: Japan verstaatlicht Großbank
■ Ein Symbol des japanischen Wirtschaftswunders steht vor dem Aus. Die Großbank LTCB ist insolvent und wird verstaatlicht
Tokio (taz) – Die US-Besatzung zog nach dem Zweiten Weltkrieg gerade aus dem noch teilweise zertrümmerten Tokio ab, als die japanische Regierung eine weitsichtige finanzpolitische Entscheidung traf. Sie gründete drei Langfrist-Kreditbanken, die der im Aufbau befindlichen Industrie zu leichteren Krediten verhelfen sollten. Die Long Term Credit Bank (LTCB) war eines dieser Geldinstitute, das seit 1952 instrumental war für den Aufschwung der Japan AG.
Gestern nun ist dieses Symbol des japanischen Wirtschaftswunders gefallen. Der Grund: Insolvenz. Die LTCB wird verstaatlicht. Ein Schuldenberg von nahezu 27 Milliarden Mark übernimmt der Staat. Danach kommt wohl die Liquidierung.
Liquidiert wurde die LTCB bereits vom Markt. Am Freitag sank der Aktienpreis auf 2 Yen oder 48 Yen tiefer als der Ausgabepreis. Der Handel mit LTCB-Aktien wurde 30 Minuten nach Börsenbeginn eingestellt. Am heutigen Samstag wird der Titel aus dem Register gestrichen. Der Schritt gilt in Tokio als bedeutungsvoll für die Sanierung des angeschlagenen Finanzsektors. Es dürfte auch der Anfang des Umbaus der japanischen Volkswirtschaft sein, die sich nach einer überbordenden Spekulationszeit Ende der achtziger Jahre bis heute nicht vom Kater erholt hat. Über 1.000 Milliarden Mark Problemkredite lasten auf der Finanzbranche, die zum schlimmsten Bremsklotz für die Erholung der rezessionsgeplagten japanischen Wirtschaft geworden sind.
Denn statt Kredite zu vergeben an neue Industrien, rufen die Banken ihre Ausleihungen zurück und haben eine verheerende Kreditknappheit in der japanischen Industrie verursacht. Am Freitag sind nun neue Bankgesetze in Kraft getreten, die der Branche mit 60 Billionen Yen (840 Milliarden Mark) aus der Klemme helfen sollen. Wieviel Banken diese staatlichen Hilfen aber beantragen werden, ist noch ungewiß. Auch die Bedingungen, die sich mit diesen Bankhilfen verbinden, sind noch nicht geklärt.
Die Verstaatlichung der LTCB ist der erste Schritt zu einer Restrukturierung des gesamten Finanzsektors. Die Ausgangslage sieht verheerend aus. Die Kontrollbehörde für den Finanzsektor (FSA) mußte am Freitag öffentlich zugeben, daß die LTCB Verluste von 500 Milliarden Yen (6,9 Milliarden Mark) eingefahren und Problemkredite von rund 20 Milliarden im Buche führt. Nicht mitgezählt sind in dieser Aufstellung „fragwürdige Kredite“ von 3,3 Billionen Yen (45,5 Milliarden Mark), die nur dann eingefordert werden können, wenn sich die Konjunktur schnell erholt.
Premier Keizo Obuchi und seine regierende LDP müssen in den kommenden Tagen einleuchtende Programme zur Konjunkturankurbelung vorstellen, wenn das Bankenfiasko in Japan tatsächlich gelöst werden soll. „Ansonsten steht die Verstaatlichung des gesamten Sektors zur Diskussion“, sagt die angesehene Finanzexpertin Alicia Ogawa vom Investmenthaus Salomon Brothers in Tokio. André Kunz
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