■ Jeder will ein Grüner sein: Die kleine Volkspartei
Es grünt so grün. Selbst im Herbst. Grüne Bürgermeister kommen, rote Blätter fallen. Umwälzendes vollzieht sich derzeit im Parteiengefüge des demokratischen Sektors. Politiker aller Parteien umgeben sich vor laufender Kamera mit „einem Grünen“ und wirken so modern. Selbst die PDS-Abgeordneten, als Volkstribunen auf den Oppositionsbänken eigentlich Konkurrenten, lauschen lieber einer wohlgesetzten Wolfgang-Wieland-Rede als den Zotln der eigenen Fraktion. Der grüne Staatsmann mit dem Helmut-Schmidt- Baß genießt im preußischen Landtag ein Ansehen, wie es bei den Sozis in besseren Zeiten nur Harry Ristock von sich behaupten konnte.
Und jetzt auch noch dieses: Über hundert Mitglieder hat der Berliner Landesverband der Bündnisgrünen in den zwei Wochen nach der Wahl an Parteiarbeitern hinzugewonnen. Damit sind die Ökos nicht nur die einzige Partei, die einen Mitgliederzuwachs verzeichnen können; sie sind auch auf dem besten Weg zur Volkspartei. Eine Sympathisantenszene quer durch alle Schichten, ein breites Sortiment an politischen Alternativen und der Verzicht auf jegliche Weltanschauung zeichnete die Ökopaxe ja bereits in jüngster Vergangenheit aus. Der Sprung von der Kader- zur Mitgliederpartei läßt freilich aufhorchen. Sollten die Bürgerschrecks von einst plötzlich stilbildend, mithin trendy und pussierlich geworden sein? Das wäre in der Tat umstürzlerisch: Der BVG-Busfahrer mit einem Maikel-Cramer-Konterfei am Revers, der Steuerberater als Schreyer-Groupie, der Hausbesetzer im Judith-Demba-Outfit und alle zusammen in einer schrecklich netten Familie. Uwe Rada
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