JUSTIZ: Minister-Post mit Pfeffer
Weil Schleswig-Holsteins Innenminister eine Richterin öffentlich für ihr Reizgas-Urteil kritisierte, bekam er Ärger mit seinem Kabinettskollegen Schmalfuß und der Richtervereinigung. Am Mittwoch berät der Innenausschuss.
KIEL taz | Es begann mit einem Betrunkenen, der die Musik nicht leiser drehen wollte, und einem Polizisten, der daraufhin Pfefferspray einsetze. Es ging weiter mit einer Richterin, die das unverhältnismäßig fand. Es folgten scharfe Briefe zwischen zwei Kieler Ministerien, und heute berät der Innenausschuss des schleswig-holsteinischen Landtags über den Pfefferspray-Streit.
"Gefährliche Körperverletzung im Amt", lautete das Urteil der Richterin am Elmshorner Amtsgericht über einen Polizeibeamten. Der Fall ereignete sich im September vorigen Jahres in Uetersen: Nachdem sich Nachbarn über die Ruhestörung beschwert hatten, versuchte die Polizei einen 27-Jährigen festzunehmen. Wachtmeister Rolf P. sprühte ihm bei dieser Gelegenheit Reizgas ins Gesicht. Das hielt er laut Bericht der Elmshorner Nachrichten für ein vergleichsweise "mildes Mittel". Die Richterin sah es anders und verurteilte den 43-Jährigen zu 6.300 Euro Strafe.
Kurz darauf erhielt die Frau einen Brief mit Landeswappen: Innenminister Klaus Schlie (CDU) persönlich wandte sich an sie, sandte das Schreiben aber auch an alle Polizeidienststellen im Land. "Nicht unproblematisch" sei ihr Schuldspruch, denn es "liegt allein bei den Beamtinnen und Beamten, mit den erforderlichen Mitteln zu reagieren". Etwas gönnerhaft bot Schlie der Richterin an, sie möge eine Nachtschicht mit der Polizei mitfahren.
Kabinettskollege Emil Schmalfuß (parteilos) reagierte prompt mit einem Gegenbrief: Zwar habe er Verständnis für Schlies "subjektive Äußerungen im Rahmen der Fürsorgepflicht", watschte den Innenminister dann aber ab: Schlie kenne die Begründung des Urteils nicht, ein unverhältnismäßiger Einsatz müsse sanktioniert werden, eine nächtliche Streife mit der Polizei sei Teil der Richter-Ausbildung. Besonders zu beanstanden sei das persönliche Anschreiben.
Genau das kritisierte auch Ulf Kämpfer, Sprecher der Neuen Richtervereinigung: "Es ist völlig inakzeptabel, wenn ein Minister eine Richterin unter voller Namensnennung öffentlich tadelt, offenbar mit dem Ziel, in der Zukunft ,bessere Urteile zu bekommen."
Protest gab es auch von der Opposition: Der Innenminister missachte die Unabhängigkeit der Justiz, sagte der justizpolitische Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Rother. Thorsten Fürter (Grüne) erklärte, ein Landesminister dürfe sich nicht einmischen.
Die heutige Beratung im Innenausschuss steht auf unsicherem Boden, schließlich ist das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ob sich aus dem Einzelfall neue Regeln ableiten lassen, etwa, Pfefferspray nur noch zur Verteidigung einzusetzen, ist daher unklar. Die SPD hatte das Thema auf die Tagesordnung gesetzt, noch bevor Schlie seinen Brief schrieb. Das Schreiben dürfte die Debatte befeuern. "Ein großer Gefallen des Herrn Minister", so ein Oppositionspolitiker.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid