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Jahresbericht von Ärzte ohne GrenzenNeutralität sichert Überleben

Für die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen bestätigen die jüngsten Erfahrungen in Afghanistan, wie wichtig es für Helfer ist, nicht mit einer der Konfliktparteien identifiziert zu werden.

Hilfsorganisationen wie "Medecins Sans Frontieres" (Ärzte ohne Grenzen) geraten immer mehr ins Visier der Konfliktparteien. Bild: dpa

BERLIN taz | Die deutsche Sektion von Ärzte ohne Grenzen (MSF) hat bei der Vorstellung ihres Jahresberichts erneut Forderungen nach Zusammenarbeit mit dem Militär in Afghanistan zurückgewiesen. Sie begründete dies mit den Erfolgen ihrer auf strikter Neutralität beruhenden Arbeit. "Nur unsere völlige Unabhängigkeit und Neutralität ermöglichen uns in Kontexten wie Afghanistan den Zugang zu den Menschen, die medizinische Nothilfe benötigen", sagte der Vorstandsvorsitzende Tankred Stöbe am Freitag in Berlin.

MSF war im Oktober 2009 nach Verhandlungen mit allen Konfliktparteien nach Afghanistan zurückgekehrt. 2004 waren im Norden des Landes fünf Mitarbeiter der Organisation, darunter drei Ausländer, ermordet worden. MSF stellte darauf nach 24 Jahren seine Hilfe in Afghanistan ein. Dass MSF zurückkehrte, obwohl die Mörder nicht belangt worden seien, begründete Stöbe mit der großen Not im Land. Die habe sich seit 2004 verschlimmert. So habe Afghanistan die höchste Kinder- und Müttersterblichkeit weltweit.

MSF bietet jetzt laut Stöbe in zwei Krankenhäusern kostenlos medizinische Hilfe: In einem Distriktkrankenhaus im Osten Kabuls und in einem Hospital in Lashkargah, der Hauptstadt der umkämpften Drogen- und Talibanprovinz Helmand. Es sei eines von nur zwei öffentlichen Krankenhäusern im Süden des Landes. "Wer Hilfe sucht, geht auf dem Weg durch die Konfliktgebiete hohe Risiken ein. Auch für Ärzte ohne Grenzen ist die Sicherheitslage extrem kompliziert", erläuterte Stöbe. Die Mitarbeiter stünden mit allen Konfliktparteien in ständigem Kontakt und hätten mit diesen ausgehandelt, dass sie ihre Waffen von den Krankenhäusern in Kabul und Lashkargah fernhalten.

Zuvor sei das Krankenhaus in Lashkargah leer gewesen, weil Patienten damit rechnen mussten, auch dort von ihren Gegnern bekämpft zu werden. Seit das Waffenverbot im Hospital durchgesetzt werde, würde die benötigte medizinische Hilfe auch nachgefragt. Das Krankenhaus sei voll, so Stöbe. MSF behandle dort alle Patienten gleich.

Ausdrücklich wies er Forderungen von Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und Bundesentwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) zurück, die Hilfsorganisationen zur Zusammenarbeit mit der Nato drängen und deren Hilfe als Teil der Aufstandsbekämpfung nutzen wollen. "Kooperationen mit dem Militär und die Diskussion darüber gefährden unsere Sicherheit, unsere Arbeit - und damit letztlich das Leben unserer Patienten", sagte Stöbe. Es entstehe der Eindruck, alle westlichen Organisationen gehörten zusammen.

Um seine Unabhängigkeit von Regierungen zu betonen, finanziere MSF seine Arbeit in Afghanistan deshalb nur mit privaten Spenden. "Wir nehmen von keiner an dem Konflikt beteiligten Parteien Geld. Auch nicht von der deutschen Regierung", so Stöbe.

Nach Afghanistan flossen von MSF 2009 rund 2,3 Millionen Euro, davon 13.000 von der deutschen Sektion. Diese nahm im vergangenen Jahr 44,6 Millionen ein, davon 35,1 Millionen aus Privatspenden. Dies sei eine leichte Steigerung. Befürchtungen über negative Auswirkungen der Finanzkrise hätten sich nicht bewahrheitet. Die größten Summen flossen 2009 in Projekte in der Demokratischen Republik Kongo und im Sudan. Nach dem Erdbeben am 12. Januar wurde inzwischen Haiti zum größten Einsatz der Organisation.

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1 Kommentar

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  • TA
    thomas aus dem westen

    Das ist dem Niebel eh zu hoch, Ärzte,die nicht erst nach Honorar, Vergütung und Lobbyvertretung fragen; sondern Ärzte die ohne Rücksicht auf das eigene Wohl,ohne Rücksicht auf persönliche Risiken, selbstlos und verantwortungsbewusst handeln, Ärzte die im Geist von Hippokrates handeln.

     

    Die Strategie von MSF ist vollkommen richtig, wie sollten sie auch unter solch unmöglichen Verhältnissen helfen bzw. selbst überleben können, wenn eine der Konfliktparteien sie für einen verdeckten Arm des Gegners halten würde.

     

    Aber wer wundert sich hier denn noch? Das kennen wir doch schon aus dem eigenen Land, politische Ziele wieder dem Wohl der Allgemeinheit und wieder der Vernunft durchsetzen, warum sollten FDP- Politiker in Afghanistan oder sonst wo auf der Welt anders handeln als in der BRD?