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JazzkolumneDer Revolutionär auf dem roten Sofa

Kommentar von Christian Broecking

Zu Besuch beim Jazzpionier Ornette Coleman. Am 2. Oktober wird er in Heidelberg auftreten.

Ornette Colemann, Saxophonist und Freejazzer. Bild: dpa

In seiner Begriffswelt spielen Vagina und Wahrhaftigkeit, Glaube, Kapitalismus und Liebe ganz große Rollen. In dem 1986 veröffentlichten Film "Ornette: Made in America" erzählt er, warum er sich vom Sex einst durch Kastration habe befreien wollen und dass der Arzt ihm zur Beschneidung riet. Die Filmemacherin Shirley Clarke hat dazu Bilder von der ersten Mondlandung montiert.

"Beethoven war schwarz", sagt Ornette Coleman zehn Jahre später; ein musikalisches Konzept, das weiß heißt, existiere für ihn nicht. Musik habe es bereits gegeben, bevor man wusste, was Farben sind. Aber die Weißen hätten jeden ausgegrenzt, der nicht das spielte, woran sie glaubten, an die Musik also, die sie weiß nennen. Und seitdem sei alles durcheinandergeraten: "Ich spreche nicht von weiß und schwarz, sondern von der Philosophie des Lebens."

Jetzt, mit 78 Jahren, sitzt der Soundrevolutionär und Saxophonist auf einem roten Sofa in seinem großzügigen Loft in Manhattan und berichtet, wie es ihm seitdem ergangen ist: "Ich habe herausgefunden, dass Rassismus nichts mit Hautfarbe zu tun hat", sagt Coleman. "Ich bin in großer Armut aufgewachsen, und ich habe mich immer gefragt, wie man meine Umgebung positiv verändern kann. Wie man etwas Lebenswertes schaffen kann. Meine Mutter war religiös und damit beschäftigt, ein guter Mensch zu sein. Sie ermutigte mich, meinen Weg zu gehen, sie wollte mich nie kontrollieren oder formen. Sie hatte recht damit. Heute kann ich sagen, dass ich überlebt habe, weil ich etwas geschaffen habe, das auch anderen Menschen etwas bedeutet."

Nach seinem Comeback mit der Live-CD "Sound Grammar", 2005 beim "Enjoy Jazz"-Festival in Ludwigshafen mitgeschnitten, wurde Coleman im vergangenen Jahr mit einem Grammy und dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Coleman spricht in diesem Zusammenhang vom menschlichen Faktor und dass Kunst mit der Fähigkeit zu tun hat, die Vorstellung von etwas Schönem lebendig werden zu lassen.

Dass er in Fort Worth, Texas, in einem rassistischen Spannungsfeld aufwuchs, interessiert ihn als Thema nicht. Er möchte seine Zeit nicht damit vertun, über Dinge nachzudenken, die ihn einst eingeengt und behindert haben. Die Zeit der Segregation habe er in seiner Musik schon lange vor deren gesetzmäßiger Abschaffung überwunden. Sein Vater starb früh, er kann sich an ihn nicht erinnern, und dass seine Eltern beide am 25. Dezember Geburtstag hatten, habe er erst viel später erfahren.

"Ich bin von Frauen erzogen worden, es gab keinen Mann in der Familie. Und ich habe bis heute nicht mit Männern zu tun gehabt, gegenüber denen ich mich in der Rolle eines Mannes habe behaupten müssen. Und das, obwohl ich mir alles selbst beigebracht habe. So habe ich gelernt, mein Instrument zu spielen, zu komponieren und wie man Sachen macht, die Männer so tun. Ich muss Fehler, die mir unterlaufen, nicht kaschieren. Mein musikalisches System basiert darauf, dass ich mit anderen teilen möchte. Wenn ich beschreiben könnte, was ich fühle, wäre die Welt ein Ort des Glücks."

Seine Lebenserfahrung basiere darauf, dass er einer Minderheit angehört, sagt Coleman. Er spreche Englisch und sehe einem Afrikaner ähnlich. "Als meine Mutter mir ein Saxofon schenkte, wusste ich damit nichts anzufangen. Und auch als ich bereits eine Symphonie komponieren konnte, litt ich immer noch unter den schrecklichen Verhältnissen, wie sie damals besonders im Süden der USA herrschten. Nachdem ich viele Platten gemacht und viele Länder gesehen habe, kann ich heute sagen, dass ich meinen Glauben an die menschlichen Grundwerte nicht verloren habe. Wie ich mir das alles beibringen konnte? Durch Tränen. Ich war traurig. Eine Träne kann offenbaren, was den Einsamen sonst verbaut ist. Ich erlebe das bis heute."

Sound ist für ihn ein Zeichen, das Ewigkeit symbolisiert. Und er könne das Leben der Menschen zum Guten wenden, glaubt Coleman, er habe Menschen bei seiner Musik weinen und lachen sehen. "Ich möchte keiner Bewegung vorstehen und über keinen Menschen bestimmen. Ich antworte gern, wenn man mich fragt, aber ich möchte kein Lehrer sein. Jeder muss selbst verantworten, was er tut. Identität funktioniert nicht, wenn sie den Segen anderer braucht. Ich bin mehrere Male getauft worden und habe verschiedene Religionen erlebt. In meinem Leben ziehe ich es vor, ehrlich zu sein, nicht zu lügen und nicht die Frau eines anderen zu verführen. Wenn meine Freundin mit mir nicht klarkommt, ermutige ich sie, einen passenderen Partner zu finden." Ornette Coleman hofft, einen Sound entwickelt zu haben, der frei jeglicher Aggression ist. Sound ist für ihn keine Waffe, sondern die höchste Form des Friedens unter den Menschen.

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