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Jenseits von Chips und Cola

Bei den Bio-Erlebniswochen demonstrieren Spitzenköche, dass ökologische Möhren anders schmecken als Tomaten  ■ Von Gernot Knödler

Ingo Taubert fordert die ökologische Wende in der Landwirtschaft – aus Gründen des guten Geschmacks. Auf welchen erbärmlichen Grundlagen unsere derzeitige Ernährung in den meisten Fällen fußt, hat ihm folgendes Experiment bewiesen: Eine Handvoll Spitzenköche pürierte Gemüsezwiebeln, Porree, Sellerie, Karotten und Tomaten aus der konventionellen Landwirtschaft, bis die verschiedenen Sorten Matsch eine einheitliche Konsistenz hatten. Dann verbanden sie sich die Augen und versuchten zu schmecken, um welches Gemüse es sich jeweils handelte. Das Ergebnis war niederschmetternd.

„Die Tomate hat sich kaum unterschieden von einer ganz fein pürierten Karotte“, erzählt der Koch aus Kiel. Selbst die austrainierten Gaumen der versammelten Profis hätten Mühe gehabt, die Gemüsesorten auseinanderzuhalten. Nicht schön für jemanden, der sein Leben dem Genuss verschrieben hat, und der nun unter Aufbietung aller Tricks versuchen muss, die Unzulänglichkeiten des Rohmaterials zu übertünchen. „Da können Sie als Koch nur mit ganz vielen Gewürzen arbeiten“, sagt Taubert. Zu dumm, dass der Eigengeschmack dabei auf der Strecke bleibt.

Bei vielen Europäern scheint es heutzutage nicht mehr darauf anzukommen. Die meisten französischen Schulkinder seien bloß noch in der Lage, zwischen süß und salzig zu unterscheiden, stellt Eurotoques, die Europäische Union der Spitzenköche, auf ihrer Homepage fest. Damit es in Deutschland nicht genauso schlimm wird, bietet die Vereinigung Schülern Geschmacksunterricht „für eine Welt jenseits von Chips und Coke“ an. Sie vergibt Preise, veranstaltet vom 15. bis 21. Oktober die europäische Woche des Geschmacks und beteiligt sich an den norddeutschen Bio-Erlebniswochen vom 1. bis 25. September.

Taubert und zwei seiner Kollegen laden in diesem Rahmen zu Geschmacksschulungen in ihre Küchen ein. Mit verbundenen Augen werden die Teilnehmenden den Unterschied nicht nur zwischen Tomate und Karotte, sondern auch zwischen Tomate und Tomate erfahren, verspricht Taubert. „Wir versuchen, Leute auf den Geschmack zu bringen“, sagt der Inhaber eines Kochstudios, das sich nur damit beschäftigt.

Taubert glaubt zu wissen, wovon er redet. Schließlich hat er jahrelang die Passagiere von Kreuzfahrtschiffen mit solchen Spielchen unterhalten. Dort fiel ihm der Unterschied zwischen der Ware, die er auf einem Landgang kaufen konnte, und der Tiefkühlware an Bord besonders unangenehm auf – und verdarb ihm auf Dauer die Lust am Kochen auf See.

Jetzt wirbt er an Land für ein Umdenken in der Küche. Er will den Leuten beibringen, dass es einfacher und befriedigender ist, mit Rohstoffen zu kochen, die nicht aus der spezialisierten und industrialisierten Landwirtschaft stammen. Er will weg vom übermäßigen Fleischkonsum, der die Pflanzenproduktion über Gebühr angeheizt habe. „Einmal die Woche Fleisch genügt“, findet er. Mit dem gesparten Geld können die Leute dann Öko-Gemüse kaufen.

Zu den Geschmacksschulungen kann man sich anmelden bei Eurotoques Deutschland, c/o Schlossbergers Kur- und Sporthotel, Winnenderstraße 10, 73667 Ebnisee, Tel.: 071 84/292-102.

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