Jörg Roßkopf fordert Tischtennis im Live-TV: "Ein WM-Titel würde auch nicht helfen"
Bundestrainer Jörg Roßkopf beklagt, dass auch der jüngste EM-Sieg von Timo Boll kaum wahrgenommen wird. Für die WM in Dortmund fordert er eine stetige TV-Präsenz.
taz: Herr Roßkopf, sind Sie sauer auf Dimitrij Ovtcharov und Bastian Steger?
Jörg Roßkopf: Weil sie nicht auch ins Halbfinale kamen? Dimitrij und Bastian hatten sich im Viertelfinale mehr ausgerechnet gegen Bojan Tokic und Aleksandar Karakasevic. Ihr Aus war schon bitter, da beide phasenweise führten. Aber es läuft eben nicht immer optimal, die Gegner spielten stark. Mit zwei Halbfinalteilnehmern und dem erneuten rein deutschen Endspiel zwischen Timo Boll und Patrick Baum bin ich zufrieden.
Vor allem der Weltranglisten-13. Ovtcharov schien nervlich nicht auf der Höhe zu sein: Im Teamwettbewerb fiel er vor dem Halbfinale aus, weil ihm übel war. Im Viertelfinale gegen Tokic hatte er offenbar auch mit seinen Nerven zu kämpfen.
Nö, das lag nicht an den Nerven. Ich sehe das weniger dramatisch. Schließlich holte Ovtcharov noch einen 1:3-Satzrückstand auf und lag im siebten Durchgang mit 5:2 vorne. Tokic gehört zu der Trainingsgruppe bei Borussia Düsseldorf und kennt die deutschen Spieler entsprechend. Mit vier Viertelfinalteilnehmern dürfen wir zufrieden sein.
Steger versemmelte im wichtigen dritten Satz eine 9:3-Führung gegen Karakasevic.
Den entscheidenden Satzverlust muss ich mir selbst ankreiden! Als "Kara" in Fahrt kam und aufholte, hätte ich die Auszeit nehmen müssen, um seinen Spielfluss zu brechen. Das habe ich verpasst und das war ein Fehler.
Der 42-Jährige ist seit Ende 2009 Tischtennis-Bundestrainer. Vergangenes Jahr war er gar noch als Profi aktiv. In der Weltrangliste drang der Linkshänder in den 90er Jahren bis auf Position vier vor. Sein größter Erfolg: die Goldmedaille bei der WM 1989 im Doppel in Dortmund an der Seite von Steffen Fetzner.
Dafür können Sie sich auf Boll verlassen, der im Endspiel wie im Vorjahr den überzeugenden Baum schlug. Wie viele EM-Titel trauen Sie dem 30-Jährigen nach dem 15. zu? Insgesamt 25 - oder kann jemand bald seine Dominanz in Europa brechen?
Das hängt von seiner Motivation ab, wie oft er noch da mitspielen möchte. EM-Siege zählen sicher nicht mehr zu seinen großen Zielen. Im Team wie im Einzel spielte er jeweils anfangs nicht so gut. Timo steigerte sich aber bis ins Finale gegen Schweden und ab dem Einzel-Viertelfinale.
Ein Timo Boll allein wird bei der Mannschafts-WM in Dortmund im April gegen die Chinesen nicht reichen.
Sicher müssen sich meine Jungs hinter Timo steigern. Ich hoffe natürlich auf ein Traumfinale gegen China. Aber während die sicher im Endspiel stehen werden, müssen wir erst Japan, Südkorea oder Hongkong ausschalten. Ich weiß nicht, was dann alles zusammenkommen müsste, damit wir das Finale gewinnen - aber wenn wir ins Endspiel kämen, wäre ich bestimmt nicht mehr allein damit zufrieden!
Deutschland kann im Tischtennis so oft gewinnen, wie es will: Es wird nicht im Fernsehen gezeigt, wie Sie während der EM beklagten. Diesmal war nicht einmal Eurosport in Danzig vertreten. Fans konnten nur im Internet einzelne Spiele bei Laola1.TV verfolgen.
Ich finde es schade, dass so guter Sport nicht im Fernsehen gezeigt wird! In Deutschland spielen viele Kinder Tischtennis, und wir haben eine Vorbildfunktion. Die Schüler müssen weg vom Computer, hin zum Sport. Ich machte schon bei Aktionen an der Schule meiner zwei Töchter mit. Den Kindern bis zur vierten Klasse fehlte meist die Feinkoordination. Joachim Löw macht zweifelsohne eine tolle Arbeit. Ich schaue genauso gerne Fußball - aber es gibt tolle andere Sportarten, in denen wir erfolgreich sind. Egal ob Volley-, Basket-, Handball oder wir. Es wird nicht zu viel Fußball gezeigt, sondern zu wenig anderer Sport.
Was spricht für ihre Sportart?
Tischtennis hat mit Timo Boll ein Riesenvorbild. Bei der WM in Dortmund muss es Ziel sein, dass jedes unserer Spiele übertragen wird. Ein paar Highlights in der "Sportschau", im "Aktuellen Sportstudio" oder auf Sport1 reichen nicht.
Muss also der WM-Titel in Dortmund her, um der TV-Diaspora entfliehen zu können?
Da habe ich wenig Hoffnung: Sowohl was den WM-Titel anlangt als auch die Aussicht, dadurch im Fernsehen einen Boom wie Steffen und ich anno 1989 auszulösen.
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