piwik no script img

Jazztrompeterin Jaimie BranchInhärent revolutionär

Die US-Trompeterin Jaimie Branch ist mit nur 39 Jahren gestorben. Nachruf auf eine Künstlerin, die den Freiheitsdrang des Jazz gelebt hat.

Jaimie Branch live beim Jazzfest Berlin, 2018 Foto: Roland Owsnitzki

Wer Menschen, die Jazz für Gedudel halten, vom Gegenteil überzeugen wollte, konnte in letzter Zeit die beiden Soloalben von Jaimie Branch auflegen. Der Rest ergab sich dann meist wie von selbst.

Die Trompeterin, lange Aktivposten der Chicagoer Jazzszene und zuletzt in New York lebend, verband auf „Fly or Die“ (2017) und dem zwei Jahre später erschienenen „Fly or Die II: Bird Dogs of Paradise“ Jazz mit Postrock und Improvisation mit einem immer wieder durchschimmernden Punkgestus. „Vielleicht wird es irgendwann mal faschistischen Free Jazz geben, eigentlich glaube ich aber nicht daran“, hat Branch im Magazin The Wire postuliert. Denn freier Jazz sei „inhärent revolutionär“.

Dass man diese Musik sofort versteht, liegt auch an den eingängigen Melodien, die Branch aus ihrer Trompete hervorquellen lassen konnte. Bei aller Eingängigkeit spielte sie auch virtuos und ideenreich, und zwar in einer Selbstverständlichkeit, mit der andere Menschen atmen.

Reise zu den Grenzen des Genres

Und mit den Techniken und der Haltung einer Künstlerin, die ihr Genre nicht bediente, sondern immer wieder klangforschend an seinen Grenzen herumreiste. Zuletzt mit Drummer Jason Nazary im Duo Anteloper, bei dem sie Synthesizer und weitere elektronische Klangquellen ausschöpfte. Egal an welchem Instrument, in welcher Konstellation: Im Spiel Jaimie Branchs taten sich Welten auf.

Aufgewachsen ist Jaimie Branch in Huntington, Upstate New York, bevor sie mit der Familie in die Chicagoer Suburbia zog. Mit drei Jahren ging es ans Klavier, mit neun an die Trompete. Das sei ihre Berufung, „a calling“, gewesen. Zwischen Chicago und New York gab es noch weitere Stationen, etwa ein abgebrochenes Studium an der Baltimorer Towson University. „Baltimore ist eine harte Stadt, wenn du vom Heroin loskommen willst“, erzählte Branch 2017 dem Stadtzeitung Chicago Reader.

Der schöne Satz, dass es irgendwo ein Leben geben müsste, das sich anfühlt wie freie Musik, beschreibt auch das Versprechen, das im Spiel von Branch mitschwang. Die Trauer darüber, dass man dieses Leben nicht leben kann, ist in ihm ebenfalls enthalten.

Am Montag ist Jaimie Branch im Alter von 39 Jahren in ihrer Wohnung in Brooklyn gestorben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!