Jonas Wahmkow geht dem Gerücht nach, dass die Spree bald rückwärts fließe: Erst dann, wenn es wieder Wasserberge gibt
Sterbende Bäume, verdorrte Ernten, ausgetrocknete Flüsse, wasserlose Gemeinden, Grillverbot – kein Tag im Hitzesommer 2018 ohne Schreckensmeldung. Doch damit nicht genug, denn, so rumort es durch Berlin, die Spree fließt so langsam, dass sie bald rückwärts fließt!
Momentan mal, rückwärts fließende Flüsse? Zwar dürfte nicht nur Stand-Up-Paddlern und Partyfloß-Kapitänen aufgefallen sein, dass die Spree kein reißender Strom ist, aber ein Mindestmaß an physikalischer Konformität flussabwärts von der Quelle zur Mündung sollte selbst vom Hauptstadtfluss zu erwarten sein.
Was ist also dran? Hydrologe Eberhard Rohde klärt auf: In extremen Trockenphasen könne es dazu kommen, dass von dem wenigen Wasser, dass in den Müggelsee fließt, kaum noch etwas übrig bleibt. Grund: die hohe Verdunstung und die Entnahme zur Trinkwassergewinnung. Etwas weiter stadteinwärts übersteigen dann die Zuflüsse der gereinigten Abwässer aus den städtischen Kläranlagen den mickrigen Abfluss aus dem See. Da das Gefälle der Stadtspree bedingt durch viele Schleusen und Wehre sehr niedrig ist, entsteht so ein „Wasserberg“ in der Stadt – und das Wasser fließt zurück in den Müggelsee.
Die Algen freuen sich
Problematisch ist das, weil die Abwässer, die eigentlich flussabwärts unterwegs sein sollten, stattdessen in Berlins größtem See landen. Zwar sind die verbliebenen Phosphat- und Stickstoffreste darin nur gering, aber durch den fehlenden Abfluss konzentrieren sich Nährstoffe. Das freut die Algen, der Sauerstoffverbrauch steigt und die Wasserqualität leidet. Bedenklich sind auch die Medikamenten- und Hormonrückstände, die von den Klärwerken kaum gefiltert werden können, zumal aus dem Wasser dann wieder Trinkwasser gewonnen wird. Zuletzt trat diese Situation im ähnlich heißen Sommer 2003 auf, davor um die Jahrtausendwende, und auch in den Neunzigern lief die Spree immer mal wieder Gefahr, rückwärts zu fließen.
Droht in diesem Sommer eine Wiederholung? Thomas Frey vom Landesamt für Umwelt beruhigt: Die Abflüsse seien niedrig, aber noch nicht im kritischen Bereich. Frey verweist auf die gut gefüllten Talsperren flussaufwärts, die die Spree mit Wasser versorgen. Hilfreich waren auch die relativ starken Niederschläge in Sachsen früher im Jahr, sodass nicht zu erwarten sei, dass die Spree in diesem Jahr rückwärts fließe.
Noch mal Glück gehabt – die Spreedampfer können also weiter Touristen durch Mitte schippern, ohne auf Grund zu laufen. Auf diese Meldung müssen wir wahrscheinlich noch ein paar Jahre warten – bis zum nächsten Jahrtausendsommer.
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