Italiens Umgang mit legalen Flüchtlingen: Das Haus der Somalier
Keine Heizung, kein Strom, kein Wasser. Früher residierten in der somalischen Botschaft in Rom die Diplomaten, heute lagern dort bis zu 140 somalische Flüchtlinge.
ROM taz | Via dei Villini: Das ist eine der schicksten Adressen in Rom. Die "Straße der kleinen Villen", nur einen Steinwurf von den Aurelianischen Stadtmauern gelegen, bietet, was der Name verspricht: Jeder der kleinen, fast durchgängig liebevoll restaurierten Palazzi aus dem frühen 20. Jahrhundert hat seinen Garten, hinter den schmiedeeisernen Toren residieren Unternehmensrepräsentanzen oder Botschaften. In der Nummer 12 hat Ungarns Vertretung ihr Domizil - und gleich gegenüber, Hausnummer 9, verrät das Messingschild an der Mauer: "Botschaft der Demokratischen Republik Somalia".
Einen Spalt steht das schwarz lackierte Tor offen – und kaum tritt man hinein in den Hof, ist es mit der Idylle vorbei. Ein völlig demolierter schwarzer Diplomaten-Mercedes steht hinten vor der Garage, alle vier Reifen platt, die Windschutzscheibe eingedrückt, die Karosserie verbeult, der Kühlergrill abgerissen. Drei junge Somalis lehnen an dem Fahrzeug, es ist Vormittag, doch ihre Gesichter sind müde. Rechts auf der Terrasse, die sich zum Garten hin öffnet, sitzen ein paar weitere ihrer Landsleute auf den Stufen, einer raucht, alle schweigen.
"Das ist kein Leben hier!", bricht es schließlich aus einem von ihnen heraus, gleich darauf benutzt er ein deutsches Wort, sagt, sie lebten hier in "un lager". Hager und schmal ist sein Gesicht, er fährt mit der Hand über die kurzgeschorenen Haare, zeigt auf das flache Seitengebäude links neben dem ramponierten Mercedes, das früher wohl mal als Garage diente. Kein Tor ist am Zugang, der mühsam mit ein paar Wolldecken verhängt ist - mehr Schutz gegen die auch in Rom gelegentlich empfindliche Winterkälte gibt es nicht.
Überall alte Matratzen
Abedaman heißt er, sagt einer der Jungs, 24 ist er, vor zwei Jahren kam er nach Italien. Abedaman schiebt die Wolldecke beiseite, gibt den Blick frei auf den großen Raum. Überall liegen alte Matratzen, mindestens 45 bis 50 Personen schlafen hier, ihre Kleidung und ihre Habseligkeiten sind notdürftig in Beuteln und Taschen verstaut. Eine der Glasscheiben im Fenster hinten ist zerbrochen, kalt zieht es auch von dort herein.
"Nichts", sagt er, mal in gebrochenem Italienisch, mal in gebrochenem Englisch, "wir haben absolut nichts hier. In der ganzen Botschaft gibt es keine Heizung, keinen Strom, kein fließendes Wasser. Wir alle hier auf dem Gelände müssen mit zwei Toiletten auskommen, eine davon ist eine einfache, ans Abwassernetz angeschlossene Grube." Abedaman lächelt bitter, als er hinzufügt, die Garage sei noch ein besseres Ambiente als die meisten Zimmer im Hauptgebäude.
140 seien sie hier, alles Männer, die meisten noch sehr jung, schaltet sich Ali ein, auch er um die 20, dann zeigt er auf das rote Transparent, das sie ans Balkongitter im zweiten Stock gehängt haben: "In Italien gibt es keine Gerechtigkeit für uns", klagen schwarze Lettern an.
Ali zieht eine kleine durchsichtige Plastikhülle aus der Jackentasche. "Hier, meine Dokumente, ich bin als Flüchtling anerkannt, ich lebe legal hier." Wie im Chor stimmen die Umstehenden ein, ziehen alle ihre Papiere heraus, die belegen, dass sie humanitäres Bleiberecht haben. Im Hauptgebäude führt eine enge Treppe nach oben, selbst am Tage sieht man kaum, wohin man den Fuß setzt. Bloß auf dem Absatz fällt etwas Licht durch ein ovales Fenster; an den Wänden hängen Tapetenfetzen. Shukri Said übernimmt die Führung.
Von den schätzungsweise knapp über 10 Millionen Einwohnern Somalias sind im Januar 2011 nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR mehr als 2,25 Millionen auf der Flucht, davon 1,55 Millionen innerhalb ihres Landes und 700.000 im Ausland. 19.070 Somalis waren Ende 2009 laut Eurostat in EU-Staaten als Asylsuchende registriert, davon 1.600 in Italien und 1.445 in Malta. Die größte Gemeinschaft registrierter somalischer Asylsuchender mit jeweils rund 6.000 zählten die Niederlande und Schweden.
Die somalisch-italienische Schauspielerin hatte im italienischen Fernsehen Erfolg, gab in einer Serie die erste schwarze Carabinieri-Kommissarin, doch seit einigen Jahren kümmert sie sich mit ihrer Organisation "Migrare" um Flüchtlinge. 1991 zog der letzte Botschafter hier ab, erzählt sie, und spätestens 2004 quartierten sich die ersten somalischen Flüchtlinge in der Via dei Villini ein.
Im ersten Stock führen zwei düstere Korridore zu den Zimmern, die Decken sind verschimmelt, der Zugang zu einem Raum ist mit Holzlatten verbarrikadiert, "zu gefährlich", sagt einer der Bewohner. Der Fußboden dort ist morsch, und auch die Terrasse nebenan, meint er, solle man besser nicht betreten. Acht Matratzen liegen im ersten Zimmer auf dem Boden, und Berge von Wolldecken. "Nichts tut der italienische Staat für Flüchtlinge, absolut nichts", sagt Hasan, er ist einer der wenigen Männer hier, die über 40 Jahre alt sind.
Er kam vor zwei Jahren mit dem Boot übers Meer, nach Lampedusa, am 27. Dezember 2008 traf er ein. "Dann ging es mit dem Flugzeug nach Rom, erkennungsdienstliche Behandlung, und dann hieß es von den Beamten nur: Schau, wo du bleibst".
Hasan erzählt von seiner Vergangenheit als Bauer, in Afgooye, 25 Kilometer entfernt von Mogadischu, vom Terror erst der Warlords wie dem berüchtigten General Aidid, dann der islamistischen Shabab-Milizen, von seiner Flucht über Äthiopien und Sudan, von der Haft in Khartum und den Misshandlungen durch die Gefängniswärter, von der Angst, die er in der Wüste ausstand, von den Schlägen libyscher Polizisten. Er hatte gehofft, sein Leben werde besser werden, wenn er einmal in Italien sei, "aber hier stehe ich vor dem Nichts."
Im Nebenzimmer ist das Fensterglas zerbrochen, das einzige Möbelstück außer den Matratzen ist eine Schrankruine. "Wir bekommen keine Unterkunft, keinen Cent Unterstützung, keine Sprachkurse - nichts", bilanziert Hasan. Ein junger Mann mit Rastalocken schaltet sich ein, berichtet, dass einige von ihnen gelegentlich in Pomezia, 50 Kilometer südlich von Rom, als Tagelöhner Lkws ausladen. 20 Euro gibt es - für einen ganzen Arbeitstag, immer wieder aber kommt es vor, dass der Arbeitgeber einfach nicht zahlt. Hasan zeigt auf die Ecke neben der Tür: "Unsere Kochstelle." Bloß eine Eisenplatte liegt da, mit leicht erhöhtem Rand. Hasan spritzt aus einer Flasche rosa Industriealkohol auf die Platte, wirft dann ein Streichholz rein. Eine Stichflamme schießt hoch, "so bereiten wir unsere Mahlzeiten zu, andere Möglichkeiten haben wir nicht", erklärt er, und natürlich wisse er, dass das hochgefährlich sei.
"Die verdammten Fingerabdrücke", sagt er dann unvermittelt, während er beide Hände mit gespreizten Fingern ausstreckt. Das halbe Dutzend Jungs um ihn herum nicken, reden durcheinander, immer wieder fällt das Wort "Dublin", fallen die Namen anderer Länder: Norwegen, Schweden, Österreich, die Schweiz oder Holland.
Viele haben sich dorthin aufgemacht. Hasan zum Beispiel: Er war im Herbst 2009 aufgebrochen, war über Berlin nach Norwegen gereist, hatte in Narvik eine Bleibe bekommen und Unterstützung. Nach sieben Monaten aber war es vorbei, wurde er wieder nach Italien abgeschoben: Der Datenbankabgleich hatte ergeben, dass er über Italien in die EU eingereist war - und das Dublin-Abkommen sieht vor, dass jener EU-Staat, in den ein Flüchtling zuerst gekommen ist, für ihn zuständig bleibt.
Nachts kommen die Ratten
"Italien überlässt uns völlig unserem Schicksal", schimpft einer von Hasans Freunden. Sie sind auf Kleiderspenden der Pfarrei angewiesen, "und der Rest ist Überlebenskampf, beginnend dabei, dass wir uns Nahrung suchen müssen." Hinten auf der Matratze liegt ein Mann unter einem ganzen Stapel Wolldecken, nur sein Hinterkopf schaut heraus, immer wieder hustet er. Schon seit Tagen sei er krank, berichten die Zimmergefährten, und dann erzählen sie von den Ratten, die nachts durch die Zimmer huschen. Die Decke hat große Schimmelflecken, an der Wand hängt nutzlos ein Heizkörper, der seit 20 Jahren nicht mehr in Betrieb ist.
So geht es immer wieder, vor einigen Wochen sei ein Flüchtling hier gestorben, erzählen sie, "einfach so, er wurde krank, nach drei Tagen war er tot."
Doch, wenigstens einmal habe der italienische Staat Flagge gezeigt in der Via dei Villini, berichtet Shukri Said. "Mitten in der Nacht kamen die Polizisten im letzten Herbst, mit einem Großaufgebot, sie traten die Türen einiger Zimmer ein". Alle Somalis mussten mit aufs Polizeipräsidium, wurden 24 Stunden festgehalten - Roms Polizei hatte einen weiteren Akt im Stück "Jagd auf illegale Einwanderer" inszeniert. Doch alle, ausnahmslos alle, hatten gültige Papiere - und so durften sie wieder zurück in ihr tägliches Elend, auch wenn die Beamten bei der Razzia gebrüllt hatten, "Schluss, hier könnt ihr nicht bleiben".
"Als Alternative haben wir nur die Straße", bilanziert Abdul, und er setzt nach, einige überlegten ernsthaft, nach Somalia zurückzukehren. "Von Italien haben wir nichts zu erwarten, nur Elend. Es ist doch bezeichnend, dass es immer wieder italienische Beamte waren, die uns hierher schickten. Nach der Ankunft mit dem Boot in Süditalien gab es ein Zugticket nach Rom, und sie schrieben ,Via dei Villini 9' auf einen Zettel, sagten uns, da könnten wir unterkommen. So geht italienische Flüchtlingspolitik."
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