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Jenni Zylka Cultural AppreciationKeine Sekunde Zeit zum Bereuen

Im soeben gestarteten Film „September 5“, der von der Berichterstattung durch ein „ABC-Sports“-Fernsehteam über das Attentat bei den Olympischen Spielen 1972 erzählt, dämmert es einem der Fernsehproduzenten plötzlich: Was die US-amerikanische Crew an Bildern gerade live überträgt, kann auch von den Ter­ro­ris­t:in­nen empfangen werden. Und die könnten die darin enthaltenen Informationen über die Taktik der Polizei natürlich nutzen.

Der Terrorgruppe in die Hände zu spielen, war niemals die Absicht des Teams um den Senderchef Roone Arledge (Peter Saarsgard). Doch Menschen machen Fehler, sind überfordert, müde, oder kennen die Situation einfach nicht: Was man beachten muss, wenn man live über einen Terroranschlag berichtet, stand bei den wackeren Sport­jour­nalist:in­nen, die sich mit Medaillen, Kameraeinstellungen und Emotionen, aber nicht mit Attentaten auskennen, schlichtweg nie auf der Agenda.

Jenni Zylka schreibt über Film.

Im Film trägt der verantwortliche Produzent, gespielt von dem großartigen John Magaro, den konterkarierenden Titel „Head of Control Room“ – denn natürlich kann von Kontrolle keine Rede sein. Man spürt stattdessen, wie dem hinter seiner 70er-Jahre-Brille und den riesigen Kopfhörern fast verschwundenen Journalisten der kalte Schweiß ausbricht, als ihm die möglichen Konsequenzen seines Verhaltens klar werden. Ohne dass er einem vorher besonders sympathisch gemacht wurde, tut er einem leid. Aber weil der Terror ein paar Meter vom Sendestudio entfernt live stattfindet, hat der Mann keine Sekunde Zeit zum Bereuen. Er muss weitermachen. Und Korrigieren kann man den Fehler nicht mehr.

Eine der vielen Stärken von Tim Fehlbaums feinnervigem und vielschichtigem Medienkammerspiel ist diese gleichzeitige Darstellung von menschlicher Leistung und menschlichem Versagen in einer Live-Situation. Medien übernehmen bei der Live-Berichterstattung eine unermessliche Verantwortung – selbstverständlich sind sie immer verantwortlich, auch bei vorproduzierten Beiträgen, Gesprächen oder Dokumentarfilmen, weil sie die Themen auswählen, die Schwerpunkte setzen, und die Gesellschaft durch ihre Darstellung mitgestalten, aufklären und sensibilisieren können. Was live passiert, liegt jedoch in gewisser Weise außerhalb ihrer Zuständigkeit. Es können Fehler passieren.

Die historische Verortung von „September 5“ in den ersten beiden Dekaden der Fernsehübertragung bestimmt auch Tempo und Intensität der Wiedergabe: Trotz „Live“ und sich überstürzender Ereignisse dauerten manche Dinge einfach länger, etwa das Insertieren von Ge­sprächs­part­ne­r:in­nen durch eine Tafel mit kleinen Steckbuchstaben, die von einer Redakteurin immer wieder händisch neu angeordnet und ins Bild geblendet werden müssen. Und das Schmuggeln einer großen schweren Kamera in das von der Polizei abgeriegelte Olympische Dorf, um überhaupt Bilder generieren zu können, gestaltete sich als kompliziert.

Der Terrorgruppe in die Hände zu spielen, war niemals die Absicht des Teams

Das Wichtigste an dem Film, der sich bei seiner Schilderung auf die Perspektiven aus dem Kontrollraum beschränkt, ist jedoch vielleicht der Verzicht auf den journalistischen Triumph: Man hatte schließlich trotz Fehlern eine schwierige und gefährliche Berichterstattung hinbekommen und Fernsehgeschichte geschrieben. Doch stolz ist niemand. Im On haben Journalisten Empathie und Menschlichkeit gezeigt, und obwohl am Ende von Fehlbaums Film keine moralischen Reden geschwungen oder Tränen verdrückt werden, ist die tiefe Bestürzung über das Attentat mit seinen vielen Todesopfern und die Ahnung seiner politischen Folgen greifbar.

Hier hat nicht die abgeklärte, eiskalte Presse auf der Jagd nach Einschaltquoten agiert, sondern es ging um die genuine Aufgabe von Journalismus – sachlich zu informieren, wenn etwas passiert, noch vor den Analysen und Kommentaren. Im Augenblick des Schrecks haben Menschen so gut gearbeitet, wie sie konnten, und dabei auch Fehler gemacht. Ganz nach dem Motto: Augen auf und durch.

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