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■ Italien: Ex-Lotta-Continua-Führer Sofri ist verurteiltZweifel am Zweifel

Der Aufschrei ist verständlich. Italiens 68er Garde fühlt sich mit ihrem charismatischten Ex-Führer Adriano Sofri verurteilt. Und da sich die Beweislage vor allem auf einen sehr spät aufgetauchten, angeblichen Mittäter stützt und dieser wiederum einen eher konfusen Eindruck hinterließ, ist der Verdacht einer Manipulation des „Kronzeugen“ zum Schaden der ehemaligen Studenten-und-Arbeiter-Organisation schnell bei der Hand. Der Mann war gerade in jenem Moment mit seiner Selbstanklage zu Polizei gegangen, als man, 1988, erstmals ernsthaft über eine Amnestie für politische Straftäter diskutierte. Er paßte einfach zu gut in den Kram der Amnestiegegner.

Dennoch sind Zweifel auch am Zweifel angebracht. Zwar ist es undenkbar für jeden, der Sofri kennt, daß der scharfe Analytiker – vergleichbar mit Rudi Dutschke – 1972 jemandem wörtlich auftrug: „Geh hin und schieß den Komissar Calabresi tot, er hat den Anarchisten Pinelli aus dem fünften Stock des Präsidiums gestoßen.“ Doch andererseits funktionieren in Italien viele Aufträge auch nicht nach diesem Muster. Gerade Menschen aus dem Süden (der Täter Marino stammt von dort) fühlen sich schon zur Gewalttat beauftragt, wenn der Boss sagt: „Den Kerl sollte man über den Haufen schießen.“ Das Klima, in dem Handlanger auch ohne wörtlichen Auftrag zum Mörder wurden, gab es auch im Umfeld der Lotta continua.

Eine unangenehme Wahrheit, die Menschen wie Sofri kennen mußten. Der schon vor Jahren verurteilte Führer der Konkurrenzorganisation Potere operaio, Toni Negri, hat während seines Prozesses erklärt, daß so mancher seiner Schüler Gewalttaten nur deshalb verübt hat, um ihm zu imponieren.

In diesem Sinne hat nun auch das oberste italienische Gericht entschieden. Der große Fehler Sofris war es, allenfalls mangelndes Bedauern über den Mord zuzugeben, sich aber nicht als mitschuldig am Aufbau des seinerzeitigen „mörderischen“ Klimas mit seinen zahlreichen Gewalttaten zu erklären. Das nämlich war keineswegs nur von der Polizei geschaffen, sondern von beiden Seiten aufgeschaukelt worden. Eine derartige Interpretation aber hätte bedeutet, einen Teil der Schuld an diesem Mord zuzugeben und die Tat erklärbar zu machen. So aber ist Sofri – und das sicherlich zu Unrecht – nun wie ein vom historischen Kontext losgelöster Mord-Mandant verurteilt worden. Werner Raith

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