprüfung ist daher nicht erforderlich." Journalist könne sich dagegen jeder nennen, weil diese Bezeichnung nicht geschützt sei. Auch eine Anstellung bei einem Medium sei nicht ausreichend. Denn: "Hauptberuflichkeit ist kein Kriterium im Sinne des Kriterienkatalogs zur Zuverlässigkeitsprüfung. Aus diesem Grunde werden auch Journalisten der Überprüfung unterzogen."
Auch Zuschauer werden nicht überprüft, schließlich kommen sie auch nicht hinter die Kulissen. Es gibt nur "die üblichen Einlasskontrollen, damit niemand Glasflaschen reinnimmt", so BOC-Sprecher Thies.
Die umfangreichen Überprüfungen der Journalisten "waren kein Alleingang des BOC", erklärt Thies. "Gemeinsam haben Landeskriminalamt, Senatsverwaltung für Inneres des Landes Berlin und und das BOC entschieden, dass so verfahren wird."
Innen- und Sportminister Wolfgang Schäuble (CDU) wollte sich gegenüber der taz nicht zum Thema äußern. "Das ist eine Frage, die zwischen dem Veranstalter und dem Land Berlin geklärt wird", meint Schäubles Sprecherin Alexandra Pietsch.
Der Veranstalter, die BOC GmbH, wurde eigens für die Weltmeisterschaft gegründet. Sie gehört dem Deutschen Leichtathletik-Verband. Die Politiker von Land und Bund sind über die Gremien der BOC GmbH aber eingebunden. Berlins Innensenator Körting etwa ist stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates. Innenminister Schäuble ist Mitglied im Local Organising Committee, einem weiteren Gremium der BOC GmbH. Berlins Regierender Bürgermeister ist dort Präsident. Auch Michael Mronz, Lebensgefährte des FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle, hat eine wichtige Rolle: Er ist im Steuerungskomitee des BOC vertreten. Mronz ist auch selbst FDP-Mitglied. Er wollte sich auf taz-Anfrage nicht äußern.
In seiner Partei regt sich jedoch auch Kritik an den Überprüfungen. Der Bundestagsabgeordnete Max Stadler sagte der taz, er habe nichts gegen Sicherheitsmaßnahmen, aber "eine Verfassungsschutzprüfung geht einen Schritt zu weit". Man müsse das "nach der Bundestagswahl ansprechen und eine Grundsatzdebatte darüber führen."
Das Bundesinnenministerium hat bisher gegenüber der taz jeden Kommentar zum Thema verweigert. Und das, obwohl Schäuble Mitglied eines Gremiums der BOC ist. "Ich kann ja verstehen, warum Sie eine Stellungnahme von Herrn Schäuble wollen, aber ich kann Ihnen dazu wirklich nichts sagen", sagt seine Sprecherin. Bei der parlamentarischen Anfrage kann sich das Innenministerium jedoch nicht weiter herauswinden - eine Antwort darauf ist vorgeschrieben.
Der Sprecher von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) verteidigt das Verfahren. Der Berliner Senat hatte die Bewerbung um die WM unterstützt und zugesichert, alle technischen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen. Derzeit rechnet das hochverschuldete Land mit Kosten in Höhe von 25 Millionen Euro. Es unterstützt auch die Überprüfungen von Journalisten. "Der Presseausweis ist sehr breit gestreut", sagt Wowereit-Sprecher Richard Meng. Zusätzliche Kontrollen brauche es vor allem dann, wenn viele Berichterstatter aus dem Ausland mit dabei seien. Schließlich gebe es keinen international einheitlichen Presseausweis, jedes Land habe da andere Gepflogenheiten. "Da muss man also eine einheitliche Regelung für alle machen. Man kann nicht nur Journalisten aus einigen Staaten kontrollieren und andere nicht." Man müsse auch berücksichtigen, dass die BOC GmbH dem Leichtathletikverband gehöre - also keinem kommerziellen Unternehmen, sondern einem demokratisch aufgebauten Verein.
Nach Ansicht des Berliner Datenschutzbeauftragten Alexander Dix ist das Verfahren dagegen nicht zulässig. "Es fehlt die Rechtsgrundlage dafür", sagt Dix-Sprecherin Anja-Maria Gardain. Die Verwaltung von Innensenator Körting sieht das anders: Die Zustimmung der Journalisten zu der Überprüfung reiche aus. Aber was ist mit denen, die nicht zustimmen? Schließlich werden die nicht auf die Presseplätze gelassen? "Sonst macht das ganze Verfahren ja auch keinen Sinn", sagt Wowereits Sprecher. Es sei "völlig üblich, dass der Veranstalter von Sportereignissen selbst entscheiden kann, wen er hereinlässt".
Der Senat vermietet also das Olympiastadion an die BOC GmbH, sichert die Finanzierung dieses Unternehmens, sitzt mit seinen Vertretern in den Gremien und liefert bei der BOC die Ergebnisse der staatlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung ab. Was dann aber damit passiert und welcher Journalist dann Zutritt erhält - dafür will man dann nicht verantwortlich sein?
Was passiert eigentlich anschließend mit den von Polizei und Verfassungsschutz übermittelten Daten? Die BOC GmbH wird zwar verpflichtet, sie nur für die Akkreditierung zu nutzen. Aber wie wird das überprüft? "Eine Kontrolle durch die Senatsverwaltung für Inneres und Sport ist nicht vorgesehen", antwortet die Behörde.
Wowereits Sprecher Meng kann die ganze Aufregung ohnehin nicht nachvollziehen. Zuverlässigkeitsüberprüfungen seien doch auch bei anderen internationalen Großveranstaltungen längst üblich. Meng: "Den Boykott der taz halte ich für eine etwas alberne PR-Aktion."
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