Ist das Recycling am Ende?: Die neue Gier nach dem Müll
Aus der Idee, Abfälle künftig zu vermeiden oder besser zu verwerten, wird nichts: Die neue EU-Abfallrahmenrichtlinie erleichtert Müllverbrennung und -tourismus
In Emlichheim bei Nordhorn an der niederländischen Grenze brennt der Müll. Seit April schluckt die neue Müllverbrennungsanlage (MVA), die Europas größer Entsorger Sita hier gebaut hat, rund 1.100 Tonnen am Tag. Lastwagen aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland bringen Nachschub. Denn in und um Emlichheim gibt es in den nächsten zehn Jahren nicht eine Tonne Müll, die nicht lange vergeben war, als die MVA den Betrieb aufnahm.
Auch im nordrhein-westfälischen Herten soll es Ende des Jahres losgehen. Die bilanziell überschuldete Abfallgesellschaft Ruhrgebiet (AGR) will sich mit zwei Müllöfen sanieren, die gemeinsam 250.000 Tonnen Abfälle im Jahr verheizen sollen. Hier muss sich der Entsorger ebenfalls überlegen, wo er den Müll eigentlich hernehmen will. Denn für den kompletten Abfall aus der näheren Umgebung gibt es langfristige Verträge mit anderen Verwertern oder Entsorgern.
Der Run auf die Müllverbrennung beschränkt sich nicht auf Deutschland, wo zu den bestehenden 71 Anlagen weitere 74 geplant oder schon in Bau sind. Auch in anderen europäischen Ländern entsteht eine MVA nach der anderen. Alle gieren sie danach, mit immer neuen Abfällen gefüttert zu werden. Und die gibt es: 2004 produzierte jeder Verbraucher in den 27 Mitgliedsstaaten der EU nach Zahlen von Eurostat im Jahr durchschnittlich 520 Kilogramm Hausmüll, bis 2020 werden es 680 Kilogramm sein. Also passt doch alles?
Dummerweise geht es in der Abfallpolitik nicht nur darum, Müll zu erzeugen und dann wieder zu entsorgen. Es geht um den effizientesten Einsatz von Ressourcen, es geht um Gesundheitsgefährdung - und es geht nicht zuletzt auch ums Klima.
Seit 2005 basteln die gesetzgebenden Gremien der EU deshalb an einer Abfallrahmenrichtlinie, die den Trend zu immer größeren Abfallmengen brechen soll. Und dementsprechend lautete die Parole damals: "Auf in die Recyclinggesellschaft!"
Verankert werden sollte eine Politik der Müllvermeidung und eines ressourcenschonenden Müllmanagements. Heute, Dienstag, soll die Richtlinie nun endgültig vom Europaparlament beschlossen werden. Von den ökologischen Ideen und Zielen ist allerdings wenig geblieben.
Grundsätzlich soll künftig eine fünfstufige Abfallhierarchie gelten. Das ist eine Rangliste für den Umgang mit Müll: Ganz oben steht die Vermeidung, dann folgen Wiederverwendung, stoffliche Verwertung, thermische Verwertung und zuletzt die Entsorgung. Eine allgemeine Regel ist das jedoch nicht, in der konkreten Ausgestaltung findet sich das Prinzip nicht wieder. So gibt es keinen echten Anreiz, Müll zu vermeiden oder mehr zu recyceln. Dagegen wird Müllverbrennung aufgewertet und vereinfacht. Ein durchaus denkbares generelles Deponieverbot wurde bereits ganz am Anfang fallen gelassen.
"Eine völlig falsche Weichenstellung", sagt die grüne Europaabgeordnete Hiltrud Breyer. Stefan Scheuer vom Europäischen Umweltbüro (EUB) befürchtet sogar: "Damit droht dem Recycling das Ende." Die Bundesregierung zeigt sich dagegen überraschend zufrieden. Es handle sich um einen "angemessenen und für die Mitgliedsstaaten auch praktikablen Lösungsansatz bei den Vermeidungszielen", heißt es im Umweltministerium.
Der Umweltausschuss des Europaparlaments hatte gefordert, dass die Müllmengen zunächst stabilisiert werden müssten, von 2008 bis 2012 sollten sie nicht weiter wachsen dürfen. Der "praktikable Ansatz" besteht nun darin, dass sich die Mitgliedstaaten bemühen sollen, Wirtschaftswachstum und Abfallvolumen zu entkoppeln - was bestenfalls heißt, dass die Müllmengen künftig eben langsamer wachsen als die Wirtschaftsleistung.
Nur noch Zielvorgaben
Auch beim Recycling mussten die Umweltexperten zurückstecken. Anders als sie gefordert hatten, enthält die Richtlinie kein konkreten Recyclingquoten für Haus-, Gewerbe- und Industrieabfälle, sondern lediglich Zielvorgaben für Stoffe, die ohnehin bereits überall getrennt gesammelt werden: Bauschutt soll bis zum Jahr 2020 zu 70 Prozent recycelt werden, Metall, Glas, Papier und Plastik zu insgesamt 50 Prozent. Beide Ziele haben 17 der 27 EU-Länder längst erreicht. Schließlich verlangt auch der Markt nach diesen Sekundärrohstoffen. Polen, Tschechien und Slowakei lagen zuletzt mit über 49 Prozent nur knapp unter der Vorgabe. Und auch Bulgarien, Estland, Griechenland, Lettland - die de facto eigentlich nur Metall und Papier sammeln und verwerten - kommen damit bereits auf mehr als 45 Prozent. Ein bisschen anstrengen müssen sich Zypern, Portugal und Malta, die sich derzeit um die 40 Prozent bewegen. Aber auch sie müssen nicht mit besonderen Sanktionen rechnen, wenn sie die Ziele nicht erfüllen: Da es sich um keine verbindlichen Quoten handelt, müssen sie lediglich nachweisen, dass sie es versucht haben.
Für Benjamin Bongardt, den Kreislaufwirtschaftsexperten des Umweltverbands Nabu, sind die Zielvorgaben geradezu lächerlich unambitioniert: "Wenn man die 50 Prozent für die paar Stoffe auf den gesamten Siedlungsabfall hochrechnet, müssen überhaupt nur rund 25 Prozent recycelt werden", gibt er zu bedenken.
Warum sich die Bundesregierung hinter den Kompromiss stellt, ist für EUB-Experte Scheuer deshalb nur schwer nachzuvollziehen. Schließlich ist Deutschland zumindest beim Recyceln in fast allen Disziplinen Europameister. Insgesamt wird hierzulande mehr als die Hälfte des Mülls wiederverwertet; bei Glas, Papier, Kunststoffen und Metallen sind es sogar mehr als 70 Prozent. Es gibt eine ganze Reihe von Sammelsystemen. Ähnlich viel schafft sonst nur Schweden.
Verwertungstechnisch ganz schlecht aufgestellt sind neben Griechenland und Spanien die neuen Mitgliedstaaten. Ihre geringen Verwertungsquoten resultieren vor allem daher, dass sie immer noch in hohem Maße auf Deponien setzen und Sammel- sowie Recyclingsysteme fehlen. Sie stehen jedoch unter Druck. Weil bei der Zersetzung von biologischen Abfällen auf den Müllkippen Schadstoffe und Gase - vor allem das klimaschädliche Methan - entstehen, hat die EU bereits 1999 eine Deponierungsrichtlinie beschlossen. Danach müssen alle Mitgliedsländer den Anteil des vergärenden Mülls auf den Deponien bis 2016 drastisch reduzieren. Im ersten Schritt müssen deshalb die biologischen Komponenten aus den Abfallströmen herausgefischt und biologisch-mechanisch behandelt werden. Das ist aufwendig und Verbrennen oft einfacher.
Entsprechend hat die Deponierichtline den Trend in Richtung MVAs gelenkt. Zumal die neuen Anlagen längst nicht mehr nur Müllvernichter sind. Sie produzieren auch Energie, mit der zigtausende Haushalte beheizt werden können. Sie bieten damit nicht nur für die großen Entsorgungskonzerne wie Sita oder Remondis einen interessanten Markt, sondern auch für die großen Energieunternehmen. Eon beispielsweise hat eigens die Tochterfirma Energy from Waste gegründet, die die Marktführerschaft erobern soll. "Wir wollen bei der Energieerzeugung aus Abfall führend sein in Deutschland und in Europa", sagt deren Chef Carsten Stäblein. Bis 2015 will er den Umsatz vervierfachen - auf mehr als eine Milliarden Euro. Denn das Geschäft mit dem Müll scheint so einfach wie genial: Eine Müllverbrennungsanlage muss nicht für das bezahlen, was sie verbrennt, sie bekommt Geld dafür - in Europa liegen die Müllannahmegebühren bei mindestens 90 Euro pro Tonne. Zusätzlich kann sie die Heizwärme verkaufen.
Und weil es sich dabei auch um Infrastrukturmaßnahmen handelt, unterstützt die EU jetzt schon oft genug den Bau. Zwei Drittel der EU-Gelder für die Kreislaufwirtschaft gehen heute schon an Anlagen zur Verfeuerung von Abfällen. Die Nichtregierungsorganisation CEE Bankwatch hat recherchiert, dass die Europäische Investitionsbank in den Jahren von 2000 bis 2006 rund eine Milliarde Euro an entsprechende Projekte gezahlt hat. Für Recycling - das allerdings auch meist regional in viel kleineren Einheiten stattfindet - gab sie gerade mal 15 Millionen Euro aus.
Nun könnte die Abfallrahmenrichtlinie noch für einen zusätzlichen Push sorgen - nicht nur, weil sie die thermische Verwertung gegenüber der Deponierung aufwertet. Künftig kann zwischen Abfall und sogenannten Nebenprodukten entschieden werden. Nebenprodukt kann im Prinzip alles sein, was noch irgendwie nutzbar ist - Industrieschlacken zum Beispiel. Wichtig ist das, weil Nebenprodukte nicht unter die Abfallgesetzgebung fallen und anders als echter Abfall, der ortsnah entsorgt werden muss, nicht nur innerhalb der EU, sondern sogar über deren Grenzen hinweg transportiert und gehandelt werden können.
Quer durch Europa
Damit dürfte sich zwar der Nachschub für Emlichheim und Herten sichern lassen. Aber ohne Nebenwirkungen wird das nicht abgehen: Mülltransporte quer durch Europa verbessern weder die Klimabilanz der Abfälle noch die der Länder. Und auch wenn die EU-Kommission Müllverbrennung unter Erneuerbare Energien einordnet, ist umstritten, wie klimaneutral die MVAs selbst tatsächlich arbeiten.
Wenn die EU Abfall- und Klimapolitik zusammendenken würde, hätte sie jedoch ohnehin einen ganz anderen Weg einschlagen müssen, zeigen zwei Studien aus den letzten Monaten. Die Experten des Prognos-Instituts haben dabei herausgefunden, dass jährlich bis zu 224 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente eingespart werden könnten, wenn alle Mitgliedsländer verstärkt recyceln würden. Die Kollegen von Ökopol kommen sogar auf 247 Millionen Tonnen, wenn es gelingen würde, den Siedlungsmüll zu halbieren. "Das ist so viel, als würde man 87 Millionen Autos von der Straße nehmen", schreiben sie.
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