Italiener fordern Rücktritt: Silvio Berlusconis letztes Gefecht
Von Krise keine Spur? Hunderttausende Italiener gehen aus Protest gegen Premier Berlusconi auf die Straße. Seinen bizarr wirkenden Optimismus halten sie für Realitätsverlust.
ROM taz | Mehr als ein Dutzend Abgeordnete kehren Silvio Berlusconi den Rücken, und deutlich mehr als hunderttausend Bürger forderten auf einer Kundgebung in Rom seinen Rücktritt - doch Italiens Regierungschef klammert sich an die Macht. Berlusconi begleitet sein letztes Gefecht mit einem mittlerweile nur noch bizarr wirkenden Optimismus.
Auf dem G-20-Gipfel in Cannes war Italien gerade erst unter direkte Aufsicht des IWF gestellt worden; der IWF soll nun in Drei-Monats-Abständen die Umsetzung der Sanierungsmaßnahmen durch die Regierung überwachen. Doch Berlusconi tat erneut so, als sei die Lage ausgezeichnet. Eigentlich spüre man doch in Italien schier gar nichts von Krise, erklärte er auf dem Rückweg vom Gipfel: Die Restaurants seien schließlich "immer voll".
Doch am Wochenende schossen Spekulationen ins Kraut, die Regierung stehe vor dem unmittelbaren Aus. Denn auch wichtige Führungspersonen aus der Spitze der Berlusconi-Partei Popolo della Libertà (PdL - Volk der Freiheit) hätten, so berichtete die Tageszeitung La Repubblica, ihrem Chef den umgehenden Rücktritt nahegelegt. Knapp 20 PdL-Abgeordnete nämlich sind mittlerweile aus der Fraktion ausgeschert; damit hätte Berlusconi im Abgeordnetenhaus keine Mehrheit mehr. Sollte der Premier aus freien Stücken zurücktreten, dann wäre der Weg zu einer neuen Regierung zum Beispiel unter seinem Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten, Gianni Letta, die vom PdL favorisierte Option.
Möglich wäre diese Lösung aber nur, wenn die bisher oppositionelle christdemokratische UDC unter Pierferdinando Casini zum Eintritt in die Koalition bereit wäre. Doch Casini zeigt wenig Lust dazu. Er will, genauso wie der gemäßigt linke Partito Democratico (PD), eine Technikerregierung zum Beispiel unter Mario Monti als Übergangslösung.
Für den sofortigen Abgang Berlusconis demonstrierten am Samstag unter dem Slogan "Ein großes Land verdient eine bessere Zukunft" weit mehr als hunderttausend Anhänger des PD. "Basta. Im Namen des italienischen Volkes", war auf Spruchbändern zu lesen, "Hau ab!", hieß es in den Sprechchören. PD-Chef Pierluigi Bersani erklärte sich in seiner Rede bereit, "eine neue, glaubwürdige Regierung" zu unterstützen und "Maßnahmen zur nationalen Rettung" mitzutragen.
Diese Situation könnte schon sehr bald eintreten. Am nächsten Dienstag wird das Abgeordnetenhaus über die Rechnungslegung der Regierung für das Haushaltsjahr 2010 abstimmen. Schon am 11. Oktober war die Regierung in einer ersten Abstimmung gescheitert; sollte bei dem nun anstehenden Votum deutlich werden, dass Berlusconi keine Mehrheit mehr hat, führt an einem Rücktritt wohl kein Weg mehr vorbei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW