: Jetzt noch in'n Osten fahr'n?
■ Für Taxifahrer steht die Mauer wie eh und je: »Die Fuhren da lohnen doch eh nich.«
Nun ja, ich hätte ihn nicht fragen sollen, ich hätte ihn überhaupt nichts fragen sollen. Schon als ich einstieg, hatte ich das ungute Gefühl, mißtrauisch betrachtet zu werden. Ich hatte am Telefon gesagt, daß ich nach Pankow will. »In'n Osten also, na jut.« Gut jedenfalls, daß es mir noch eingefallen war, daß man solche bestimmten Unbestimmtheiten, genauso wie ein körperliches Handicap, einen kläffenden Köter oder das Bekenntnis zur geächteten Randgruppe der Raucher zu gehören, vorher anzumelden hat. »Da ham'se aber Jlück jehabt, det se mir erwischt ham, ick weeß nich', ob se jeder jetzt noch um die Zeit in'n Osten jefahrn hätte.« Jetzt hätte ich bestimmt lächeln und dankbar nicken sollen, wo er doch so nett war, mich auch genau dahin zu fahren, wo ich hin wollte.
Ich lächelte nicht. Ich weiß auch nicht, was über mich kam. Vielleicht war es seine offene Art oder der Aufkleber »Wir sind ein Volk« vorne auf dem Armaturenbrett, was mich dazu verleitete, diese dämliche Frage überhaupt zu stellen: »Wieso denn in Osten? Liegt Pankow nicht im Norden?«
Sein abruptes Abbremsen hätte ich noch ignorieren, seinen wütenden Blick im Rückspiegel übersehen können. Und auch sein gebrummtes »Na, hab ick mir doch jleich jedacht, det die aussm Osten is'« hätte ich richtigstellen können. Möglicherweise hätte das die Situation gerettet, wir hätten uns über tausend andere Dinge unterhalten können. Ich sagte nichts. Er verzeihte mir offenbar, daß ich für ihn aus dem Ostteil der Stadt kam und redete wieder mit mir: »Wenn se sich so gut auskennen, könn'se mir vielleicht auch sagen, wie ick dahin komme.« Ich wunderte mich: »Müßten Sie das als Taxifahrer nicht selbst wissen?«
Auch das hätte ich ihn nicht fragen sollen. Ich hätte wissen müssen, daß es Grenzen des guten Geschmacks gibt. Doch noch während mir mein unhöfliches Auftreten klarwurde, überlegte, mich liebevoll zu entschuldigen, wenigstens einen Teil des entstandenen Schadens wiedergutzumachen, da wurde mein Gedankenfluß von einem kurzen, donnernden »Wieso?« unterbrochen. Es schien mich der geballte Zorn eines ganzen Berufsstandes zu treffen. »Sagen se mir mal 'ne Straße zwischen Wannsee und Frohnau, die ick nich kenne — ick bin schließlich Westberliner, wat soll ick mir da im Osten auskennen. Der Osten is sowieso nich mein Teil.«
Vermutlich hatte ich es verdient. Ich hätte ihn nicht fragen sollen. Jeder vernünftige Mensch hätte an meiner Stelle den Tritt in den Fettnapf bereut und versucht, die Fettspritzer wegzuwischen, um sich dann über ein glücklicheres Thema des Lebens zu unterhalten. Keine schwierige Aufgabe für einen redegewandten Menschen wie mich — normalerweise. Statt dessen hörte ich meine Stimme aber fragen: »Wieso Osten? Seit der Wiedervereinigung fahren doch alle Taxen in ganz Berlin?«
Eine wirklich hirnlose Frage. Das sah ich schon an dem Blick, der mich traf. Der Zorn in seinen Augen war schierer Verzweiflung gewichen. Behutsam, so wie man es mit Kindern versuchen würde, klärte er mich auf.
»Die Fuhren da lohnen doch eh nich, und bis es sich lohnt, bin ick längst in Rente, ist doch schlimm genug, daß die janzen Osttaxen uns hier im Westen das Geschäft kaputtmachen, gucken se sich doch an, wie's am Flughafen Tegel aussieht oder am Bahnhof Zoo, mit den paar Fuhren, die da noch für unsereinen übrigbleiben, kommt man kaum auf seinen Schnitt, das machen die paar Pfennig Tariferhöhung auch nich wett, und wenn ick dann ooch noch in' Osten fahre, kann ick's jleich lassen, wenn ick mir da an'ne Halte stelle, steh' ick doch bis übermorgen, und die Rücktour bezahlt mir keener.« Endlich holte er Luft.
Was meinte er wohl mit einer bezahlten Rücktour? Soll ich ihm jetzt auch noch den Weg zurück in Westen bezahlen? Diesmal wagte ich nicht nachzufragen. Ich wollte versöhnen: »Berlin ist doch jetzt Hauptstadt, viel mehr Menschen kommen hierher, denken Sie doch nur mal an die ganzen Politiker, die bald gefahren werden müssen. Das sind für Sie doch schöne Aussichten?«
Nun ja — schon wieder daneben. Er schüttelte mit seinem Kopf. Ich hielt den Rest der Fahrt den Mund — kam mir vor, wie zur Strafe schweigsam in der Ecke sitzen zu müssen. Das hatte ich nun davon. Am Ende der Fahrt brach ich aber doch noch das eisige Schweigen: »Entschuldigen Sie, können Sie 100 Mark wechseln?« Das hätte ich ihn nicht fragen sollen, ich hätte überhaupt nichts fragen sollen. Azizeh Nami
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen