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Italienisches Musikfestival San RemoTrumps Hunger auf Ligurien

Übers Wochenende fand in San Remo das sagenumwobene Musikfestival San Remo statt. Wichtigste Erkenntnis: Die Donnerballade lebt.

Will sich nicht wirklich den ESC antun: San-Remo-Gewinner Olly mit Goran Bregovic Foto: Alberto Terenghi/Zuma Press/imago

Angefeuert von mehreren Dutzend Schlagzeugern entert der Sänger Jovanotti im goldenen Anzug den Saal des Teatro Ariston. Eine blondierte ältere Dame aus dem Publikum wirft sich ihm so ungebremst an den Hals, dass er beinahe hinschlägt.

Papst Franziskus meldet sich mit einem Grußwort und preist die friedensstiftende Kraft der Musik. Ein signore mit dem Aussehen eines römischen Antiquariatsleiters singt im schwarz-silbernen Floral-Anzug über seine schwerkranke Mutter.

Gaststar Roberto Benigni mahnt, Donald Trump hege Interesse an Ligurien. Zwischendurch ballert immer wieder die diesjährige Erkennungsmusik: „Tutta l’Italia, tutta l’Italia, tutta l’Italia!“ Um etwaigen Hungergefühlen Vorschub zu leisten, schiebt Co-Moderatorin Antonella Clerici zu vorgerückter Stunde einen Servierwagen mit mehreren Pasta-Tellern auf die Bühne. Es ist mal wieder so weit: Italien ist im Sanremo-Fieber.

Zweimal im Jahr befindet sich Italien im Ausnahmezustand: zum einen zu Ferragosto, der Sommerwende, wenn sich in den glutheißen Städten der Asphalt zu wellen droht und alles ans Meer drängt. Und natürlich an den fünf langen Abenden des Festival di Sanremo, wenn die quietschige Sangessause über alle soziokulturellen und politischen Trennlinien hinweg zum nationalen Lagerfeuer wird.

Im Land der Nachtigallen

Selbst jene, die nicht einschalten, bekommen alles mit; das Land kennt an diesen fünf Tagen kaum ein anderes Thema. Hier, beim ältesten Gesangswettbewerb Europas, wird Italien alljährlich der Puls gemessen. Natürlich, es wird gesungen: Das Land der Nachtigallen dürstet nach neuen Liedern, und bei der großen Kirmes an der Blumenriviera feuert die italienische Musikindustrie aus allen Zylindern.

Doch auf der Apenninhalbinsel ist ein Musikwettbewerb natürlich so viel mehr; in der Überbetonung des vermeintlich Nebensächlichen kommt die Nation zu sich. Am Ende der 75. Ausgabe stehen zwei Einsichten: Die gute alte italienische Donnerballade lebt. Gleichwohl wärmte das Lagerfeuer unter der neuen Leitung spürbar weniger als in den Vorjahren.

Auffällig: Die üblichen Skandälchen blieben diesmal aus. Wo in den vergangenen Jahren noch US-Gaststar John ­Travolta in eine demütigende Ententanz-Darbietung verwickelt wurde, der Sänger Blanco vor Wut über technische Unzulänglichkeiten das Bühnenbild verwüstete und das Duo Bugo/Morgan wegen einer auf offener Bühne ausgetragenen Fehde disqualifiziert wurde, hielt diesmal der neue Festivalleiter und Moderator Carlo Conti die Zügel fest in der Hand.

Freizügiger Umgang mit Bräunungscreme

Conti, ein für seinen freizügigen Umgang mit Bräunungscreme bekannter TV-Veteran mit Autoverkäufer-Charme, folgt auf den deutlich charismatischeren Amedeo Sebastiani alias Amadeus. Dieser hatte das Festival in den vergangenen Jahren jünger, progressiver und – wie die italienische Rechte befand – allzu woke gemacht: Lange Gast-Monologe über die Mafia, Femizide oder die italienische Verfassung sorgten nicht bei allen Stiefelbewohnern für Begeisterung.

Auch die propalästinensischen Äußerungen einiger Teilnehmer stießen vielen auf wie weichgekochte Pasta. Für derlei Sperenzchen hatte der regierungsgenehme Conti keine Zeit: Vom ersten Abend an preschte er durch das Programm, als hätte er noch wichtige Anschlusstermine einzuhalten.

War es das von vielen prognostizierte Festival von TeleMeloni, wie der öffentlich-rechtliche Sender RAI nach starker Einflussnahme der Regierung von etlichen Beobachtern genannt wird? In gewisser Hinsicht ja. Die nahezu vollständige Abwesenheit anarchischer Momente sorgte trotz des erhöhten Tempos nicht selten für bleierne Schwere. Viele sahen ein Festival der Resignation, der Normalität, der Bravheit.

Rosenkranz statt Tiffany-HalsketteMus

Für den größten Rabatz sorgte passenderweise der Rapper Tony Effe, der auszusteigen drohte, nachdem man ihm das Tragen einer 70.000 Euro teuren Tiffany-Halskette untersagt hatte; er trat stattdessen mit einem Rosenkranz auf. Dazu kamen zu viele ähnlich klingende Lieder von den immer gleichen Komponisten. Politik fand nur abseits der großen Bühne statt: Ob sie sich vorstellen könne, Giorgia Meloni zu wählen, wurde die Sängerin Elodie während der Pressekonferenz gefragt. Noch nicht einmal, wenn man ihr den Arm abtrennen würde, gab die Römerin zur Antwort.

Als herausragender Song wird „Volevo essere un duro“ in Erinnerung bleiben, ein Lied des toskanischen Cantautore Lucio Corsi, der in Glamrock-Gewandung und mit weiß geschminktem Gesicht an unschuldigere Zeiten gemahnte. Als Favoritin galt früh die stimmgewaltige Sängerin Giorgia.

Den Sieg trug jedoch der Genueser Newcomer Olly davon, er dürfte Italien somit beim Eurovision Song Contest vertreten; sein Beitrag „Balorda nostalgia“ (Blöde Nostalgie) könnte den Geist dieses Jahrgangs nicht besser beschreiben: Er wolle zurückkehren in eine Zeit, als es noch reichte, zu lachen, zu weinen und zu lieben. Wie schön die Zeiten, als man gemeinsam mit der Fernbedienung in der Hand auf dem Sofa einschlief. Man wird den Song noch an Ferragosto aus jeder Strandbar dröhnen hören.

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