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Je steiler, desto besser

Wenn es heute bei der Tour de France in die Pyrenäen geht, fürchtet das Team Telekom mit seinem Spitzenfahrer Jan Ullrich vor allem eines: das große Feuerwerk des Italieners Marco Pantani

von Mirjam Fischer

Bei der Tour de France geht heute die Woche der Sprinter zu Ende – und die der Ausreißer. Vom Örtchen Dax aus führt die Strecke in die Pyrenäen, über den Col d’Aubisque (1.709 Meter) und den Col du Soulur (1.474) hinauf nach Lourdes-Hautacam (1.520). „Da geht es rund“, sagt Telekomfahrer Udo Bölts: „Die Zeit wird knapp. Auch die Favoriten können nicht mehr lange warten.“

Wenn sich Telekoms Spitzensprinter Erik Zabel auf die erste Tour-de-France-Woche gefreut hatte, dann nur deshalb, weil die ersten Etappen traditionsgemäß die flachen sind. Und Zabel hatte im Flachen endlich einmal wieder der Schnellste sein wollen. Am liebsten im Massensprint gegen jahrelange Widersacher wie den Belgier Tom Steels, wenn schon Italiens Radsport-Superstar Mario Cipollini, der im vergangenen Jahr gleich vier Sprintetappen hintereinander gewonnen hatte, nach einem Trainingssturz zu Hause bleiben musste.

Doch Zabel bekam ein Problem: Weil Telekomkapitän Jan Ullrich wieder die Tour gewinnen soll, so wie 1997, ist es den Sportlichen Leitern Walter Godefroot und Rudy Pevenage nicht unbedingt egal, aber eben zweitrangig, was Spurtsiege angeht. Also hatte Zabel nach einer Woche Tour und auch nach der gestrigen letzten Flachetappe von Agen nach Dax, die der Italiener Paolo Bettini gewann, weder seinen Etappensieg in der Tasche, noch auch nur für einen Tag das Grüne Trikot des punktbesten Sprinters am Leib gehabt. Zweimal war Steels stärker, im Spurt und nach Punkten. Und dann kam am Freitag der Kölner Marcel Wüst vom französischen Rennstall Festina und machte Zabel ausgerechnet an dessen 30. Geburtstag den Strich durch die Rechnung, als es auf der Zielgeraden wieder ums Kopf-an-Kopf-Rennen und um entscheidende Punkte ging. Und plötzlich war Wüst in Grün, während Zabel noch immer tapfer lächelnd Interviews gab, in denen er versicherte, dass auch zweite und dritte Plätze schön seien und sein Kollege Jens Heppner sagte zur Feier des Tages im Fernsehen: „Ist ja schön für ihn, dass er Geburtstag hat, aber wir können schließlich nicht überall sein.“

Die Helfer der Favoriten müssen geschont werden für den Gesamtsieg. Wer arbeitet schon gern Zabel nach vorn, wenn Jan Ullrich in den kommenden zwei Wochen jeden Atemzug der Domestiken beanspruchen wird? Und weil das die Politik genauso von US Postal mit Vorjahressieger Lance Armstrong ist oder die von Once, die aus Schongründen sogar das Gelbe Trikot von Laurent Jalabert opferten, weil sie mehr an ihren Spitzenmann Abraham Olano als Toursieger glauben, kommen gestandene Sprinter seit Tagen nicht zum Zuge. Und so sind die klassischen Spurtetappen der Tour längst nicht mehr die Etappen der Sprinter, sondern die beste Gelegenheit für weniger gestresste Helfer als die von Telekom und US Postal.

Dann gewinnen Leute, die allein gegen den Wind und schmerzende Beine kämpfen. Dann gibt es Etappensiege für Leute, die in Paris sowieso keine Rolle spielen werden. Leute wie Leon van Bon, Christoph Agnolutto, Erik Dekker oder Paolo Bettini. Oder es werden 36-jährige Edelhelfer für treue Dienste belohnt: So wie der Italiener Alberto Elli, der sich mit dem Gelben Trikot des Gesamtführenden den Traum seines vierzehnjährigen Profi-Lebens erfüllt hat. Ohne, dass ihm einer aus der Mannschaft wirklich geholfen hätte.

„Es ist schwer, das Gelbe Trikot zu erkämpfen, aber es ist noch viel schwerer, es zu verteidigen“, sagt Johan Bruyneel, der Sportliche Leiter von US Postal. Wer will schon mit heraushängender Zunge ungefährlichen Ausreißern hinterher jagen? Noch bevor man die ersten Anstiege hinter sich hat? „Die Tour wird in der dritten Woche entschieden“, sagt Pevenage. Denn spätestens in den Alpen wird sich herausstellen, wer das Zeug zur Tour wirklich hat – ganz egal ob Helfer oder Favoriten.

Doch die erste Zäsur wird es heute auf der 10. Etappe geben. Und heute rechnet Telekom-Teamchef Godefroot vor allem mit dem italienischen Bergspezialisten Marco Pantani: „Der wird ein Feuerwerk entfachen, wir müssen aufpassen.“ Denn wenn Marco Pantani die Tour de France fährt, dann nur aus einem Grund: Weil er sich auf den Showdown mit Jan Ullrich freut. 1998 war es, als der leichtgewichtige Italiener dem Telekomkapitän am Aufstieg nach Les deux Alpes knapp sechs Minuten abnahm, ihm das Gelbe Trikot des Gesamtführenden abjagte und es bis nach Paris trug.

„Ich will die Tour gewinnen“, sagt Pantani, der nie gelassener schien als jetzt. Trotz des Ärgers zu Hause mit Staatsanwälten und Richtern, die ihm im Oktober den Prozess wegen mutmaßlicher Dopingvergehen machen werden. Hier, in Frankreich, gibt es für Pantani nichts als Ullrich. Und Berge. Je steiler, desto besser. Ganz egal, ob Alpen, Pyrenäen oder am Donnerstag der berüchtigte Mont Ventoux in der Provence.

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