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Johanne Modder über Macht und Aufstieg„Von allein kommt nichts“

Niedersachsens SPD-Landtagsfraktionschefin reflektiert darüber, wie sich Geschlecht und soziale Herkunft auf die Karriere auswirken

Stellt Männer in den Schatten: Johanne Modder, hier als frisch gewählte SPD-Fraktionschefin im Januar 2013 im niedersächsischen Landtag in Hannover Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Interview von Andreas Wyputta

taz: Frau Modder, Sie sind eine der mächtigsten SozialdemokratInnen im Norden. Wie wird frau das?

Johanne Modder: Das ist nicht planbar. Ich bin nicht irgendwann morgens aufgestanden und habe gedacht, jetzt werde ich mal Politikerin. Aber ich glaube, dass ich mir meinen Platz in der Politik hart erarbeitet habe. Das wird einem nicht geschenkt.

Sie sind Vorsitzende der SPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag in Hannover – und nebenbei auch Fraktionschefin in Ihrem Heimatort Bunde. Dort amtieren Sie auch als stellvertretende Bürgermeisterin. Außerdem sitzen Sie im Kreistag in Leer, sind Vorsitzende des SPD-Bezirks Weser-Ems und Vize-Landesparteichefin. Ist das nicht alles wahnsinnig anstrengend?

Nötig ist jedenfalls eine sehr straffe Terminplanung. Mir ist ganz wichtig, auch in der Kommunalpolitik verwurzelt zu bleiben. Nur so verliere ich die Erdung nicht – und sehe, wie die Sachen, die wir in Hannover beschließen, auf Gemeinde- und Kreisebene ankommen. Ich bin auch deshalb gerne Kommunalpolitikerin, weil ich dadurch den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern nicht verliere.

Im Interview: Johanne Modder

56, wurde 1960 in Bunderhee, einem Ortsteil der Gemeinde Bunde im ostfriesischen Rheiderland, geboren. Dort hat sie von 1979 bis 1985 als Verwaltungsangestellte gearbeitet. Danach pflegte sie ihre Mutter und ihre krebskranke Schwester. Sie ist Mutter einer 1986 geborenen Tochter, ihr Sohn kam zwei Jahre später zur Welt. Modder ist seit 31 Jahren Mitglied der SPD.

Das evangelisch geprägte, teils in den Niederlanden, teils in der Bundesrepublik liegende Rheiderland südlich von Leer gilt auf seiner deutschen Seite als typische Hochburg der Sozialdemokraten – im Gegensatz zum angrenzenden katholischen Emsland. Bis weit ins 20. Jahrhundert prägten harte soziale Gegensätze zwischen Grundbesitzern und Landarbeitern den Landstrich am Dollart.

Im 19. Jahrhundert wurde mittellosen Ausreisewilligen sogar die Überfahrt in Richtung USA bezahlt, um die Armenkassen dauerhaft zu entlasten. Heute sind das VW-Werk in Emden (knapp 10.000 Arbeitsplätze) und die für ihre Kreuzfahrtschiffe bekannte Meyer-Werft in Papenburg (etwa 3.300 Jobs) die größten Arbeitgeber in der umliegenden Region.

Leicht kann der Weg an die Spitze der Landtagsfraktion nicht gewesen sein: Außer Ihnen gibt es in den 16 Bundesländern nur noch eine weitere SPD-Landtagsfraktionschefin – Katja Pähle in Sachsen-Anhalt. Warum?

Für Frauen ist es offenbar noch immer schwierig, sich durchzusetzen. Ich bin jedenfalls stolz darauf, die erste Frau an der Spitze der SPD im niedersächsischen Landtag zu sein – das hat es vorher nicht gegeben. Ich komme aus einfachen Verhältnissen und habe von meiner Mutter gelernt, dass nichts von allein kommt. Wenn ich eine Aufgabe übernehme, versuche ich, sie zu 100 Prozent zu erfüllen. Als ich 2003 in den niedersächsischen Landtag einzog, war ich froh und glücklich. Wenn meine Mutter das hätte erleben können, hätte sie wahrscheinlich gesagt: Kind, was machst du da? Sie hätte sicher kaum für möglich gehalten, dass eines ihrer Kinder irgendwann als Abgeordnete in einem Parlament sitzt.

Auch der Chef der SPD-Bundestagsfraktion ist ein Mann. Gibt es bei den Sozialdemokraten nicht doch die viel beschworene „gläserne Decke“, die Frauen daran hindert, in wirkliche Spitzenpositionen vorzurücken?

Wir haben hier im Kabinett in Niedersachsen, auch auf Staatssekretärsebene, ganz viele Frauen. Aber: Letztendlich überzeugt jede einzelne durch ihre Persönlichkeit und ihre Arbeit. Allerdings gibt es ein frauentypisches Problem …

Welches?

Wir Frauen hinterfragen uns vielleicht viel zu sehr, viel zu oft. Davon bin ich auch selbst nicht frei. Uns wäre sicher in dieser Welt vieles erspart geblieben, wenn Männer sich auch hin und wieder mal mehr hinterfragen würden.

Gerhard Schröder, Kanzler aus Hannover, hat Frauen- und Gleichstellungspolitik mal als …

… Gedöns!

… ja, Gedöns, bezeichnet. Hat Sie das geärgert?

Sehr! Das war eine Abwertung unserer Arbeit für wirkliche Gleichberechtigung. Wir müssen auch heute, 2017, kurz nach dem Internationalen Frauentag, verstehen, dass wir noch längst nicht da sind, wo wir hinwollen. In der Politik sind wir gut unterwegs: Wir haben viele Bundesministerinnen, wir haben eine Bundeskanzlerin. Jetzt müssen wir dafür sorgen, dass Frauen auch in großen Wirtschaftsunternehmen verstärkt in Spitzenpositionen aufrücken.

In Ihrer eigenen Fraktion sind von 49 Abgeordneten aber nur 16 Frauen. Wieso?

Auch heute machen sich Frauen mehr Gedanken über die Vereinbarkeit von Kindern, Familie und politischer Arbeit als Männer. Und tatsächlich fragen sich Frauen stärker: Kann ich das? Und will ich das überhaupt?

Wie kommen Sie darauf?

Wenn Sie sich etwa die Arbeit einer Fraktionsvorsitzenden anschauen: Natürlich habe ich viele Abend- und Wochenendtermine. Da kann man sich ganz persönlich fragen: Will ich dieses Leben so führen? Und da werden sicherlich einige Frauen sagen: Nein, das möchte ich persönlich nicht. Ich hoffe aber, dass meine Arbeit an der Spitze der SPD-Landtagsfraktion anderen Frauen Mut macht, den Weg in die Politik zu gehen. Denn für mich war immer klar: Wenn du etwas verändern willst, dann musst du dich auch einbringen.

Wenn Sie ihre wöchentliche Arbeitszeit zusammenrechnen: Sind es 80 Stunden – oder mehr?

Manchmal mehr, manchmal weniger. Ich will mich aber nicht beklagen. Ich habe mich sehr bewusst, auch in Absprache mit meiner Familie, für diesen Weg entschieden. Ich bin dankbar, dass ich dabei so viel Unterstützung erfahre. Meiner Familie und auch der Partei.

War Ihr Mann eigentlich manchmal neidisch auf Ihre Karriere?

Nein, nie. Mein Mann hat mich immer unterstützt – etwa bei der Pflege meiner Mutter, die ich bis zum Tod begleitet habe, obwohl ich bereits begonnen hatte, mich vor Ort zu engagieren. Meine politische Arbeit habe ich nur leisten können, weil ich die Rückendeckung meines Mannes und meiner beiden Kinder hatte.

Sie stammen aus einer kinderreichen Familie aus Bunderhee, das liegt südlich von Leer an der Grenze zu den Niederlanden. Einfache Verhältnisse, haben Sie selbst gesagt. Hat Sie das geprägt?

Ja. Viel Geld hatten wir wirklich nicht. Meine Mutter hat mir und meinen sechs Geschwistern einen Satz mitgegeben, der mich wirklich sehr geprägt hat: Vergesst nie, wo ihr herkommt! Als zweitjüngstes Kind habe ich in meiner Familie lernen müssen, mich auch durchzusetzen. Gleichzeitig hat meine Mutter versucht, uns den Wert von Bildung zu vermitteln: Lernt, lernt, lernt, hat sie immer gesagt – und bei jeder Gelegenheit mit uns geübt. Deshalb ist mir auch Bildungsgerechtigkeit so wichtig, deshalb kämpfe ich mit so viel Elan etwa für beitragsfreie Kitas.

Und wie sind Sie in Kontakt zur Politik gekommen?

Ich habe eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten gemacht. Meine Mutter hätte mich auch zum Gymnasium geschickt, aber dafür war das Geld eben nicht da. Ich habe dann die Pflege meiner schwerkranken Mutter übernommen. Und nach ihrem Tod stand irgendwann der Bürgermeister meines Heimatortes Bunde vor der Tür und sagte: Hanne, das kann’s noch nicht gewesen sein! Willst du nicht in die Kommunalpolitik? Das war der Beginn. Später dann habe ich im Wahlkreisbüro des SPD-Landtagsabgeordneten Helmut Collmann gearbeitet. Und als er für sich entschieden hat, nicht mehr für den Landtag kandidieren zu wollen, ist die Partei an mich herangetreten und hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte, als Landtagskandidatin anzutreten. Ich habe mich bei der ersten Nominierung zur Wahl 2003 dann gegen zwei Männer durchgesetzt und meinen Wahlkreis seitdem immer direkt gewonnen.

Mittlerweile sind Sie selbst Großmutter. Glauben Sie, dass Ihre beiden Enkeltöchter die gleichen Chancen haben wie Ihr Enkelsohn?

Wie die ganze SPD arbeite ich für Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Meine Enkelkinder zeigen mir, dass es richtig ist, sich politisch zu engagieren. Die SPD ist die richtige Partei dafür, weil Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sich dafür seit mehr als 150 Jahren erfolgreich engagieren. Und ich wünsche mir, dass meine Enkelkinder als Erwachsene vielleicht sagen: Dafür, dass es gerecht zugeht, hat auch meine Oma gestritten.

Mindert die soziale Herkunft die Zukunftschancen von Kindern aus bildungsfernen Schichten nicht wieder viel stärker als die Frage, ob sie männlich oder weiblich sind?

Natürlich hat die soziale Herkunft, der Zugang zu Bildung eine Bedeutung. Aber die Herkunft bedingt nicht zwingend Bildungsferne. Das hat nicht unbedingt etwas mit dem Beruf der Eltern zu tun. Wie gesagt, die Lebensverhältnisse in meiner Kindheit waren einfach. Trotzdem war es das größte Ziel meiner Mutter, dass aus allen ihren Kindern etwas wird. Das ist ihr gelungen. Denn sie hat uns den Wert von Bildung vermittelt. Dafür bin ich ihr bis heute dankbar.

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