Ja zu Rot-Grün in Hessen: Linkspartei auf Realokurs

Ein Parteitag der Hessen-Linken hat die Wahl von SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin befürwortet. Sie zeigt sich als pragmatisch - und konfliktscheu.

Zustimmung für die Ypsilanti-Duldung: Die Genossen in Lollar enttäuschen Lafontaine nicht. Bild: dpa

LOLLAR taz Für einen kurzen Moment steht der Parteitag der hessischen Linken still. Die Genossen sind gerade dabei, ziemlich umständlich zum dritten Mal zu beschließen, dass sie von der Trennung von Amt und Mandat nichts halten. Da betritt Oskar Lafontaine, umringt von Fotografen, den tristen Saal des Bürgerhauses in der hessischen Kleinstadt Lollar. Die Delegierten springen auf, applaudieren begeistert, die Anträge werden beiseitegeschoben, die Bühne wird für den großen Vorsitzenden frei geräumt.

Der saarländische und der niedersächsische Ministerpräsident, Peter Müller und Christian Wulff (beide CDU), stellen für den Fall, dass die SPD in Hessen mit der Linkspartei zusammenarbeitet, die große Koalition infrage. "Kein Mensch glaubt der SPD dann noch, dass sie es im Bund nicht auch mit den Kommunisten machen würde", sagte Wulff der Bild am Sonntag. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit in der großen Koalition in Berlin könne er sich so nicht vorstellen. Schon jetzt seien die Sozialdemokraten häufig kein verlässlicher Partner mehr. Der Linkspartei warf er vor, sich in die Nähe des Terrorismus zu begeben. "Die Linke flirtet weltweit mit Extremisten der PKK, der ETA, der Hamas, der Hisbollah", sagte Wulff. Der saarländische Ministerpräsident Müller sagte, es werde Folgen haben, wenn die SPD nicht davor zurückschrecke, selbst im Westen mit der Linken gemeinsame Sache zu machen. Sollte es zu Rot-Grün-Rot in Hessen kommen, "spricht alles dafür, die große Koalition rasch zu beenden".

Lafontaine prangert mit rotem Kopf den "Betrug am Volk" an, attackiert, wie immer, scharf die SPD und lobt Andrea Ypsilanti, die Chefin der Hessen-SPD. Es ist eine typische Lafontaine-Rede an diesem Samstagvormittag. Emotionalisierend, mit Bierzelt-Touch, beißender Polemik und schroffem "Wir gegen die". In der Kernfrage, was genau die hessische Linke nun tun soll, bleibt der Linksparteichef aber seltsam vage. Ob Duldung oder Tolerierung von Rot-Grün sei nicht so wichtig - Hauptsache, die Linkspartei macht eine Politik, "die die Lebensbedingungen der Menschen verbessert".

Der Parteitag dankte es mit tosendem Beifall. Ein Hauch von Heilserwartung und Starkult machte sich breit - was bei einer Partei, die sich sonst den Gestus des Rebellischen und Nonkonformen gibt, befremdlich wirkte. Lafontaine reiste danach ziemlich rasch wieder ab. Und der Parteitag kämpfte sich weiter durch das Gestrüpp von Initiativ- und Geschäftsordnungsanträgen.

Lafontaine, so hatten manche seinen Auftritt gedeutet, sollte die hessischen Genossen auf Tolerierungskurs bringen. 2007 hatte die hessische Basis eigenwillig nicht den moderaten Ex-DGB-Chef Dieter Hooge, sondern den Marburger Ex-DKPler Pit Metz zum Spitzenkandidaten gemacht. In der Öffentlichkeit kam dies als Sieg der Fundis an. Ein zweiter Fall Metz, so die Befürchtung der Parteistrategen in Berlin, würde alle Träume von der Westausdehnung platzen lassen.

Doch Lafontaine musste in Lollar kein Chaos verhindern. Die hessischen Genossen präsentierten sich moderat, fast vorsichtig. Ein berüchtigter Antrag, der verlangte, dass die Linkspartei keinesfalls den SPD-Rechten Jürgen Walter zum Minister wählt, wurde stillschweigend zurückgezogen. Die Kernbotschaft der hessischen Linken lautet: Die Linkspartei wird Rot-Grün tolerieren - und zwar erst mal ohne Bedingungen. "Ein Regierungswechsel ist nur möglich, wenn wir Ypsilantis Kabinett wählen." So steht es in dem Leitantrag. Der enthält zwar auch 31 Forderungen, die von einer neuen, dezentralen Energiepolitik über striktere Ladenschlusszeiten bis zum Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan reichen, doch dies sind eben keine Bedingungen. Die Linkspartei will die Tolerierung offenbar nur von drei Essentials abhängig machen: kein Personalabbau im öffentlichen Dienst, keine Privatisierung, keine Sozialkürzungen. So baut man Brücken für Rot-Grün. Einig ist man sich auch über den Weg zur rot-grünen Minderheitsregierung. Die Linksparteispitze soll mit Rot-Grün verhandeln, die Partei über das Ergebnis abstimmen.

Die Richtung, die der Parteitag anvisiert, ist klar: Man will das Machbare. Die Trennung von Amt und Mandat, also den Grundsatz, dass Parlamentarier keine Parteiämter innehaben dürfen, beerdigten die hessischen Linken mit überwältigender Mehrheit in einer Stunde - die Grünen brauchten dafür mehr als zehn Jahre.

Auch in der wichtigsten Personalentscheidung wurden die Weichen in Richtung Pragmatismus gestellt. Der nordhessische Gewerkschaftler Ferdinand Hareter, der eine konfrontativere Tonart gegenüber Rot-Grün anschlägt und mit der Parole "Keine Tolerierung zum Nulltarif" antrat, verlor gegen den Frankfurter Realo Ulrich Wilken (siehe Interview). Die Delegierten wählten ihn, neben Ulrike Eifler, zum Parteichef. Pit Metz, den die Grünen für ein Tolerierungshindernis halten, wurde in den geschäftsführenden Vorstand gewählt. Eine Schlüsselposition ist das allerdings nicht.

Die entscheidende Personalie ist Ulrich Wilken, der mit 91 zu 77 knapp gegen Hareter gewann. Wilkens Wahl ist wichtig, nicht nur weil SPD und Grüne gut mit ihm können. Wilken ist auch Fraktionsmitglied im Wiesbadener Landtag. Ob die Linkspartei eine stabile, verlässliche Tolerierung von Rot-Grün zuwege bringt, hängt auch davon ab, wie viel Macht die Parteibasis hat - und wie viel die Fraktion. Mit Wilkens Wahl zum Parteichef ist jedenfalls wahrscheinlicher, dass die Verzahnung von Fraktion und Partei gelingt - und die Parteibasis nicht bei der ersten Schwierigkeit Amok gegen die Fraktion läuft.

Viel Harmonie, viel organisatorisch Unfertiges und eine lärmende Lafontaine-Rede - so kann man diesen Parteitag zusammenfassen. Allerdings fehlte etwas auffällig: die pointierte, kontroverse Debatte, die man von einer neuen Partei erwartet. Die Linkspartei in Hessen ist, anders als die Grünen vor 25 Jahren, keine Partei der Bildungselite. Es dominiert der Typus des grauhaarigen, 50-jährigen Gewerkschafters, der eher an praktischen Lösungen als an geschliffenen Reden und ausgefeilten Strategien interessiert ist. Wie verbindlich die Tolerierung sein soll, wurde kaum diskutiert. Auch eine schwungvolle Kontroverse, ob eine Koalition nicht der bessere Weg wäre, fehlte.

In Lollar präsentierte sich eine Partei, die nichts falsch machen will. Was sie wirklich will und kann, ist erst in Umrissen zu erkennen.

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