piwik no script img

Jón Gnarr über sein Leben und Literatur„Schrecklich und lächerlich zugleich“

Jón Gnarr war Punk, Comedian und Bürgermeister von Reykjavík. Nun liest er in Berlin aus seinem autobiografischen Roman „Der Outlaw“.

Der Künstler als junger Mann Foto: Klett-Cotta
Jens Uthoff
Interview von Jens Uthoff

taz: Jón Gnarr, Sie sind neulich 50 geworden. Warum haben Sie die Coming-of-Age-Geschichte „Der Outlaw“ erst vor Kurzem schreiben können?

Jón Gnarr: Ich habe lange versucht, es zu vertagen – aber es war Stoff, der erzählt werden wollte. Mit dem Schreiben begann ich gegen Ende meiner Zeit als Bürgermeister von Reykjavík. Vorher hatte ich ein Alibi, nicht darüber schreiben zu müssen. Es war eine alberne Idee, zu jenem Zeitpunkt ein solches Buch zu schreiben. Ich war ein populärer Politiker, dessen Geschichte man weltweit kannte. Und ich schmiss den Politikerjob hin und schrieb ein Buch, in dem es um einen lächerlichen Teenager geht.

Es geht um die Zeit, die Sie als Jugendlicher im Internat verbracht haben. Was haben Sie aus dieser Zeit für Ihr weiteres Leben mitgenommen?

Ich habe verstanden, dass das Leben eine Aneinanderreihung von Problemen ist und ein endloses Puzzle, das man zusammensetzen muss. Und dass Gewalt ein Weg aus den Problemen heraus sein kann, aber ein schlechter Weg. Sehr effektiv, aber meist mit komplizierten Nachwehen. Und ich begriff, dass Kommunikation die vielleicht wichtigste Sache im Leben ist.

Die Kommunikation, die im Internat fehlte?

Ja. Meines Erachtens ist das ein fundamentales Problem des Erziehungssystems. Nicht dass es keine Kommunikation gäbe – aber sie funktioniert nicht, ist kaum wirksam. Aber wenn ich daran zurückdenke, wie ich damals war, so galt mein Interesse aber vor allem den Mädchen. Und wie ich sie ins Bett bekomme. Das war mein vorderstes Ziel. (lacht)

Der Autor, die Lesung

Jón Gnarr, eigentlich Jón Gunnar Kristinsson, wurde 1967 in Reykjavík geboren. Er gehört zu den frühen isländischen Punks. Berühmt wurde er als Komiker, Autor und Schauspieler. 2009 gründete er „Besti flokkurinn“ (dt. „Beste Partei“). 2010 gewann er mit dieser Partei die Wahl in Reykjavík, Gnarr wurde Oberbürgermeister. Bis zum Sommer 2014 blieb er im Amt, dann zog er sich aus der Politik zurück. „Der Outlaw“ (Klett-Cotta, Stuttgart 2017, 287 S., 20 Euro), das nun auf Deutsch erschienen ist, ist der dritte Teil einer autobiografischen Trilogie.

Lesung: 17.03., Berlin, Kulturbrauerei

Die Jungs kommen ziemlich schlecht weg bei Ihnen. Michel Houellebecq hat mal sinngemäß geschrieben, pubertierende Jungs spiegelten das ganze Elend der Menschheit wider. Hat er recht?

Sexualität ist eine treibende Kraft in so vielerlei Hinsicht. Man kann fast sagen, dass sich am Ende alles um Sex dreht. Männliche Sexualität ist etwas, das Leute in vielerlei Hinsicht fürchten. Oder sie blicken darauf herab – das ist aber nicht der richtige Weg. Stattdessen sollten wir jungen Männern beibringen, wie man Verantwortung für diese sexuellen Energien übernimmt. Als ich das Buch schrieb, habe ich viel mit den Frauen in meinem Leben über diese Themen gesprochen. Ich habe ja auch zwei Töchter – fünf Kinder insgesamt – und habe mich extrem darum gesorgt, wie sie auf den Text reagieren würden.

Wie haben sie reagiert?

Ich habe positives Feedback von ihnen bekommen; sie haben die Bedeutung verstanden, die das Buch für mich hat. Eine gute Freundin von mir, die das Werk als eine der Ersten gelesen hat, meinte, es sei wichtig, dass jemand so über männliche Sexualität schreibe. Sie sagte, sie verstehe die Männer – ihre eigenen Männer, Söhne – oft nicht; nun verstünde sie sie immerhin besser.

Es gibt sehr viele harte Erlebnisse Ihres Protagonisten; etwa, als er einen Selbstmordversuch unternimmt und als er einen epileptischen Anfall bekommt. War es für Sie belastend, über diesen Stoff zu schrei­ben?

Ja. Es war der schwierigste Teil der autobiografischen Trilogie, die ich geschrieben habe. Ich habe meinem Verleger sogar angekündigt, es nicht zu Ende schreiben zu wollen. Es geht ja auch um sehr kontroverse Dinge – zum Beispiel bekommt der Protagonist etwas von sexuellem Missbrauch an einem Mädchen im Internat mit.

Gab es denn Kontroversen um das Buch in Island?

Ja. Die Andeutungen über den Missbrauchsfall in dem Internat in den Westfjorden sind in ganz Island diskutiert worden. Leute, die dort in der Kindheit zur Schule gingen in verschiedenen Zeiträumen, haben sich auf Facebook und Indymedia darüber ausgelassen, ob diese Passagen wahr seien oder nicht. Frühere Lehrer haben mich kontaktiert. Birgitta Jónsdóttir, die Vorsitzende der Piraten, sagte in der Öffentlichkeit, ich hätte gelogen – sie war auch in dem Internat, aber nicht zur gleichen Zeit wie ich. Ich solle mich entschuldigen.

Wieso akzeptierte man Ihre Erinnerungen nicht?

Mich wunderte es, weil es nicht mein erstes Buch ist. Es ist nicht mein Stil, Dinge zu beschönigen und mich oder andere besser darzustellen, als ich bin oder sie sind. In meinem Buch­debüt habe ich über die schwierige Beziehung zu meinem Vater geschrieben. Er hatte es gelesen und wurde gefragt, wie er es finde. Er sagte: „Okay.“ Ob es wahr sei, was ich im Buch beschriebe? Er sagte: „Ja, für ihn ist es wahr. Es ist seine Version der Geschichte.“ Genau so ist es. Es war so, wie ich es zu der Zeit empfunden habe. Es ist nicht zwingend die einzig mögliche Wahrheit.

Ist Humor für Sie eine Art, mit den Härten des Lebens umzugehen?

Ich habe immer versucht, meinen Humor einzusetzen, um mit schwierigen Situationen in meinem Leben fertig zu werden. Ich bin dankbar für die Lebenserfahrungen. Es ist immer ein schmaler Grat zwischen Komödie und Tragödie – wie Carol Burnett sagte: „Comedy is tragedy – plus time.“ Einige Situationen in meinem Leben klingen schrecklich, aber zugleich sind sie lächerlich. (fängt an zu lachen)

Denken Sie gerade an die Penisoperation, die Sie beschrieben haben?

Ach, manchmal, wenn ich über all diese Dinge spreche, könnte ich weinen. Aber ich tendiere dazu, darüber Witze zu machen.

Die Band „Crass“ ist sehr wichtig für den Protagonisten Jonsi Punk. Welche Bedeutung hatte die Band für Sie?

Crass war wie eine Person für mich. Wie jemand aus meiner Familie, der sehr weise und lebenserfahren ist. Einer, dem ich zuhören konnte. Die Band half mir, durchs Leben zu kommen. Crass wurde zur Obsession für mich, es wurde Teil meiner Identität, als ich danach am Verzweifeltsten gesucht habe. Ich wollte nicht einfach ein Freak sein. Ein Freak ja, aber dann auch bitte ein Crass-Punk.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!