Johanna Roth über den Fall Petra Hinz: Durchschaubarer Alarmismus
Der Wahlkampf hat noch nicht begonnen – und schon fangen sie an, die durchsichtigen Manöver. Die Essener SPD setzt Petra Hinz ein 48-Stunden-Ultimatum, ihr Bundestagsmandat niederzulegen. Und auch wenn das keiner offen sagt: Am liebsten wäre es wohl allen, wenn sie auch gleich die Partei verließe.
„Schweres parteischädigendes Verhalten“ wirft Thomas Kutschaty, NRW-Justizminister und Essener SPD-Chef, seiner Noch-Genossin vor. Klar: Eine Abgeordnete, die über Jahrzehnte falsche Tatsachen vortäuschte, trägt nicht eben zur Glaubwürdigkeit einer Volkspartei bei. Aber, erstens: Die Formulierung „schweres parteischädigendes Verhalten“ wurde in der SPD so noch nie verwendet, weder im Fall Sarrazin noch im Fall Edathy. Im Fall Hinz wirkt sie daher umso übertriebener.
Und zweitens ließ man in der Essener SPD dieser Tage durchblicken, dass ein bisschen Kosmetik am Lebenslauf so ziemlich jeder betrieben habe. „Viele aus meiner Juso-Generation haben nie ihr Studium beendet“, wird die Landtagsabgeordnete Britta Altenkamp in der Zeit zitiert. Sie selbst machte auf ihrer Homepage lange Zeit nicht kenntlich, dass sie die Uni ohne Abschluss verlassen hatte. Und welche Konsequenzen hat das, bitteschön? Von Hinz’Biografieschwindel will jedenfalls niemand gewusst haben. Ebenso unauffällig soll nun ihre Person aus dem Parteikontext verschwinden. Kutschaty schwurbelt allzu durchschaubar, entsprechende Sanktionen überlasse man der Schiedskommission: „Da haben wir bewusst keine Vorgaben gemacht.“
Sicher: Hinz hat sich falsch verhalten und tut es noch, indem sie ihren angekündigten Rücktritt aus dem Bundestag nicht vollzieht. Wenn die SPD es aber nicht einmal in zwei Anläufen schafft, den geifernden Rassentheoretiker Thilo Sarrazin auszuschließen, sollte eine Hochstaplerin, die letztlich vor allem Mitleid verdient, erst recht ihr Parteibuch behalten dürfen.
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