: John betrügt Ann
■ Der vierte Tag / „Sex, Lies and Videotapes“ von Steven Soderbergh / Sie ist noch naß vom Duschen
Ann und John besitzen ein hübsches, geschmackvoll eingerichtetes Eigenheim. John ist Rechtsanwalt, Ann Hausfrau. Sie hat nicht viel zu tun. Einmal sieht man in zwei, drei kurzen Einstellungen, wie sie mit stiller Hingabe die Armaturen im Bad wienert. Ein andernmal verläßt sie das Bad in ihrem Morgenmantel und geht durchs Wohnzimmer. Sie ist noch naß vom Duschen, ihre Füße hinterlassen auf dem mattglänzenden Parkett ein paar Wasserlachen. Man kann solche Momente kaum beschreiben. Greift man sie heraus, gibt man ihnen genau die Symbolschwere, die der Film selbst schamhaft vermeidet.
Das ist kaum zu glauben, wenn man bedenkt, wie konstruiert die Fabel ist. Irgendeine Stadt in den USA. John ist ein Yuppie und in jeder Hinsicht aktiv, seine Frau Ann ist in jeder Hinsicht passiv und kühl, wenn nicht frigide. John betrügt Ann mit ihrer Schwester Cynthia, Künstlerin, warm und sinnlich.
Hinzu kommt der beziehungslose Grahm. Er zieht es vor, mit den Frauen zu reden und macht mit ihnen Videos, in denen er sie mit letzter Genauigkeit über ihre sexuellen Vorlieben und Praktiken ausfragt.
Ein Beziehungsviereck, dessen Seitenlinien und Diagonalen systematisch vermessen werden und das am Ende aus innerer Spannung birst und sich neu konstelliert. Aber diese Konstruktion ist nach innen gewendet und als Halt so diskret wie der Eischnee in einer Mousse au Chocolat. Darum vielleicht kann der Film so unbeschwert sein Fest der schwer beschreiblichen Momente und der flüchtigen, darum aber desto schärferen Blicke feiern, und die Akteure können ganz in sich gehen, um für uns in ihren leisesten Regungen und grausamsten Lügen durchsichtig zu werden.
Der Regisseur und Autor des Films heißt Steven Soderbergh, ist 26 Jahre alt und völlig unbekannt. Sex, Lies und Videotapes ist sein erster Film. Produziert wurde er mit unabhängigem Geld. Daß er in den Wettbewerb aufgenommen wurde, hatte vor der Premiere manches Raunen ausgelöst. Nun kann man sich nur noch wundern, daß es Filme gibt, die damit in Konkurrenz zu treten wagen.
Morgen mehr über den richtigen Gebrauch des Zippo -Feuerzeugs und Jim Jarmuschs ersten Farbfilm.
Thierry Chervel
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