Jodel-Ausstellung in München: An die Gurgel!
Wie ist eigentlich das Jodeln entstanden? Christoph Wagner beleuchtet das Phänomen nüchtern in einem Buch und einer Ausstellung.
Ein Almbauer, der mit verirrten Rindviechern zu kommunizieren suchte, eine Sennerin, die sich die Zeit an einsamen Abenden in den Bergen nicht anders zu vertreiben wusste, oder auch ein in Not geratener Bergsteiger, der sich den Menschen im Tal mitteilen wollte? Wer und wann zum ersten Mal einen veritablen Jodler in die Welt setzte, diese Frage vermag auch das Buch „Jodelmania“ von Christoph Wagner nicht zu beantworten.
Die Indizien jedenfalls sprechen dafür, dass es sich irgendwo im Alpenraum zugetragen haben muss – vorausgesetzt freilich, man fasst den Begriff des Jodelns, dieses „unartikulierten Singens aus der Gurgel“, wie es in einem Reisebericht von 1810 heißt, nicht zu weit. Denn sonst träten Gurgelsänger aus anderen Ecken der Welt, wie die Bayaka im zentralafrikanischen Regenwald und die Mongolen mit ihrem speziellen Obertongesang, ebenfalls in diesen Wettbewerb mit ein. Das allerdings, was man hierzulande gemeinhin unter Jodeln versteht, hat seinen Siegeszug dann doch vornehmlich im Alpenraum und später in Amerika angetreten. Denn – und das möge nun keiner kulturellen Überheblichkeit Europas Vorschub leisten – auch der Weg des Jodelns verlief von der Alten in die Neue Welt.
Jodeln wurde dort bald so populär, dass der US-Schriftsteller Mark Twain wiederum sich aufmachte, auf einer Europareise den Ursprüngen des „Yodeling“ nachzuspüren. Er wurde fündig, wie er in seinem „Bummel durch Europa“ beschreibt. Ein wohlklingendes „Huliholdrioh“ habe er beim Aufstieg auf die Rigi in der Schweiz vernommen. Während der Wanderung begegnet er einem jodelnden Hirten nach dem anderen, die er mit Trinkgeldern für ihre Gesangseinlagen belohnt. Die Trinkgelder werden jedoch von Mal zu Mal kleiner, am Ende bezahlt er die Viehburschen nur noch dafür, nicht zu singen. „Es geht ein bisschen zu weit mit dieser Jodelei in den Alpen“, lautet Twains Fazit.
Nun weiß man, wie ein Amerikaner den Jodler zum Verstummen bringt. Aber wie kam es überhaupt, dass die Jodelei jenseits des Atlantiks eine zweite Heimat fand? Dies zeichnet Christoph Wagner in seiner Abhandlung penibel nach – den Weg vom „Jodeln in Europa“ also bis zum „Yodeling in America“, wie die beiden zentralen Kapitel heißen. Im „Cowboy Yodeling“ schließlich fand die US-Spielart ihre originellste Ausdrucksform und damit Einzug in die frühe Country-Musik. Ist doch der Cowboy bekanntlich auch nur ein Kuhhirte, wenn auch ein recht amerikanischer.
Die Hochphase des Jodelns ist wohl vorbei
Das Wort „Jodeln“ übrigens – aber das jetzt nur am Rande – soll seinen Ursprung in dem freudigen Ausruf „io!“ haben, über das mittelhochdeutsche „Johlen“ dann zum Jodeln geworden sein. Und schließlich eben auch zum Yodeling. Die Hochphase des Jodelns in den USA, also die eigentlich Jodelmanie, lässt sich ins 19. und die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts packen. Die Welle ins Rollen gebracht haben dürften die Geschwister Rainer aus dem Zillertal, „die Beatles der 1820er und 30er Jahre“.
In Europa waren sie längst Stars, als ihr Ruhm auch bis in die Vereinigten Staaten drang, Gastspiele waren die Folge. Ihr Publikum fanden sie in Varietés, den sogenannten Vaudeville-Theatern, oder Zeltshows, wo sie vor Tausenden Zuschauern sangen. Und so ging es weiter. Den Rainers folgte die Hauser Family, ebenfalls aus Tirol, aber auch gebürtige Amerikaner nahmen sich der Kunstform an. Selbst in Opernhäusern hielt das Jodeln Einzug, vorgetragen von Divas wie Antoinette Otto. Übers Cowboy Yodeling endgültig amerikanisiert, ließen sich Anklänge der Sangesform mit alpenländischem Migrationshintergrund schließlich selbst in Jazz und Blues nachweisen.
Ein Triumphzug. Und doch: In der heutigen populären Musik, so konstatiert Autor Wagner, „ist die große Zeit des Jodelns unwiederbringlich vorbei“. Nur in seiner Heimat, den Alpen, erlebe die Jodelei derzeit ein bescheidenes Revival. Wovon Bands der „Neuen Volksmusik“ wie auch die Existenz einer Jodel-Lern-App zeugten.
Christoph Wagner: „Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika und darüber hinaus“. Verlag Antje Kunstmann, München 2019, 320 Seiten, 22 Euro
Various Artists: „Laut yodeln: fern – nah – weit“ (Trikont/Indigo)
Various Artists: „American Yodeling. 1911–1946“ (Trikont/Indigo)
„Jodelmania. Von den Alpen nach Amerika“ im Valentin-Karlstadt-Musäum, München, bis 15. Oktober
„Jodelmania“ ist jedoch mehr als ein Buch. Seinen Ursprung hat die Wort gewordene Jodelei im Münchner „LAUTyodeln“-Festival, das 2016 ins Leben gerufen wurde und in mehreren Alben des Trikont-Labels nachhörbar bleibt. Zwei Compilations gibt es bereits: Auf „Fern – Nah – Welt“ geben sich unter anderem Erika Stucky, Baka Beyond, die Hornisten der Münchner Philharmoniker und Christian Zehnder die Ehre. Letzterer hat dabei eine interessante Theorie über die Herkunft, ja die Notwendigkeit des Jodelns, das er als „Selbstbefreiung“ betrachtet: „Wir haben die Berge, also was, gegen das wir ansingen müssen. Man hält das ja sonst nicht aus, wenn man die Wände vor sich hat.“ Die US-Version des Ganzen wird wiederum mit „American Yodeling 1911–1946“, der zweiten der beiden Compilations, präsentiert. Und ein dritter Teil ist bereits angekündigt.
Flankiert wird das Projekt zudem noch mit einer ebenfalls von Wagner kuratierten Ausstellung, die im Valentin-Karlstadt-Musäum in München zu sehen ist. Der Werdegang des „Tiroler Trällern“ wird dort mittels rarer Originaldokumente anschaulich gemacht. Dazu gehören Notendrucke aus den 1840er Jahren, Plakate, Fotos und Bildpostkarten, aber auch eine Phonographenwalze mit einem Jodellied von 1902, Schellackplatten und Liederhefte amerikanischer Hillbilly-Jodler wie Uncle Tom and his Hired Band. Selbst Johnny Weissmuller alias Tarzan kommt hier zu Ehren. Hat doch der Amerikaner, der passenderweise auch noch als Donauschwabe im Königreich Österreich-Ungarn zur Welt gekommen war, den vielleicht bekanntesten Jodler der Welt in die Welt gesetzt und sogar im Urwald salonfähig gemacht. Noch auf seiner Beerdigung soll man den Tarzanschrei abgespielt haben.
Wagners Buch jedoch kann man nicht unterstellen, dass es den allgemein am Phänomen des Jodelns interessierten Laien, der gar ein wenig das tiefere Wesen dieser etwas archaischen Kunstform erfassen möchte, befriedigte. Informativ und fußnotenreich kommt der Inhalt daher – recht wissenschaftlich. Was der Musikjournalist Wagner vorgelegt hat, ist eine Chronik der jodelnden Künstler der letzten zwei Jahrhunderte, der Boom in Europa, der spätere Erfolg in Amerika, alles wird seziert, en detail ein Ereignis ans andere gereiht, ergänzt um kleine Exkurse etwa in zeitgenössische avantgardistische Jodelexperimente und ein Interview mit dem Münchner Jodelkönig Franzl Lang. Der weiß etwa zu berichten, warum das Jodeln der Cowboys Ausdruck reinster Lebensfreude ist: „Bevor man erschossen wird, jodelt man noch schnell.“
Am anderen Ende des Spektrums kommt auch die amerikanisch-schweizerische Vokalistin Erika Stucky zu Wort, in dem sie zum Beispiel über den „ungeheuer groovenden 5/4-Takt“ beim Jodeln räsoniert. Jodeln, sagt sie auch, sei kein Genre mehr für sie, sondern „ein Ausdruck, ein Dialekt geworden. Mehr ein Ausdünsten als ein Interpretieren.“
Es fehlt an Humor und Leichtigkeit
Beseelt von Ernsthaftigkeit und dem Bemühen, das Jodeln auf keinen Fall jener Lächerlichkeit preiszugeben, deren Opfer es nach Ansicht des Autors wohl allzu oft wurde, fehlt es dem Buch allerdings an Humor und Leichtigkeit, die dem Sujet sicherlich nicht abträglich gewesen wären. Eine spürbare Antipathie gegen Humoristisches und kommerziell Erfolgreiches lässt sich vor allem in den Passagen über Gejodel jüngeren Datums erahnen. Selbst der österreichische Künstler Hubert von Goisern wird quasi nur im Nebensatz erwähnt, da mag sein „Juchitzer“ aus den Neunzigern auch noch so gänsehautverdächtig sein. Und der niederbayerische Schalk Fredl Fesl fehlt ganz. Kein Wunder also, dass auch die Biermösl Blosn und das Musical „Der Watzmann ruft“ vor Wagner keine Gnade und im Buch keine Erwähnung finden.
Selbst Loriot wird nur am Rande angeführt – als Beispiel für das schlechte Image, das dem Jodeln ungerechterweise anhafte. Ob es freilich das Jodeln war, das Loriot in seinem Sketch mit liebevollem Spott überzog, das sei dahingestellt. Denn schließlich – und das muss jetzt sein – unterscheidet sich das Jodeln mit Jodeldiplom eben doch vom Jodeln ohne Diplom, also ohne Jodelabschluss.
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