Jobs in den neuen 20er Jahren: Wie werden wir arbeiten?

Die Arbeit der Zukunft wird von der Digitalisierung geprägt. Müssen deshalb gleich Millionen Jobs und ganze Berufe verschwinden?

Hände am Laptop

Wie die Arbeit aussehen könnte… Illustration: Christian Barthold

Selbstfahrende Linienbusse. Pflegeroboter, die Menschen waschen. Algorithmen, die Gerichtsurteile fällen. Die Arbeit der Zukunft wird von der Digitalisierung geprägt. In Deutschland gehen zwar viele Menschen von großen Veränderungen aus, doch nur wenige denken, dass sie selbst betroffen sein werden. Nur drei Prozent stimmen der Aussage zu, dass sie ihren Job an Computer oder Maschinen verlieren könnten. Das ergab eine Studie, die das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und die Zeit im Mai veröffentlichten.

Auch das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) gibt zu dem Stichwort „Digitalisierung“ vorerst Entwarnung. „Digitalisierung wird nur sehr wenige Berufe verschwinden lassen“, heißt es da. Gleichzeitig zeichnet der „Job-Futuromat“ des IAB ein anderes Bild.

Auf Basis von Daten der Agentur für Arbeit kann man dort über eine Suchzeile 4.000 verschiedene Berufe anwählen. Der Futuromat zeigt das Substitutionspotenzial des jeweiligen Berufs an – also die Ersetzbarkeit in Prozent. Für kaum einen Beruf liegt diese Zahl bei null, für einen Großteil sogar über 50 Prozent. Was genau passiert denn nun mit dem Arbeitsmarkt?

„Das können wir ohne Kristallkugel schwer beantworten“, sagt Martin Ehlert. Er forscht am WZB zur Arbeitswelt. Momentan ginge es dabei noch darum, „eine Idee davon zu bekommen, wo wir gucken müssen“. Dafür sei der Job-Futuromat ein gutes Instrument. Er schlüsselt die Tätigkeiten eines jeden Berufes auf. Einzelne Tätigkeiten seien in allen Berufen ersetzbar, sagt Ehlert.

Heißt Umwälzung Jobverlust?

Der Futuromat liefert zu jedem Beruf aber auch die Entwicklung der Beschäftigungszahlen und der Bezahlung. Bei manchen Berufen werden in diesen Zahlen bereits die „große Umwälzungen vom Arbeitsmarkt“ sichtbar, die das IAB für die nähere Zukunft prognostiziert. Doch heißt nicht Umwälzung automatisch immer auch Jobverlust?

Jein. „Der Job-Futuromat ist eine interessante Sache, aber natürlich sehr theoretisch: Selbst bei Jobs, wo die Ersetzbarkeit bei 100 Prozent liegt, arbeiten noch immer Leute“, sagt Arbeitsforscher Ehlert. In einigen Berufen lohnen sich die Kosten der Digitalisierung nicht, bei anderen gibt es rechtliche Hürden. Tatsächlich werden laut IAB bis zum Jahr 2035 rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze abgebaut sein. Zeitgleich sollen aber fast genau so viele neu geschaffen werden.

Der „Job-Futuromat“ gibt auf Basis von Daten der Agentur für Arbeit für über 4.000 Berufe das Substitutions­potenzial an. Konkret geht es darum, wie viele der notwendigen Tätigkeiten in den Jobs schon heute von Robotern übernommen werden könnten. Ein Überblick:

0 Prozent Taxifahrer, Wachmann, Professor, Personalberater, Notar, Presse­sprecher, Komiker, Facharztarzt Innere Medizin, Altenpfleger, Krankenpfleger, Erzieher.

20 Prozent Journalist, Oberkellner

25 Prozent Manager, Berufsjäger, Handwerker (Zimmerer)

50 Prozent Schienen­fahrzeug­führer

57 Prozent Landwirt

58 Prozent Tischler

60 Prozent Chefpilot

63 Prozent Maschinen­techniker

80 Prozent Fachkraft Lagerwirtschaft

100 Prozent Bäcker, Kassierer, Chemikant, Glasmassehersteller, Rotationsdrucker, Gabel­staplerfahrer, Aufbereitungs­mechaniker, Datenerfasser, Stenotypist.

Ein Blick in die aktuellen Zahlen zeigt, dass die Arbeitslosigkeit zurzeit trotz zunehmender Technisierung sinkt. Im November 2019 lag die Arbeitslosenquote bei knapp 5 Prozent. Das sind 7 Prozentpunkte weniger als vor 15 Jahren. Wie passt das mit der zunehmenden Digitalisierung zusammen?

Die Gesellschaft verändert sich. Zwar ist die Erwerbstätigkeit der Frauen in Deutschland massiv gestiegen, gleichzeitig steigt jedoch auch der Anteil an Teilzeitstellen. Zudem wird die Gesellschaft älter. Auch die Babyboomer gehen bald in Rente, dann werden mehr Jobs frei, als besetzt werden können. Migrantische Arbeiter:innen, aber auch Digitalisierung werden notwendig sein, um den Status quo zu erhalten.

„Ersetzung ist nur ein Aspekt und vielleicht nicht der wichtigste“, sagt Ehlert. Er beschreibt es am eigenen Beruf: „Früher gab es ein Sekretariat, jetzt beantworte ich meine Post selbst und führe meinen Kalender. Es wird mir technisch viel abgenommen, aber ich muss es auch steuern und kontrollieren.“

Das Wissen nimmt zu, das Lernen wird lebenslang. Schwierig wird es vor allem für Ungelernte – oder jene, die es nicht mehr gewohnt sind, Neues zu lernen.

Ein Problembeispiel ist die Logistik. Durch den Onlineversand ist die Branche in den vergangenen Jahren stark angewachsen. Menschen ohne spezifische Qualifikation gehen nach Anweisung eines Gerätes zu Regalen, greifen Gegenstände und bringen sie zu einer Packstation. Roboter können bisher noch nicht gut nach unterschiedlichen Formaten greifen.

Hände halten Zahnräder

…und wie die Arbeit damals war Illustration: Christian Barthold

Doch irgendwann werden sie dazu in der Lage sein. Dann stellt sich die Frage, wo sich im Arbeitsmarkt die ungelernten Arbeiter:innen einfinden. „Wie können wir Lernangebote schaffen, die mit der Diversität der Lerntypen klarkommen?“, fragt Arbeitsforscher Ehlert.

Fachkräfte werden es weniger schwer haben. Die Industrie wird zwar durch die Digitalisierung umstrukturiert. Daten des WZB zeigen aber, dass Industriearbeiter:innen in Deutschland dank ihrer breiten Ausbildung ein hohes Maß an situativer Problemlösungsfähigkeit haben. Sie können demnach sowohl mit Jobveränderungen umgehen, als auch komplexe Systeme bedienen.

In vielen Branchen gibt es schon heute einen Fachkräftemangel. Das weiß jede Person, die kürzlich versuchte, einen Handwerker oder einen Kitaplatz zu finden, oder Angehörige im Krankenhaus besuchte. In näherer Zukunft wird weder ein Roboter die Häuserwand mauern, noch eine Maschine die Infusion setzen können und Kindererziehung wird nicht über VR-Brillen vermittelt.

Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.

Der Bedarf im Dienstleistungssektor steigt, das schlägt sich auch auf die Löhne in Festanstellung nieder. Bleiben Dienstleistungsberufe von der Digitalisierung also vorerst unangetastet?

Nein. Ein zentraler Aspekt des „Digitalen Kapitalismus“ ist die Herausbildung von Plattformen. Wer etwas recherchieren möchte, googelt. Wer am journalistischen Diskurs teilnehmen möchte, twittert. Hotel: Booking. Ferienwohnung: Airbnb. Serie: Netflix.

Menschen in Kreativberufen, Journalist:innen und Filmemacher:innen tragen schon heute oft ein „frei“ vor ihrer Berufsbezeichnung und kennen die Vor- und Nachteile der atypischen Beschäftigungen. Dank Laptop frei in der Ortswahl, langer Urlaub dank freier Arbeitseinteilung oder auch nur die Möglichkeit, die Kinder von der Kita abzuholen, klingen nach Luxus. Doch selbst wenn Aufträge gut vergütet sind, birgt diese Freiheit auch Risiken wie fehlende soziale Absicherung, unbezahlte Akquisearbeit, selbst bezahlte Arbeitsmittel, eine unsichere Zukunft.

„Soloselbstständigkeit steigt, aber es ist immer noch ein recht kleiner Bereich und oft noch Nebenerwerb“, sagt Martin Ehlert vom WZB. Sie werde zunehmen in den nächsten 20 Jahren, aber wohl nicht die dominante Form der Beschäftigung werden.

Ringen um den Achtstundentag 1918 wurde der Achtstundentag bei vollem Lohnausgleich als eine der wichtigsten Errungenschaften der Arbeiter*innenorganisationen gesetzlich eingeführt. Doch nach Druck der Unternehmerseite wurde die Regelung bald wieder ausgehebelt. Die Arbeitszeitverordnung vom 21. Dezember 1923 gestattete neben dem Achtstundentag auch einen Zehnstundentag.

Aufstieg der Gewerkschaften

Die freien Gewerkschaften erreichen in den 1920er Jahren ihre höchsten Mitgliederzahlen. Zu der Zeit waren rund 10 Millionen Arbeiter, fast 70 Prozent aller Arbeiter, organisiert. Auch die Frauenerwerbsarbeit nimmt in dieser Zeit stark zu. Ein neuer Berufszweig entsteht: die Büroangestellte und dadurch ein neuer Typus von Frau – unverheiratet und berufstätig.

Solch atypische Beschäftigungsverhältnisse gehen, egal ob gewünscht oder gezwungenermaßen, noch immer zumeist Höherqualifizierten ein. Ist die Prekarität zu hoch, sind diese häufig in der Lage, sich anzupassen, sich weiterzubilden.

„Unser bisheriges Bildungssystem ist auf den vorderen Teil des Lebens fokussiert. Es gibt für das Erwachsenenleben zwar inzwischen viele Angebote, aber diese erreichen oft ohnehin Höherqualifizierte“, sagt Ehlert. Unwahrscheinlich also, dass Höhergebildete die Verlierer:innen der Umstrukturierung des Arbeitsmarktes werden.

Die meisten lernen Bildung jedoch nicht als positives Erlebnis kennen, sondern als notwendige Voraussetzung zum Arbeiten und Überleben. Einige erleben sie sogar als Schikane. Im Bildungssystem reproduziert sich seit jeher die soziale Ungleichheit. Bei all der Unsicherheiten über die Zukunft der Arbeit, stellt Martin Ehlert vom WZB fest: „Die wirklichen Spaltungslinien werden in der Weiterbildung verlaufen.“

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