■ Japans nackte Jugend: Pubertierende Kampfmaschinen: die Helden der Manga-Epen Von Jens Balzer
Selbstzweifel? Ich-Probleme? Kein gesundes Körperempfinden? Wer als Superheld dereinst im Comic die Welt verteidigen durfte, war von psychosozialen Belastungen weitgehend freigestellt. Ob Superman, Batman oder die Fantastischen Vier: Gern erinnern wir uns an ihre gefestigten Charaktere, an eisernes Selbstvertrauen und untrügliches Urteilsvermögen. Das waren noch positive Identifikationsfiguren für den Pubertierenden.
Nun ist die Zeit unerschütterten Superheldentums, wie man weiß, selbst in den Comics lange vorbei. Eine Weile hielten postmoderne Verfallsformen der klassischen Helden die Kundschaft bei Laune: alternde Vigilanten, die sich verdrießlich in bessere Zeiten wünschten. Jetzt scheint es auch damit genug. Doch Hilfe naht. Aus Japan kommen die Vertreter eines unbelasteten und modernistischen Neuanfangs: die Cyberpunks. Nahkampferprobte Teenager mit ungewöhnlichen Fähigkeiten, die in japanischen Comics (Mangas) und Zeichentrickfilmen (Animes) der Jugend als neues Rollenmodell angedient werden.
Vom alten Ideal der selbstbestimmten Persönlichkeit sind auch die Cyberpunks weit entfernt: Gefällige Schizophrenie ist ihr Geheimnis. Zwar erfüllen sie im Tagesgeschäft der akuten Gefahrenbewältigung ihre Aufgaben untadelig. Erfolgreich kämpfen sie gegen Superschurken und geheime Weltverschwörungen. Doch der Schein der Allmächtigkeit trügt. Gleichzeitig gibt es kein modisches Psychotrauma, mit dem ihre kurzen Biographien nicht belastet wären. Um die Jugend betrogen. Im Ich gespalten. Dem eigenen Körper entfremdet. All das wird unablässig erinnert und durchgearbeitet.
Dabei gibt es ein existentielles Problem, das ihnen allen gemein ist, einen dunklen Fleck in der frühen Kindheit. Ihre unverwechselbaren Talente – Gedankenlese5zn, Telekinese, schneller schießen als der eigene Schatten – wurden nicht etwa durch hartes Training erworben oder als Geschenk von einem fernen Planeten mitgebracht. Nein: Man hat ihre Superkräfte, ganz irdisch-real, in der Retorte zusammengebastelt. Von skrupellosen Wissenschaftlern wurden sie für Psycho- und Techno-Experimente mißbraucht. Man implementierte ihnen parapsychologische Wunderkräfte. Oder baute sie, mit ein paar High-Tech-Prothesen, zu unbesiegbaren Kampfmaschinen um. Als Cyborgs – kybernetisch-organische Zwitterwesen – müssen sie die gefährlichsten Missionen bestehen. Ob sie wollen oder nicht.
Und selbst wenn sie dabei lebend davonkommen: Kein Wunder, daß von der unsanften Konditionierung ein paar veritable Psychosen zurückbleiben. „Bin ich Mensch? Bin ich Maschine?“ So fragt sich verzweifelt, wer eben noch – ganz unbedarfter Unterprimaner – seine zart erblühende Sexualität für das gewichtigste aller Ich-Probleme hielt. Die Leiden der jungen Cyborgs: auch eine Metapher für die Widrigkeiten der Pubertät. Gleichzeitig jedoch, typisch japanisch, eine Technikkritik ohne unnötigen Defätismus. Denn läuft alles zufriedenstellend, bgreifen die Helden: Selbst mit ein paar Mikrochips im Hirn und mit einem Turbo-Raketenwerfer als Armersatz geht das Leben irgendwie weiter. Man muß nur lernen, die unvertrauten Kräfte unter Kontrolle zu halten.
Am Wochende präsentiert das Museum für Völkerkunde eine großangelegte Veranstaltungsreihe zum Thema. Hingehen! Infos unter: Tel.: 44 19 55 34
Das Zeise bereitet eine Reihe mit Manga-Filmen vor, die vorraussichtlich Ende nächster Woche startet. Infos unter: Tel. 390 87 70
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