Joe Jackson über den Sound von Berlin: "Techno und rumänische Blasmusik"
Zwei Jahrzehnte lebte und musizierte der Brite Joe Jackson in New York. Dann hatte er die Schnauze und zog nach Berlin. Denn hier sei das Leben viel menschlicher.
taz: Herr Jackson, auf der Rückseite ihrer neuen CD "Rain" ist ein Foto, auf dem Sie vor einem Imbiss in Kreuzberg sitzen, direkt unter der Hochbahn. Ist der gut, der Imbiss?
Der Musiker: Der Sänger, Pianist und Songschreiber wurde 1954 im englischen Burton upon Trent als David Ian Jackson geboren. Heute lebt er vornehmlich in Kreuzberg, besitzt aber noch eine Wohnung in New York.
Die Musik: Jackson war in den 80ern ein Aushängeschild der britischen New Wave, entdeckte dann in Amerika Cole Porter und den Swing, adaptierte später Südamerikanisches, komponierte Klassisches und Filmsoundtracks, schrieb ein autobiografisch gefärbtes Buch über Musik.
Diskografie: "Look Sharp!" (1979), "Im the Man" (1979), "Beat Crazy" (1980), "Jumpin Jive" (1981), "Night and Day" (1982), "Body and Soul" (1984), "Big World" (1986), "Will Power" (1987), "Blaze of Glory" (1989), "Laughter & Lust" (1991), "Night Music" (1994), "Heaven and Hell" (1997), "Symphony No. 1" (1999), "Night and Day II" (2000), "Volume 4" (2003)
Neues Album: "Rain" wurde im Haus des DDR-Rundfunks an der Nalepastraße eingespielt und erscheint am 1. Februar. Jackson kehrt zu seinen Wurzeln zurück, stellt sein Klavierspiel und seine schneidende Stimme in den Mittelpunkt.
Der Raucher: Sein Pamphlet "Smoke Lies, and the Nanny State" gegen Rauchverbote steht unter: www.joejackson.com/smoking.php
Joe Jackson: Keine Ahnung. Ich esse da nicht. Ich benutze regelmäßig die U-Bahn-Station, aber ich bin noch nie auf die Idee gekommen, da mein Abendessen einzunehmen.
Sie wissen also nicht, ob Currywurst da was taugt?
Ich esse überhaupt kein Fleisch. Ich esse allerdings Fisch, also wenn die eine Curryfischwurst hätten, dann würde ich die mal probieren.
Sie sind Vegetarier?
Erzählen Sie das bloß nicht weiter. Ich hasse das Wort Vegetarier. Ich glaube nicht an das, was ideologisch alles damit verbunden ist.
Wenn also nicht wegen Currywurst und Döner, warum sind Sie dann nach Berlin gezogen?
Es gibt ja auch eine Menge Kneipen. Aber es ist ziemlich einfach: Ich habe New York verlassen und versucht, wieder in England zu leben, aber das ging nicht, war viel zu deprimierend.
Was war denn so deprimierend?
Zu teuer, zu stressig, man wird ständig überwacht und reglementiert. Jedes Mal, wenn man sich umdreht, guckt man in eine Überwachungskamera. Und es ist amerikanisiert, so dass es eh fast schon dasselbe ist wie in New York zu leben. In London herrscht eine ziemlich bösartige Atmosphäre. Aber ich will nicht so viel jammern, sonst heißt es wieder: Ach, Joe Jackson, der ist immer so verdammt negativ.
Aber warum Berlin?
Ich kannte Berlin, ich hatte ein paar Freunde hier, und es schien mir eine nette Abwechslung zu sein. Berlin ist viel angenehmer als London. Für eine so große Stadt ist die Stimmung sehr entspannt. Viel menschlicher als London oder New York
und viel billiger?
Definitiv. Aber das wird sich ändern. Berlin wird wie London werden, das ist unausweichlich.
Wie ist Ihr Deutsch?
Ich versuche es zu lernen. (auf Deutsch:) Abär ös ist schwär. Weil alläs möchten Englisch sprächen. I would say: Guten Tag - and they all answer me in English.
Tatsächlich?
Ja, ich muss nur einen einzigen Satz auf Deutsch sagen, und sofort reden die Leute Englisch mit mir. Und nicht nur da, wo man es erwarten würde.
Sondern auch beim Bäcker?
Ja, genau. Ist mir erst kürzlich passiert. Ich sagte: Ein Brötchen mit Käse bitte. Und die Frau antwortete: Its three Euros.
Hat bei der Entscheidung für Berlin die musikalische Tradition der Stadt eine Rolle gespielt, etwa dass Berlin die Stadt des Techno ist?
Nein, gar nicht, das ist ja auch gar nicht meine Szene. Ich glaube sowieso, dass der Ort, an dem ich lebe, keinen Einfluss auf meine Musik hat. Um ehrlich zu sein: Meine neue Platte "Rain" hätte auch nicht anders geklungen, wenn wir es sonstwo aufgenommen hätten.
Das war mal anders. Ihr großer Erfolg "Night & Day" war ausdrücklich eine Platte, die von New York handelte.
Ja, das stimmt. Für dieses Album und für "Night & Day II" ebenfalls habe ich ganz bewusst Songs mit New Yorker Figuren geschrieben. Das waren aber auch Ausnahmen, diese beiden Platten, die von einem Ort erzählten.
Wenn "Rain" nicht von Berlin erzählt, dann vielleicht das nächste Album?
Ich habe keine Ahnung. Ich weiß ja nicht mal, ob es ein neues Album geben wird. Der ganze Prozess ist voller Geheimnisse. Zum Beispiel "Low" von David Bowie, wann kam das raus? 1976?
Das war der erste Teil der sogenannten Berlin-Trilogie von Bowie.
Ja, aber wenn man das jemanden vorgespielt und ihm gesagt hätte, das wäre in Tokio aufgenommen, dann hätte er gesagt: Stimmt, das klingt ziemlich japanisch.
Was wäre heute der Sound von Berlin?
Keine Ahnung.
Aber Sie leben in dieser Stadt!
Manchmal haben Städte tatsächlich einen Sound, aber meistens sind das eher Mythen. Im Zusammenhang mit Berlin reden alle von Techno, aber mir begegnet das nicht. Was mir hier aufgefallen ist, das ist ein großes Interesse an osteuropäischer Musik, an Zigeunermusik, Balkanbeats. Ich mag das ja, diese Musik. Der Sound von Berlin, das könnte also ein Crossover sein aus Techno und rumänischer Blasmusik.
Sie sind ein engagierter Verfechter der Rauchfreiheit. War einer der Gründe, nach Berlin zu kommen, auch das Rauchverbot in anderen Ländern?
Ja.
Dann müssen Sie Berlin ja schon wieder verlassen.
Es ist ja nicht so übel wie in England. Es gibt ja extra Raucherzimmer. Aber das ist eine katastrophale Entwicklung für Berlin, schlimmer als für andere Städte, weil diese Stadt immer ein Symbol war für Freiheit und Toleranz. In den Dreißigern gab es vielleicht 60 Schwulenbars in Schöneberg, als das in England noch völlig illegal war. Das ist die Tradition dieser Stadt: Es gibt Kneipen, die niemals schließen, es gibt Bordelle, Clubs, in denen Leute Sex haben, es gibt Kasinos. Alles ist erlaubt, aber das Rauchen ist verboten? Das macht doch keinen Sinn. Und in Berlin macht es noch weniger Sinn.
Auf dem neuen Album gibt es sogar einen Song zum Thema. "Citizen Sane" ist eine böse Abrechnung mit den Gesundheitsaposteln, die Ihnen das Rauchen verbieten wollen in einer "world gone mad" - einer verrückt gewordenen Welt. Werden Sie auf Ihre alten Tage noch politisch?
Vielleicht ist das tatsächlich ein politischer Song. Denn die Menschen haben den Respekt verloren vor der Politik. Also haben die Politiker den weißen Doktorkittel übergezogen und sagen: Ihr seid in großer Gefahr, aber wir können euch beschützen. Die einzige Möglichkeit, heutzutage Menschen zu kontrollieren, ist sie in Angst zu versetzen. Der Krieg gegen den Terror funktioniert genauso. Autoritäten kann man einfach nicht trauen. Daran glaube ich heute mit 53 Jahren noch viel fester als mit 23.
Aber kann politische Popmusik denn etwas erreichen?
Nein. Vielleicht war das mal so, aber heute nicht mehr. Kürzlich gab es in England die größten Demonstrationen aller Zeiten gegen den Irakkrieg, ohne dass sich etwas geändert hätte. Warum sollte ein Popsong da etwas verändern können?
Warum schreiben Sie dann Songs wie "Citizen Sane"?
Weil ich Songschreiber bin. Das ist ein Song, kein politisches Statement. Ich bin ein Songschreiber, der ein künstlerisches Statement macht.
Ein recht zynisches Statement. Wie das ganze Album von einem grundsätzlichen Zynismus durchzogen wird?
Nein, nein, ganz und gar nicht. Das ist Ihre Interpretation, eine zynische Interpretation, wie ich anmerken möchte. Ich hasse Zynismus. Alles, was ich tue ist gegen den Zynismus gerichtet. Der Zynismus ist der Feind. Mein Album ist antizynisch. Sie verwechseln Traurigkeit mit Zynismus. Es geht um menschliche Tragödien wie Einsamkeit, und viele Songs sind traurig, weil das Leben oft tragisch ist. Aber Tragik ist eine positive Kraft. Ich will mich nicht mit Shakespeare vergleichen, aber "Hamlet" oder "King Lear" sind doch nicht zynisch, sondern tragisch. Tragik ist Teil des Lebens. Und in den meisten Liedern geht es noch weiter, gibt es noch Hoffnung. Ich wurde schon früher beschuldigt, ein Zyniker zu sein, dabei bin ich doch ein Optimist. Ich kann ironisch sein, kritisch, sarkastisch, ich kann wütend werden, aber das ist doch alles positiv, weil etwas entsteht, Fragen gestellt werden, Neues ausprobiert wird. Und fast alle meine Songs haben Humor, manche finde ich richtig witzig.
Sie haben in Ihrer Karriere eine Menge verschiedene musikalische Genres ausprobiert
wenn ich einen Song schreibe, dann denke ich an Melodien, an Harmonien, an Rhythmus und an Wörter. Und ich hoffe, dass das alles zusammen passt, stimmig wird. Aber an Genres denke ich da überhaupt nicht. Das ist das Problem von euch Journalisten.
Es könnte also sein, dass Sie demnächst einen Techno-Track aufnehmen?
Theoretisch.
Sie lächeln?
Ja, denn es ist nicht allzu wahrscheinlich, dass ich ein Technostück aufnehme, eher unmöglich. Aber nichts ist geplant. Ich denke da einfach nicht drüber nach.
"Rain" könnte aufgrund der technischen Entwicklungen Ihre letzte Veröffentlichung auf einem physischen Tonträger sein, die sprichwörtlich letzte Platte, die Sie herausbringen.
Das habe ich bisher bei jeder Platte gedacht. Aber wenn es so sein sollte: Was soll ich denn machen? Ich weiß es nicht. Diese Dinge, die neuen Technologien und wie sich das Musikgeschäft ändert, das alles ist außerhalb meiner Kontrolle. Ich habe nur Kontrolle über das, was ich produziere. Ich versuche, ein möglichst gutes Album zu machen, und den Rest überlasse ich den zuständigen Leuten. Ich bin kein Orakel, kein Visionär, der besonders schlau die Zukunft des Musikgeschäfts kommentieren könnte. Ich bin einfach irgendein Typ.
Ein Typ, der gern unsichtbar wäre. Ist der neue Song "Invisible Man" die Aufarbeitung eines Kindheitstraums?
Nein, da geht es darum, dass es ziemlich schwierig ist, unsichtbar zu sein, wenn man prominent ist. Vor allem in Amerika ist die Aufmerksamkeit für Prominente zu einer Art Hysterie geworden. Ich hasse das. Ich bin kein Prominenter, ich bin ein Künstler, der gern einen Rest seiner menschlichen Würde bewahren würde. Der Song feiert die Idee, kein Prominenter mehr zu sein. Endlich ist das Spotlight weg, Gott sei Dank!
Wann ist Ihnen das passiert?
Das kann ich nicht genau sagen. Das war ein eher gradueller Prozess.
Werden Sie in Berlin erkannt?
Ja, aber nicht oft. Und die Leute hier sind cool, die lassen einen in Ruhe. Nicht wie in New York, da sind sie sehr unhöflich und aufdringlich. Mitte der Achtziger, als ich noch prominent war, war es in New York nicht auszuhalten. Das Leben ist besser heute.
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