Japans Oberhauswahlen: Reformer ausgebremst
Die seit vergangenem September in Japan amtierende Reformpartei DPJ erhält einen Denkzettel. Jetzt muss sie mit wechselnden Mehrheiten regieren.
Japans Wähler haben zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres die Geduld mit ihren Politikern verloren. Nachdem sie im letzten August über fünf Jahrzehnte Dauerherrschaft der Liberaldemokraten (LDP) beendet hatten, nahmen sie bei der Oberhauswahl am Sonntag der Demokratischen Partei (DPJ) von Premierminister Naoto Kan die Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer weg. Damit ist die Dominanz der jungen Reformpartei in Japans Politik schon wieder beendet. Die DPJ kontrolliert zwar noch das wichtigere Unterhaus, aber muss sich nun wechselnde Mehrheiten im Oberhaus suchen. Dort sind alle Gesetze außer dem Haushalt und internationalen Verträgen zustimmungspflichtig. Der von Kan propagierte "dritte Weg", nämlich mit höheren Steuern neue Arbeitsplätze zu finanzieren, lässt sich so nur noch schwer verwirklichen.
Statt der angestrebten 54 Sitze erreichte die DPJ nur 44 Sitze, während die oppositionellen Liberaldemokraten (LDP) mit 51 Sitzen die meisten Stimmen erhielten. LDP-Chef Sadakazu Tanigaki jubelte über dieses Comeback. Doch in Tokio werden die LDP-Gewinne eher als Votum gegen die DPJ verstanden.
Der zweite Wahlgewinner war die neue Reformgruppe "Ihre Partei" des früheren LDP-Generalsekretärs Yoshimi Watanabe. Sie tritt für weniger Staat ein und errang aus dem Stand zehn Sitze. "Die Japaner mögen lieber eine Konsens-Demokratie als eine Herrschaft der Mehrheit", erklärte Shiratori Rei, Präsident des Instituts für Politikstudien, die Stärkung der Opposition.
Premierminister Naoto Kan übernahm spät in der Wahlnacht die Verantwortung für das Debakel. Er hatte aus heiterem Himmel eine höhere Mehrwertsteuer vorgeschlagen, obwohl seine Partei dies bis 2013 ausgeschlossen hatte. Zugleich wollte Kan sich nicht festlegen, wofür das Geld verwandt wird - zum Schuldenabbau, zur Rentensicherung oder zur Arbeitsbeschaffung. Dieses Lavieren schmeckte vielen Wählern nicht. "Ein großer Faktor bei der Niederlage war wohl, dass eine ausreichende Erklärung für die Steuererhöhung fehlte", räumte Kan kleinlaut ein.
Dennoch will der 63-Jährige als Premier weitermachen. Allerdings stehen ihm schwere Zeiten bevor. Zum einen droht Kan eine Revolte in der eigenen Partei: Exgeneralsekretär Ichiro Ozawa möchte ihn bei der Wiederwahl als Parteivorsitzender im September stürzen. Zum anderen will sich keine Partei an der Regierungskoalition aus DPJ und Neuer Volkspartei beteiligen. "Niemand will ein sinkendes Schiff betreten", meinte der Japan-Experte Gerald Curtis in Tokio. Die LDP drängte bereits auf eine Neuwahl des Unterhauses.
Doch Kan will versuchen, je nach Thema Bündnispartner im Oberhaus zu finden. Mit der buddhistischen Komeito-Partei ließe sich der Sozialstaat ausbauen und mit der neuen Reformgruppe "Ihre Partei" die Beamtenmacht verkleinern. DPJ und LDP könnten sich auf geringere Unternehmensteuern einigen. Wahrscheinlicher ist jedoch die Verzögerung und Verwässerung vieler Vorhaben bis hin zum Stillstand.
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