Johanna Roth über den französischen Wahlkampf: Good-Cop-Populismus
Die Altlinken, sie können es noch. Am Dienstagabend jedenfalls ging einer von ihnen als klarer Sieger aus der großen Fernsehdebatte vor der französischen Präsidentenwahl hervor. Jean-Luc Mélenchon, Vorsitzender des sozialistischen Parti de Gauche, wetterte nach allen Seiten und riss die Debatte dermaßen an sich, dass der Linksliberale Emmanuel Macron nur noch wie ein verstörtes Kaninchen dreinschauen konnte.
Auch Mélenchon bedient sich des Narrativs, dass das französische Volk beschützt werden müsse. Mit der Aussicht, gegebenenfalls das Vertragspaket EU wieder aufzuschnüren, nimmt er der Europafeindin Marine Le Pen den Schwung. Macron rudert tapfer gegen beide, aber sein Problem ist nun einmal, dass in jedem zweiten Satz „Europa“ vorkommt, flankiert von „Aufschwung“ und „Fortschritt“. Und womöglich hat er jetzt den Punkt erreicht, an dem das in den Ohren der Wähler nur noch Rauschen erzeugt.
Dass Mélenchon sich profilieren konnte, indem er den Good Cop des Linkspopulismus neben der Rechtspopulistin Marine Le Pen gab, zeigt auch das größte Defizit des Formats „Grand débat“: Es hilft bevorzugt denjenigen, deren Talent im Polarisieren und Überspitzen liegt – also dem Gegenteil von Macrons immer etwas streberhaftem Pragmatismus. Ironischerweise sprach dieser in der Debatte viel vom „Vereinfachen“ – nur meinte er nicht politische Zusammenhänge, sondern Investitionen. Klar, dass Mélenchon daneben mit eloquentem Poltern gegen „Madame Merkels“ Austeritätspolitik besser punkten konnte.
Im Wahlkampf jedenfalls ist jetzt wieder alles noch viel offener als ohnehin schon. Macron wird sich überlegen müssen, wie er künftig auftreten kann, wenn er verhindern will, dass Mélenchon ihn tatsächlich überholt. Denn der hat sich ganz offensichtlich genau das fest vorgenommen. Schon prophezeien erste Stimmen eine Stichwahl zwischen Mélenchon und Le Pen. Das wäre, wie diese Debatte, ein Scheitern der linken Mitte.
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