Journalismus und Haushalt: Dem Moloch geopfert
Eitel ist der Journalismus. Sehr eitel. Aber irgendwer muss die Bude putzen, bevor wieder neuer Dreck entstehen kann.
F riedlich ging's zu, am 23. Dezember in Berlin-Kreuzberg, die ersten Geschäfte hatten schon geschlossen, nur die Friseurläden waren noch überfüllt. Ich selbst war schon so runtergefahren, dass ich an der Ampel stehend tatsächlich spürte, wie das sonst unberührt hingenommene vorbeirasende Tatütata Schockwellen durch meinen Körper jagte: wieder ein paar Stunden Lebenszeit dem Moloch geopfert – am längsten, weil am stressfreiesten leben nicht zufällig die Mönche im Klostergarten.
Die Straßen leerten sich rapide, ein paar junge Väter mit Einkäufen hasteten noch vorbei, mit naivem Stolz im Gesicht, dass sie keine Söhne mehr sind, die nach Hause fahren, sondern nun ihren eigenen Haushalt haben, in dem sie scheitern können. Mir fiel ihre Eitelkeit vielleicht auf, weil ich ein älterer Vater in Elternzeit bin und kürzlich wieder auf eine Stelle bei Graham Greene kam, „Der stille Amerikaner“, ein Buch, in dem alles über den Journalismus gesagt wird, insbesondere, dass er als Beruf keine Berufung sein kann. Und doch, dachte ich, sind die Leute im Journalismus die eitelsten von allen in all den Berufsgruppen, in denen ich bisher unterwegs gewesen bin.
Die Eitelkeit der Bühnenleute ist wie mit einer Fußnote der Angst versehen, der Angst nicht geliebt zu werden; die Eitelkeit der künstlerisch Schreibenden ist immerhin vom Pathos des Werks geprägt, in das, zumindest früher, dürre und einsame Jahre der stillen Hingabe investiert wurden – wie anders als gnadenlos eitel sollte das schon auszuhalten sein (lesen Sie dazu etwa die Raymond-Chandler-Biographie von Frank MacShane); und sehr speziell ist die Eitelkeit der Verlage Leitenden, weil sie sich für andere aufopfern, um ihr eigenes Geschäft und Ego voranzubringen: Kürzlich traf ich einen befreundeten Verleger, der mir einen Termin bei ihm für das kommende Jahr in Aussicht stellte, dann habe er wieder Luft – dabei hatte ich weder aktiv nach einem Termin gefragt noch passiv mir einen solchen erhofft: Ich bin ja nun mal kein Schriftsteller, sondern Journalist und Haushälter.
Der Journalismus hat dabei große Ähnlichkeit mit Hausarbeit: Was heute endlich glänzt, strotzt morgen schon morgen wieder vor Dreck, das sorgfältig zubereitete Feiertagsmenü ist nach zehn Minuten weggefressen und nach 24 Stunden Fäkalie, in die Zeitung von heute wird morgen der Fisch eingewickelt, was der Funktionsweise der gängigen Algorithmen entspricht. Wer im Haushalt nicht selber ständig auf seine Leistungen hinweist und penetrant nachfragt, ob es auch schmeckt, bleibt kellnerartig unsichtbar wie im Journalismus, in dem mit einer wiederum ganz eigenen, toughen Eitelkeit der Redakteurs- und Redigatsspruch zelebriert wird: Nicht geschimpft ist genug gelobt.
Pushender Dreh
Eitel ist die Journaille, würde daraus folgen, also aus Selbsterhaltung, es gibt keinen Nachruhm – oder erinnert sich irgendwer unter 50 noch etwa an den Journalisten Johannes Groß, der in meiner Jugend eine große, reaktionäre Nummer bei der FAZ war? Nein, so verzweifelt und zynisch Journalist:innen auch versuchen, noch der menschenverachtendsten Weihnachtsbotschaft eines Provinzpolitikers den ihr Provo-Image pushenden Dreh abzugewinnen: Letztlich plappern sie immer nur nach, was andere gesagt oder verbrochen haben. Sie begleiten Protagonisten, lassen sich wochenlang von zuviel Kaffee und Angst abgestanden Atem ins Gesicht blasen, nur um den einen Moment abzubilden, wo nicht etwa ihr Beobachtungspobjekt etwas einmalig Gutes tut, sondern wo die Unterhosen fallen – und wenn sie dreckig sind, ist die Story erst richtig geil.
Journalismus ist, der Hausarbeit verglichen, als ob alles, was getan wird, nur den Krönungszweck hätte, am Ende möglichst viel Abfall entsorgen zu können; und so um Weihnachten rum sieht es, nach der Entsorgung der Überbleibsel der Geschenkorgie, ja tatsächlich ganz danach aus.
Wie der Haushalt ist der Journalismus sich selbst genug, die Reize, auch wenn sie die gleichen sind, sind jeden Morgen neu: Irgendwer hat schon wieder was im Deutschlandfunk gesagt und der Journalismus wird sich drum kümmern, so wie die Tochter schon wieder ihre dreckigen Socken nicht in die Wäschetonne geworfen hat und ich mich drum kümmere. Und der Moment, in dem die Wohnung blitzt und duftet und bereit ist, von der die Treppe hochstürmenden Meute wieder in ihren verwüstenden Besitz genommen zu werden – das, dieses kurze beglücke Aufatmen und Innehalten ist genau der reine Moment, wo ich am Redaktionscomputer den fertigen Text auf Abnahme stelle.
In seiner Grabrede auf den früh verstorbenen Schriftsteller und Journalisten Jörg Fauser hat sein Freund, der Schriftsteller Karl Günther Hufnagel, dieses Pathos des Alltäglichen, des Journalistischen einmal so gefasst: „Nichts ist geklärt. Nichts ist zu klären. Hauptsache weiter, weil es spannend und schön ist. Das nächste zeigt sich bestimmt. Das nächste ist immer nur der neue Tag.“
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