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Jahresbilanz zur ClankriminalitätGeisels maue Bilanz

Kommentar von Susanne Memarnia

Als Beleg für Clankriminalität dienen Berlins Innensenator vor allem Ordnungswidrigkeiten. Arabischstämmige Berliner empfinden das als rassistisch.

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) findet viel unverzollten Tabak Foto: dpa

W ie steht es eigentlich um die „Clankriminalität“? Dieser recht neuen Verbrechensform, die sich – glaubt man meist reißerischen Medienberichten – wie eine vielköpfige Hydra in Berlin und Deutschland ausbreitet, hatten Politik und Polizei vor knapp zwei Jahren den Kampf angesagt.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) legte damals einen 5-Punkte-Plan vor, der unter anderem vorsah, im Clanmilieu „konsequent“ auch kleinere Regelverstöße zu ahnden und verstärkt Gewerbe- und Finanzkontrollen durchzuführen. Diesen Montag legten LKA und Innenverwaltung nun ihre erste Jahresbilanz zur Bekämpfung der Clankriminalität vor.

Die ist eher mau. 382 Einsätze hat die Polizei 2019 im Zusammenhang mit Clankriminalität durchgeführt, davon 104 im „Verbund“ mit anderen Stellen wie Ordnungsämtern, Steuerfahndung, Zoll. Im Schnitt zweimal die Woche rückten die versammelten Ordnungshüter also aus – und kontrollierten dabei unter anderem 190 Shisha-Bars, 322 Cafés/Bars, 60 Wettbüros und Spielstätten, 25 Barber-Shops, 11 Juweliere. Dabei wurden 35.000 Euro beschlagnahmt, dazu 31.606 Zigaretten und 554 Kilogramm Wasserpfeifentabak (beides unverzollt), 123 Pkw, 2 Motorräder und 104 Waffen.

Es gab 972 Strafanzeigen – davon 428 Drogendelikte, 100 Verkehrsstraftaten, 55 Verstöße gegen das Waffengesetz. Es gab aber vor allem: 5.908 Ordnungswidrigkeitsverfahren, davon 5.398 (sic!) Verkehrsordnungswidrigkeiten und 499 sonstige wie Verstöße nach dem Jugendschutzgesetz, der Preisangabenverordnung, der Gewerbeordnung oder dem Gaststättengesetz.

Was Geisel und seine Polizeipräsidentin nicht schaffen: zu erklären, was kleine Verkehrsdelikte und Bagatellen im Gewerberecht mit gefährlichen Clans zu tun haben

Kurz gesagt: Bei den Razzien in migrantischen (Klein-)Gewerben kommt vor allem Kleinkram heraus. Straftaten, wie man sie gefährlichen Kriminellen zutraut, kann man dagegen an vier Händen abzählen: Raub 2, Sexualdelikte 2, Eigentumsdelikte 12, Betrug 3, Bedrohung 3. Kein Wunder, dass Geisels Strategie von arabischstämmigen Berliner*innen immer stärker als rassistische Schikane und Einschüchterung empfunden wird.

Denn was Geisel und seine Polizeipräsidentin nicht schaffen: zu erklären, was kleine Verkehrsdelikte und Bagatellen im Gewerberecht mit gefährlichen Clans zu tun haben. Weiterhin hantieren sie in dem Bericht mit Sarrazin’schen Phrasen wie etwa der angeblich „in weiten Teilen der arabischstämmigen Community bestehenden Parallelgesellschaft“.

Auch diffuse Verweise auf eine „Ablehnung des in Deutschland vorherrschenden Werte- und Normensystems“ helfen bei der Verbrechensbekämpfung kaum weiter. Denn das ist trivial: Offenkundig lehnen alle Verbrecher, auch deutsche, die Rechtsordnung ab – darum verstoßen sie dagegen. Aber: Was hat das mit dem kleinen Mann auf der Sonnenallee zu tun?

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Redakteurin taz.Berlin
Jahrgang 1969, seit 2003 bei der taz, erst in Köln, seit 2007 in Berlin. Ist im Berliner Lokalteil verantwortlich für die Themenbereiche Migration und Antirassismus.
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9 Kommentare

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  • Der Aspekt der Steuerhinterziehung fehlt in dem Artikel. 31.000 Zigaretten und über 500 kg Wasserpfeifentabak sind nicht gerade wenig.

  • TAZ: "Bei den Razzien in migrantischen (Klein-)Gewerben kommt vor allem Kleinkram heraus ... 55 Verstöße gegen das Waffengesetz ... "



    Diese 55 sind natürlich gemessen an den knapp 400 Einsätzen / Razzien der Polizei: Peanuts.



    Danke Susanne Memarnia für diese Einordnung!

  • Als Kriminalbeamter der sich in den letzten Jahren ausschließlich mit Clankriminalität beschäftigt hat, muss ich mich über so einen Artikel sehr wundern. Offenbar ordnen Sie hier Ihren eigenen Wunschvorstellungen die Realität unter, warum man das als Journalist macht weiß ich nicht, wahrscheinlich fehlt einfach Wissen oder die Lust zum Wissen. Die Clankriminalität die ich bekämpfe ist ausschließlich organisierte Kriminalität in allen erdenklichen Formen und übelster Art. Prostitution, Drogenhandel, Erpressung, Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit, welche meist dazu dienen Menschen einzuschüchtern, um den Profit zu erhalten. All dies findet in eben diesen Parallelgesellschaften statt, was es der Polizei, die ohnehin kaputt gespart wurde, sehr schwer macht. Das Posen mit dicken Autos und Angriffe auf Polizeibeamte, bei Verrichtungen normalster Tätigkeiten, dienen dabei dazu die Verachtung für diesen Staat zu demonstrieren. Daher ist es auch wichtig diese konsequent zu verfolgen. Hier alles plump als Rassismus darzustellen und dann noch mit der Sarazinkeule zu kommen, ist einfach nur Unsinn. Ich empfehle Ihnen mal das Buch von Ralph Ghadban, "Arabische Clans" zu lesen.

    • Susanne Memarnia , Autorin des Artikels, Redakteurin taz.Berlin
      @E. R. Kandt:

      Sehr geehrter Herr Kandt,



      ich habe Ralph Ghadbans Buch gelesen und dazu auch ein Interview mit ihm geführt. Siehe taz.de/Organisiert...nalitaet/!5563374/ Aber auch er verallgemeinert darin was meines Erachtens nicht geht. Zum Beispiel antwortet er auf die Frage, ob es nicht übertrieben sei, dass sich die Clans wie Kraken überall ausbreiten: Nein, das sehe er auch so, in seiner Wohngegend hätten jetzt mehrere Shisha-Bars aufgemacht! Genau das halte ich für das Problem: Shisha-Bar wird gleich gesetzt mit Clankriminalität. Ähnlich scheint es mir bei den Razzien in "arabischen" Geschäften: Wieso sind die alle verdächtig? Wenn es Hinweise gibt, dass einzelne mit der Organisierten Kriminalität zu tun haben, dann soll man strafrechtlich gegen sie vorgehen. Werden denn vietnamesische Geschäfte permanent belästigt, weil es viel vietnamesischen Menschenhandel gibt?? Werden russische Läden andauernd mit Razzien überzogen, um der "Russenmaffia" Herr zu werden? Man macht das nur bei "den Arabern", weil sie allesamt der parallelgesellschaftlichen Abgrenzung verdächtigt. Weiteres Beispiel: Wenn Deutsche als gefährliche Raser erwischt werden, bekommen sie eine Geldstrafe, vielleicht den Führerschein weg. Wenn ein "Araber" (mit einem bestimmten Nachnamen) das macht, fällt das unter "Clankriminalität" - weil es ja von der Ablehnung des deutschen Rechtssystems zeugt.



      Aber Ihre Wahrnehmung und Erfahrung zu diesem Thema interessiert mich, wenn Sie Kriminalbeamter sind, wie Sie schreiben. Ich würde gerne mit Ihnen ein Interview dazu führen, in dem Sie Ihre Sicht darstellen können. Wenn Sie Interesse haben, freue ich mich über eine Kontaktaufnahme per mail: memarnia@taz.de Mit freundlichen Grüßen Susanne Memarnia

  • Wer nach den Razzien vermehrt Strafverfahren wegen Mord, Raub und sexuelle Nötigung einfordert, hat das kriminelle Tun der Clans noch nicht verstanden ... und auch keine Idee von Polizeiarbeit.

  • Die vermeintlichen Clans sind eine kleine Ansammlung von wenigen Kleinkriminellen, die in den Medien als Pate, Patron, Präsident... aufgebaut werden, zur Unterhaltung der Leser. Politisches und wirtschaftliches Missmanagement, BER, öffentliche Verkehrsmittel... gerät leicht in den Hintergrund des öffentlichen Diskurses. Nach dem Motto: Gibt den Hunden ein Stück Knochen, um sie zu beschäftigen. Ich gehöre zu einem dieser berüchtigtem Clan, habe hier studiert, habe eine Praxis und zahle knapp 30.000 Steuern im Jahr. Ich weiß, wo von ich spreche!

    • Susanne Memarnia , Autorin des Artikels, Redakteurin taz.Berlin
      @Obeydy:

      Sehr geehrte oder geeehrter Obeydy, Sie schreiben, Sie gehörten zu einem dieser berüchtigten Clans. Könnten wir uns darüber unterhalten - natürlich gerne anonym? Ich würde das Thema gerne in verschiedene RIchtungen hin vertiefen und bin dafür auf der Suche nach Gesprächspartnern. Wenn Sie Interesse hätten, kontaktieren Sie mich doch bitte unter meiner Mailadresse: memarnia@taz.de Mit freundlichen Grüßen Susanne Memarnia

  • Harmlos?

    “Ein Fünftel aller von den Berliner Behörden geführten Verfahren zur Organisierten Kriminalität betreffen arabischstämmige Clans. Kriminelle Mitglieder bestimmter libanesisch- und arabischstämmiger Großfamilien waren in den vergangenen Jahren wegen diverser Straftaten verurteilt worden. Dazu gehörten Überfälle auf Schmuckabteilungen etwa im Luxuskaufhaus KaDeWe sowie spektakuläre Einbrüche in das Bode-Museum mit dem Diebstahl einer riesigen Goldmünze und in eine Sparkasse.

    Die Behörden gehen auch gegen den Versuch vor, die Erlöse aus Straftaten zu legalisieren. 2018 wurden 77 Immobilien von Angehörigen des Remmo-Clans mit einem Gesamtwert von 9,3 Millionen Euro sichergestellt (...)

    Weitere Einnahmequellen der Clans sind neben Drogenhandel und Koks-Taxis der Steuerbetrug beim Verkauf von Shishatabak, aber auch das Rotlichtmilieu. Und Rivalitäten zwischen Clan-Mitgliedern werden schon mal gewaltsam auf offener Straße mit Schusswaffen, Messern, Holzlatten und Macheten ausgetragen.

    Die Straftäter und die kriminellen Strukturen nutzen bei ihren Machenschaften auch ‘ihre Verbindungen zu speziellen Szenen wie Rockern, Türstehern, Rappern und Boxern sowie gewerbliche Aktivitäten, wie das Betreiben von Shisha-Bars, An- und Verkaufsgeschäften, Barber-Shops, Juweliergeschäften und Autovermietungen’, heißt es in dem Bericht. Die Clans seien in ‘ziemlich allen Betätigungsfeldern unterwegs’, sagte GdP-Landeschef Norbert Cioma. Über kriminelle Machenschaften ‘werden Milliarden Euro erwirtschaftet’.

    Es geht aber auch um Jugendkriminalität, verbotene Autorennen und ‘Tumultlagen’. Und wenn es zu Strafverfahren kommt, stellen die Ermittler fest, dass Zeugen und Opfer bedroht, eingeschüchtert oder mit Geld zum Schweigen gebracht werden. Zudem fällt den Ermittlern ‘konspiratives und dreistes Verhalten der Straftäter’ auf, wie etwas ‘das Ausspähen von Polizeiliegenschaften oder die Vernichtung und Entwendung von Beweismitteln’.”

    (Tagesspiegel v. 25.5.2020)

    • @Weber:

      Im Vergleich zu dem, was sich etwa VW herausgenommen hat, würde ich sagen... ja. Peanuts. Auch Andy Scheuer hat mehr Geld in Bewegung gesetzt.

      Dreist waren die beiden auch.