piwik no script img

Ist Fulda schön?

Es gibt viele Gründe, eine Stadt zu besuchen. Unsere Autorin hat Schönheit gesucht – und ist mit ihren Rei­se­ge­nos­sin­nen Neugier, Erwartung und Skepsis nach Hessen gefahren

Aus Fulda Waltraud Schwab (Text und Illustrationen)

Fulda ist ein Frauenname. Selten zwar – Platz 46.563 nimmt er ein auf einer Website, die Anekdoten zu Vornamen sammelt –, und trotzdem, es muss am Namen liegen, dass ich mich jedes Mal, sobald mein Zug in Fulda hält, frage: „Ist Fulda schön?“

Stoppt der Zug in Offenburg, in Hildesheim oder sonst wo auf der Strecke, schaue ich nur kurz auf. In Fulda, wo die Leute sich rühmen, der Mittelpunkt Deutschlands zu sein, nicht.

Steig aus, sagt der Kollege, finde es heraus.

„Nächster Halt: Fulda“, sagt eine Frauenstimme. Es ist ein Freitag im September, 18.12 Uhr. „Sie haben Anschluss an …“, die Stimme zählt Orte auf wie Bebra, Schlüchtern, Bad Hersfeld, Eisenach. Der Zug drosselt die Geschwindigkeit, fährt vorbei an Fabrikhallen, Baustellen, Supermärkten und dann in den Bahnhof ein. Ich nehme mein Zeug, gehe den Gang entlang, warte vor der Tür. „Ist Fulda schön?“, frage ich die Frau, die mit mir aussteigt. „Ganz nett“, antwortet sie. „Nett?“ – „Die Altstadt und so“, sagt sie. „Kennen Sie eine Frau, die Fulda heißt?“ Sie versteht die Frage nicht.

Draußen vor dem Bahnhof ein öder Platz. Das Gebäude selbst aber ist blumengeschmückt, in Pink, Violett und hellem Grün. Eine Farbmarkierung, ein Pflanzengraffito der Stadtgärtnerei. Als langer, üppiger Strich zieht es sich die gelbe Fassade entlang. Fährt ein Zug ein, sind die Räder Blumen.

Die Kübel und Rabatten entlang der Bahnhofstraße nehmen die Farben auf. Pink. Violett. Hellgrün. Hier wird die Stadt mit Blumen verziert wie an Fronleichnam, obwohl kein Fronleichnam ist, wissend, dass Bahnhofsstraßen in aller Welt Seligkeit nötig haben.

Immerhin: In Fulda sind die Sitzbänke vor dem Bahnhof und in der verkehrsberuhigten Bahnhofsstraße, die kerzengerade direkt auf einen Kaufhof zugeht, lang und breit, sodass Obdachlose darauf schlafen können. Also doch ein Herz?

Fronleichnam ist ein Stichwort. Denn kein anderer katholischer Feiertag wird so sinnlich, so blumenverziert begangen wie dieser. Und katholisch muss der Feiertag, der hier als Metapher bemüht wird, schon sein. Der Stadtpolizist sagt es kurz danach doch auch, Fulda sei ohne Katholizismus nicht denkbar. Sein Kollege interveniert: „So schlimm ist es nicht mehr, der Bischof ist krank.“ – „Soll Krebs haben“, sagt der Erste. Ob sie eine Frau kennen, die Fulda heißt? „Nein, wirklich nicht“, antworten beide.

Der Stadtpolizist hatte gerade einen Strafzettel wegen Falschparkens hinter die Scheibenwischer eines Autos geklemmt. Der Falschparker kommt dazu. „Wir kennen uns“, sagt er zum Polizisten, zieht den Strafzettel hinterm Scheibenwischer raus, steckt ihn in die Hosentasche. Der Polizist ist irritiert. Als der Mann mit dem Auto weggefahren ist, meint er: „Das sagen sie jetzt alle. Aber ich kenne den nicht.“ Ob Fulda schön ist, frage ich noch, nachdem er mir den Weg zum Hotel erklärt hat. „Ja“, sagt er. „Alles in allem, ja. Wir sind doch Barockstadt.“

Zurück zur Bahnhofstraße. Leicht abschüssig ist sie. Das erleichtert die Fantasie, ich zöge mit meiner Entourage, deren Mitglieder Neugier, Erwartung und Skepsis heißen, in eine Stadt ein: der Bahnhof, das Stadttor, der Kaufhof, das Schloss. Ich habe alles im Blick. (Dabei ist das Kaufhaus in Wirklichkeit gar kein Schloss, sondern ein Trojanisches Pferd.)

Weiter zum Hotel, meinen Koffer abstellen. Und dann gehen. Und sehen. Sehen, was entsteht, sobald die auf meiner Netzhaut auf dem Kopf stehenden Abbilder der historischen Fassaden und fließenden Straßen von meinem Hirn wieder auf die Füße gestellt werden. Und wenn sie auf den Füßen stehen, zu entscheiden, ob sie schön sind.

Die Häuser entlang der Straßen sind verziert, gern überbordend, da noch ein Erker, dort noch ein Sims, eine kleine Figur, ein wenig Rot oder gar Gold, das Fachwerk opulent, nie erschlagend. Überall öffnen sich kleine Plätze, blumenverziert. Die Straßen in der Fuldaer Altstadt umfangen und fangen ein. Barockstadt unser. Auf jedem Platz sind Tische und Bänke aufgestellt, Kneipen, Gewusel, das Wetter ist schön. Nur wird es früh dunkel und mit einem Plan in der Hand habe ich ein Ziel. Durch die Altstadt zum Dom.

Es dämmert schon, als ich auf der Treppe stehe, die hinunter zum Platz vor dem Gotteshaus führt, hinter dem die Sonne gerade untergegangen ist. Ich bin irritiert. Der rötlich-blaue Horizont, der die verschattete Fassade des Doms an den Boden schmiegt, gibt allem Weite und Großzügigkeit und eine Ahnung von glühendem Sommertag. Ich mache ein Foto, schicke es in Chatgruppen.

„Wo bist du?“

„Auf Erden.“

Ob sie eine Frau kennen, die Fulda heißt? – „Nein, wirklich nicht“, antworten beide

„Tippe auf Spanien oder Portugal. Auf jeden Fall sehr schön“, schreibt ein Freund.

Auch ich kann mich nicht sattsehen an diesem Trugbild.

Nach einer Drehung um 180 Grad verfliegt das südländische Flair, denn da stellt sich das Schloss in den Blick, das solide anmutet und seine barockhafte Opulenz mit der hohen blumenverzierten Schlossmauer in Pink, Violett, Hellgrün in Schach hält.

Auf der Straßenseite gegenüber der Schlossauffahrt steht eine riesige Statue des Bonifatius, der als Gründungsvater Fuldas gilt, weil er das Kloster hier bauen ließ. Die Statue hält wild entschlossen ein Kreuz in die Höhe und zielt mit diesem direkt auf das Weinfest im Schlosshof, wo es voll ist und eng und eine viel zu laute Band den Teufel, den Bonifatius verscheucht, willkommen heißt.

Auf dem Rückweg geht es über die Friedrichstraße, so heißt die kurze Flaniermeile der Stadt. Hier ist Schwelgen vor verspielten Fassaden. „Fuldaer essen gern. Ein Kümmelbrot, ein Bier und Schwartenmagen haben wir immer im Rucksack“, sagt ein freundlicher Mann. Ich dagegen entdecke auf der Friedrichstraße das Fuldaer Jubiläumseis mit Ricotta und Pistazienpesto, das die Eisdiele namens Bonifatius anlässlich des Stadtjubiläums vor ein paar Jahren kreierte und ernähre mich fortan davon.

„Wo bist du?“ – „Auf Erden.“ – „Tippe auf Spanien oder Portugal. Auf jeden Fall sehr schön“, schreibt der Freund

„Sehen und gesehen werden“, gelte auf der Friedrichstraße, sagt die Stadtführerin am Tag darauf. „Wenn Sie dort sitzen und sich fragen, warum fährt das Auto jetzt zum dritten Mal an uns vorbei, dann liegt es daran, dass Sie es zwei Mal nicht ordentlich beachtet haben.“

Auch die Stadtführung geht vom Dom zur Altstadt, vorbei an Hexenturm und Zunftkirche und noch älteren Häusern bis zur Stadtkirche auf der Friedrichstraße, um bei Bonifatius und am Schloss zu enden. Die Tour gibt einen Rhythmus vor, ein leichtes, kleinstädtisches Pulsieren. „Ist Fulda schön?“, frage ich die Stadtführerin. „Ja.“ Sie schreit es heraus, denn die Zweifel, die in der Frage stecken, sollen sofort verschwinden. Ob sie eine Frau kennt, die Fulda heißt, will ich noch wissen. „Nein“, sagt sie.

Ich lasse mich treiben, gehe in die Altstadt und lande in der Flaniermeile, beim Schloss, beim Dom. Ich gehe zum Klostergarten auf den Frauenberg und lande auf dem Rückweg wieder beim Dom, ich spaziere in den Fuldaauen und komme in der Altstadt heraus, vorbei an einem Straßenfest, hin zur Friedrichstraße, beim Bonifatius gibt es immer noch Jubiläumseis, zwei Kugeln vier Euro, weiter zum Schloss, in den Dahliengarten dahinter, ganz nett, und von dort in die Altstadt, um eine neue Runde zu drehen. Wieder zurück am Dom geht es in die Michaelskirche daneben, „zweitälteste Kirche Deutschlands“ heißt es, die älteste steht in Aachen, und wieder zurück in die Altstadt.

Es ist eine Unendlichkeitsschleife, die ich gehe, auf engem Raum. Fulda ist etwas für Ängstliche, hier geht keiner verloren. Dazu der Blumenschmuck überall. „Die Stadtgärtnerei macht so einen fulminanten Job. Sie bauen auch Gemüse mit in die Rabatten ein. Im Herbst dürfen wir ernten“, hatte die Stadtführerin erzählt.

Neben der Stadtkirche spielt ein begnadeter Straßenmusiker Filmmelodien auf seiner Geige. „Spielen Sie es noch einmal“, bitte ich ihn, denn ich bin in einem Film. Der Titel: „Ist Fulda schön?“

Das Bild einer Stadt formt sich beim Betrachten. Wie auf den Aquarellen vom Fuldaer Dom, die unsere Autorin bei ihrem Besuch gezeichnet hat

Und, ist die Stadt schön? Ja, was jetzt? Ich weiß keine Antwort. Aber der Domplatz im Abendlicht ist die Welt.

Paris ist ein Egoist. Charismatisch, flatterhaft, mitunter verantwortungslos. Ohne ihn kein Trojanisches Pferd. Berlin wiederum ist eine Frau, deren Vorfahren einst als Arbeiter aus der Türkei kamen. Ich weiß das, ich habe mit ihr gesprochen. (siehe taz vom 26. Juni 2003). Wenn es morgens im Radio heißt „Guten Morgen Berlin“, dann fühlt sie sich persönlich gegrüßt, sagte sie.

Und Fulda? Sie muss verblassten Adel im Blut haben, denn sie liebt kitschigen Prunk. Zudem pinkfarbene Geranien, violette Petunien und das hellgrüne Blattwerk der Süßkartoffel.

Im Herzen aber ist sie eine Bitch; sie war raven im Schuppen gegenüber dem Hotel und ließ mich nicht schlafen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen