piwik no script img

Jazzfestival Moers trotz CoronaBitte nicht mit Applaus schießen!

Das Jazzfestival in Moers fand über Pfingsten statt, unter Covid-19 geschuldeten Bedingungen. Trotz Absagen kam ein überzeugendes Programm zustande.

Non-Art_Idiot Aktion in Moers Foto: Kristina Zalesskaya

Momentan können selbst scheinbar unbedeutende Meldungen maximale Wirkung entfalten: „In Moers fand über Pfingsten ein Festival statt“, wäre im Normalfall Frühsommeralltag. Durch die Coronapandemie wurde das Moers Festival, das 2020 zum 49. Mal angesetzt war, unter besonderen Umständen veranstaltet. Da Konzerte momentan rar gesät sind, die meisten Festivals über die Sommersaison abgesagt wurden, ist Moers einen anderen Weg gegangen.

Der künstlerische Leiter Tim Isfort und sein Team haben das Festival über die Bühne gebracht: Dafür gibt es viele Gründe, unter anderem – wohlgemerkt – wirtschaftliche: „Eine komplette Absage wäre teurer geworden, eine Summe im mittleren fünfstelligen Bereich“, hieß es. Fördergelder etwa seien zweckgebunden und nicht umzuwidmen oder gar ins kommende Jahr zu schieben.

So waren die vier Tage des Moers Festivals eine Gratwanderung: Mehr als bloß ein Stelldichein der internationalen Improv- und Jazzszene, wofür Moers immer schon Treffpunkt war, sondern Testballon und Leuchtturmprojekt eines ganzen Wirtschaftszweigs: Kann man in Zeiten von Corona etwas realisieren, das sich nicht schwermütig, steril oder lustlos präsentiert, sondern stimmungsvoll auf und vor der Bühne wirkt?

Live gestreamt

Das Programm wurde mithilfe des deutsch-französischen Medienpartners, des TV-Senders Arte, durchgezogen. Er hat live gestreamt, circa zehn Programmpunkte pro Tag – inklusive Diskussionen und nächtlichen Jamsessions.

Damit sich nicht die Kargheit und Blutleere anderer Live-Streams durchsetzten und zumindest halbwegs ein Gefühl von Puls aufkommen konnte, durfte zwar kein öffentliches Publikum zugegen sein, doch einige FotografInnen, JournalistInnen und andere KünstlerInnen. Alle mit Maske bekleidet und im Abstand von 150 Zentimetern. Das extrovertierte Team des Festivals hatte sich darüber hinaus noch weitere Gimmicks ausgedacht, um spielerisch auf die ungewohnte Atmosphäre zu reagieren.

Die Tribüne in der Eventhalle, auf der sonst Musikinteressierte neben Moerser BürgerInnen Platz nehmen, blieb diesmal leer. Der Parkplatz vor der Halle, der sich normalerweise während der vier Tage zum Markt entwickelt und Buden dicht an dicht bietet, blieb ebenso leer. Auch musste das Line-up Absagen stattlichen Ausmaßes wegstecken. Die Liste der Absagen klingt wie ein Who’s who der Szene. Der New Yorker Saxofonist John Zorn blieb etwa zu Hause, weil er gegen Streaming ist. Andere KünstlerInnen mussten aus diversen Gründen (Einreisebeschränkung, Risikogruppe) fernbleiben.

Bezaubernder zeitgenössischer Jazz

Trotzdem bot das Programm einige Höhepunkte: Die junge, noch unbekannte Kölner Combo Bört spielte am Freitagabend bezaubernden zeitgenössischen Jazz. Neben solchen Entdeckungen gab es auch Sureshots: Die Weilheimer Band The Notwist mit ihrem audiovisuellen Soundtrack-Projekt Messier Objects; der Kanadier Chilly Gonzales saß allein am Piano und machte, was er am besten kann: performen.

Besonders beeindruckend am Sonntagmittag: Patricia Martin, Kai Schumacher, Benedikt ter Braak und Mirela Zhulali, die die Komposition „Evil N****“ des afroamerikanischen Komponisten Julius Eastman spielten. Bekleidet mit schwarzen Hoodies, Regenbogenmundschutz und dem Hashtag „I can’t breathe“ auf dem Rücken. Eingedenk der Unruhen in den USA ein mächtiges Zeugnis der politischen Kraft von Musik.

In den oftmals bemüht wirkenden Aufnahmen des Streams verpuffte diese Energie dennoch. Insgesamt lässt sich leider feststellen: Auch frei von jeglichem Purismus und Aura-Esoterik ist die neutrale Objektivität der Kamera dem Konzerterlebnis alles andere als zuträglich. Sie bietet immer dann Distanz an, wenn Immersion gefragt wäre; je intensiver das Stück oder die Passage, je mitreißender das Spiel solcher Bands wie The Notwist, desto entfremdeter der Zuschauer am heimischen Empfangsgerät.

Dieses reziproke Verhältnis kann selbst ein TV-Sender wie Arte, der jahrelange Erfahrung mit der Aufzeichnung von Konzerten per Kameraschwenkkran hat, nicht auflösen.

Fehlende Immersion

Das Festival machte es einem zusätzlich schwer. In dem Bemühen, der fehlenden Immersion offensiv entgegenzusteuern, ließ man einen Schauspieler des Stadttheaters als „Miss Unimoers“ über die leeren Ränge der Eventhalle geistern, er schnibbelte Champignons vor einem Greenscreen oder verstörte einfach schlicht durch permanente Anwesenheit.

Gegen die unerträgliche Stille des fehlenden Applauses schoss man scharf: Brachial laute Beifallssalven wurden per Knopfdruck über die Hausanlage abgefeuert. Was als originelle Idee begann, entwickelte sich im Lauf der Festivaltage zum nervenden Störmoment und eskalierte am Samstagnachmittag, als die Performance von Marlies Debacker und ihrem Ensemble massiv vom überambitionierten Schützen an der Applauspistole gestört wurde.

Ein dringendes Warnsignal, dass man bei allem Frust über den andauernden Ausnahmezustand nie die Kunst torpedieren sollte. Davon abgesehen gibt es nun Antworten auf so manche Frage der Musikszene: Langsam aber sicher finden VeranstalterInnen, KünstlerInnen und Publikum Wege, um das wirtschaftliche Fortbestehen der Szene zu gewährleisten. Das ist derweil nur bei durchdringender Förderung möglich, wenigstens ist dies nun auch dem Letzten klar geworden. Über die Form darf man aber trotzdem noch mal streiten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Immersion?

  • Als Moers-Fan der (fast) ersten Stunde kann ich mir ein Moers-Festival ohne Publikum schlechterdings gar nicht vorstellen. Künstler und Publikum bildeten immer eine untrennbare Einheit, wo der eine sich blind auf den anderen verlassen konnte. Corona hat diese Einheit vorerst gestört, aber sicher nicht dauerhaft zerstört. Moers wäre nicht Moers, wenn es nicht diese enorme Fähigkeit zur Improvisation hätte. Das wunderbare Team um Tim Isford hat sich mit ihm auf diese Wurzeln besonnen und das Beste aus einer im Grunde aussichtslosen Situation gemacht - das war gut so, mutig und richtig.