Jahresbericht von Amnesty International: Düstere Aussichten für Zivilisten

Die ersten Opfer in Bürgerkriegsgebieten sind Zivilisten. Amnesty International beklagt, dass sie zwischen die Fronten von Milizen und Militär geraten.

Zivilisten bleibt oft kein andere Ausweg, als Schutz in Flüchtlingslagern zu suchen (im Bild Suruc, nahe der türkisch-syrischen Grenze). Bild: ap

WIEN taz | Amnesty International beobachtet einen beunruhigenden Trend: „Staaten, die bewaffneten Gruppen unterliegen und außerstande sind, die Bevölkerung vor unfassbaren Gräueltaten zu schützen“. So der Begleittext zum jüngsten Jahresbericht, der am Dienstag weltweit präsentiert wurde. In Syrien und dem Irak, in Nigeria und der Ukraine sei die Zivilbevölkerung in der Gewaltspirale zwischen Sicherheitskräften und Milizen gefangen.

Dafür seien auch Regierungen mitverantwortlich, so der „Amnesty Report“, der vorerst nur in englischer Sprache vorliegt. So berichtet Amnesty von Folter, Verschwindenlassen und Tötung von Gefangenen in nigerianischen Gefängnissen. Polizei und Militär würden nicht nur im Kampf gegen die islamistische Miliz Boko Haram rechtsstaatliche Regeln systematisch missachten. Verdächtigen werde ein faires Verfahren verweigert, Sicherheitskräfte würden praktisch nie für Verbrechen zur Verantwortung gezogen.

Langfristig sei dieser humanitären Katastrophe nur beizukommen, wenn in den betroffenen Ländern die Sicherheitskräfte professionalisiert und die Konflikte politisch entschärft werden.

Aber auch kurzfristig müsse gehandelt werden: „Es ist höchste Zeit, dass auf regionaler Ebene und von der internationalen Gemeinschaft eine passende Antwort auf diese Krisen gefunden wird“, so Heinz Patzelt, Generalsekretär von Amnesty Österreich. Er sieht auch die Vereinten Nationen in der Pflicht.

Das Vetorecht lähmt den Sicherheitsrat

Der UN-Sicherheitsrat sei eine Fehlgeburt: Seine Handlungsfähigkeit werde durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder gelähmt, weil diese „auf opportunistische und widerwärtige Art immer ihre Eigeninteressen voranstellen“. Amnesty appelliert daher an die Vetomächte, „in Fällen von Völkermord und anderen in großem Umfang begangenen Gräueltaten dauerhaft auf ihr Vetorecht zu verzichten“.

Der dadurch gewonnene Spielraum würde es ermöglichen, neue Interventionsmöglichkeiten zu entwickeln und das Leben von Zivilisten zu retten. Das klinge zwar naiv, doch sei es an der Zeit, „die Naivität in praktische Realität umzuwandeln“.

Ein besonderer Schwerpunkt ist auch der Ukraine gewidmet. Deswegen war Bogdan Ovcharuk, Sprecher der ukrainischen Amnesty-Sektion, bei der Wiener Pressekonferenz als authentischer Zeuge geladen. Er warf sowohl den prorussischen Separatisten auch auch der Regierungsarmee und den von Oligarchen gesponserten „Freiwilligenbataillons“ schwere Menschenrechtsverletzungen vor.

Ermordete Zivilisten

Die Armee sei für Artilleriebeschuss von zivilen Siedlungen verantwortlich, die irregulären Verbände beider Seiten für Folter und die Verschleppung von Zivilisten zur Erpressung von Lösegeld.

Für die Ostukraine dokumentiert der Amnesty-Bericht die Ermordung von Zivilisten und die Exekution eines mutmaßlichen Drogenhändlers in der Nähe von Sjewjerodonezk. Auf der von Russland annektierten Krim konstatierte Ovcharuk bei einem Besuch im Herbst verschiedene Repressalien gegen die Anführer der Krimtataren, darunter willkürliche Verhaftung und Misshandlung. Unter russischer Herrschaft seien das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit stark eingeschränkt worden.

Die Aussichten für seine Heimat beurteilt Ovcharuk als „düster“. Ein Jahr nach den Schüssen auf die Maidan-Demonstranten in Kiew seien die Schützen noch immer nicht zur Verantwortung gezogen worden, klagt Ovcharuk. Der Generalstaatsanwalt sei zwar bereit, die blutigen Ereignisse zu untersuchen – doch werde er vom Innenministerium zurückgepfiffen, das die Täter – bis heute aktive Polizisten – schützen wolle.

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