: Israelis, Jecken und Araber
■ Ein Gespräch mit dem israelischen Schriftsteller Yoram Kaniuk
Yoram Kaniuk gehört zu den meistgelesenen Gegenwartsautoren Israels. 1930 in Tel Aviv geboren, zählt er biographisch zur „Plamach„-Generation, den Kämpfern und Pionieren der Gründerzeit. Literarisch wird er der jüngeren Generation zugerechnet. Nach seiner Verwundung im Unabhängigkeitskrieg 1948 verbrachte er die fünfziger Jahre in New York, wo er zunächst Kunst studierte und durch seinen Freund Charly Parker in die Welt des Jazz eingeführt wurde. Sein erster Roman erschien in New York, wo seine späteren Bücher durch begeisterte Kritiken unter anderem von Susan Sontag schnell Verbreitung fanden. Im deutschsprachigen Raum fanden seine Romane lange Zeit keine Beachtung.1 Anläßlich seines jüngst im Alibaba-Verlag erschienen Buches „Bekenntnisse eines guten Arabers“ unterhielt sich Margret Iversen mit dem Autor, der zu den Mitbegründern eines israelisch-palästinensischen Schriftstellerkomitees gehört, über sein Verhältnis zu den Palästinenser, zur deutschen Kultur und zur Geschichte Isarels.
Margret Iversen: Der Protagonist in Ihrem Roman „Bekenntnisse eines guten Arabers“ ist ein Mann namens Josef, dessen Herkunft halb jüdisch-deutsch und halb arabisch ist. Was veranlaßte Sie dazu, diesen Charakter zu kreieren?
Yoram Kaniuk: Es ist das einzige Buch von mir, das nicht von Israelis und Juden, Deutschen und Juden handelt, sondern eben von einem israelischen Araber. Ich habe seit Jahren politisch mit diesem Problem zu tun. Daher kenne ich viele Araber, sogar einige - wenn auch nicht viele -, die in Mischehen leben. Der Gegenstand packte mich aber wohl deshalb, weil ich mich schon immer - in allen meinen Büchern findet man das - für gespaltene Identitäten interessiert habe. Ich selber fühle, daß ich noch ein anderes Ich in mir trage, auch wenn ich in diesem Lande geboren bin. Dieses andere Ich ist in Galizien geboren, wo mein Vater herkommt. In dem Moment, als ich über einen Araber als Romanfigur nachdachte, wurde es ein halber Araber und ein halber Jude. Ich fühlte einen Schmerz - den Schmerz der „Juden der Juden“. Denn das sind sie hier, unter israelischer Besetzung. Und sie fangen an, Züge der jüdischen Kultur zu übernehmen - diese besondere Art von Humor, von Schmerz und Agonie. Diese ganze Geschichte von einem unterdrückten Volk, das jetzt selber zum Unterdrücker geworden ist - das verfolgte mich.
Zu Beginn des Romans sitzt Josef im „Kassit“, einem traditionsreichen Intellektuellentreff in Tel Aviv, dem er sich später nicht mehr zugehörig fühlen kann. Steht diese Entwicklung für ein Scheitern der Zusammenarbeit zwischen jüdischen und palästinensischen Intellektuellen in Israel?
Josef steht im Konflikt mit sich selber. „Kassit“ ist die Zeit, als er Teil der israelischen Szene ist - er wollte in die Armee, er wollte ein guter Junge und ein guter Israeli sein. Ich kenne viele arabische Intellektuelle, die eine Zeitlang Teil der Tel Aviver Boheme waren und Teil unserer Gesellschaft. Einer von ihnen, der Schriftsteller Mahmud Darwish, der jetzt der Kulturminister der PLO ist und nicht mehr zurück nach Israel kann, lebte lange in Tel Aviv. Hier hatte er seine große Liebe, fühlte sich der Linken zugehörig. Er lebte das Leben eines Bohemiens in Tel Aviv. Viele von ihnen wurden desillusioniert. Sie mußten sich ihrer Tradition gemäß verheiraten und kommen nur noch auf Besuch. Sie haben ein Problem, das wir nicht haben: Die Tradition ist sehr mächtig. 99 Prozent der arabischen Intellektuellen werden noch von ihren Eltern verheiratet. In dem Buch aber ist es anders. Josefs Vater Asuri ist selbst schon ein Rebell gegen die arabische Gesellschaft. Er heiratet eine Jüdin, und Josef ist gespalten - er wird nirgendwo voll akzeptiert.
Das Buch endet pessimistisch. Ein verstärkter religiöser Fanatismus auf beiden Seiten läßt Josefs Einsamkeit auswegloser erscheinen als zu Beginn des Romans.
Als ich den Roman schrieb, 1983, gab es noch keine Intifada. Alles war erst im Beginnen. Aber diese Mischung aus Nationalismus und religiösem Fanatismus, die wir jetzt in Israel, aber auch unter den Palästinensern haben, das ist sehr gefährlich. Überall auf der Welt wird das stärker, aber hier ist die Gefahr größer, weil es mitten in eine Kampfsituation hineinfällt. Deshalb wird es hier fanatischer. Mir macht das Angst, und den Palästinensern, die ich kenne, auch.
Die Tragödie ist: Israel begann aus einer säkularen Bewegung heraus. Der Zionismus war eine Rebellion gegen den jüdischen Glauben, gegen das Ghetto. Und jetzt wird die Westbank von religiösen Fundamentalisten besiedelt, die an den Messias glauben und all diesen Unsinn.
Gibt es Fundamentalisten unter den Schriftstellern?
Nein, überhaupt keine. Das hat mit der jüdischen Religion zu tun. Sie läßt keine Romanschriftsteller zu - wenn du religiös bist, schreibst du heilige Bücher. Die israelische Intelligenz ist nicht nur nicht religiös, sie steht zu 90 Prozent Mitte bis links. Nicht nur Maler, Schriftsteller, Wissenschaftler, sondern eben auch die meisten Kämpfer - die Piloten, die Kommandanten, die Fallschirmspringer - sind zumindest liberal. Das macht es ja so kompliziert in Israel: Israel ist das einzige Land, das vor einer Machtübergreifung durch die Rechten geschützt ist. Es ist ein Horror, was zur Zeit gegenüber den Palästinensern passiert, aber einen Coup wird es nicht geben, weil das Militär gespalten ist, wie auch das ganze Land.
Heute setzen Sie sich aktiv für den Rückzug aus den besetzten Gebieten ein, vor 1948 kämpften Sie im Untergrund gegen die Araber. Ist das ein Widerspruch?
Ich war immer dafür, dieses Land zu teilen. Aber 1948, da waren wir unter britischer Besetzung. Es war die Zeit des Holocaust. Und man darf nicht vergessen - die ganze Welt vergißt das leider -, die arabisch-palästinensische und die israelische nationale Bewegung hatten einen tragischen Beginn: Die palästinensische Nationalbewegung begann mit Husseini, dem Mufti von Jerusalem. Der saß später in Berlin, als ein Anhänger der Nazis. Er war der größe Antisemit.
Mein Gewissen ist klar, was 1948 betrifft: Das war ein Krieg ums Überleben und um die Unabhängigkeit. Ich glaubte an diesen Krieg. Das erzähle ich heute auch meinen arabische Freunden: Ihr habt gelitten, wir haben gelitten. Es gibt schlechte Erinnerungen auf beiden Seiten. Aber wir müssen darüber eine Brücke bauen.
Kommen wir zurück zu Josef. Seine andere Seite ist deutsch. Geht das auf Ihren Vater zurück, der zwar in Galizien geboren wurde, aber in Deutschland studiert hatte?
Nicht direkt. Mein Vater kam schon 1926 nach Tel Aviv. Ab 1933 hat er seine Bekannten aus Heidelberg und Berlin zur Emigration aus Deutschland zu überzeugen versucht. Die kamen dann zu uns, diese „Jecken“ - so nennt man sie noch heute, das kommt von den Jacken, die sie immer trugen Rechtsanwälte, Ärzte, Schriftsteller, Architekten. Diese deutsch-jüdische Emigration nach Israel hat alles verändert. Bis dahin war es ein Pionierland, sehr russisch und polnisch beeinflußt. Die deutschen Juden brachten den öffentlichen Dienst, die Musik, die Kunst, schöne Läden und Fabriken. Tel Aviv war bis dahin eine sandige Stadt, wo die Leute in ihren Pyjamas unter den Balkonen saßen beim Kartenspiel, und dann kamen diese Deutschen mit ihren Anzügen und Rucksäcken. Ich erinnere mich, als die Symphonie zum ersten Mal spielte und alle kamen im Frack!
Diese Deutschen haben sich nie von der Erniedrigung erholt. Franz, der Großvater mütterlicherseits von Josef, ist einer von ihnen. Mein Vater war sehr verbunden mit der deutschen Kultur. Sein Deutsch war so gut, daß Günter Grass, als er ihn 1966 in Tel Aviv traf, sagte, er hätte so ein Deutsch seit seiner Kindheit nicht mehr gehört - so ein schönes Deutsch. Als mein Vater nach einem Herzanfall im Sterben lag, erinnerte er sich nicht mehr an meinen Namen oder an den meiner Schwester. Er wollte zu uns auf Hebräisch sprechen - aber was herauskam, waren Verse auf der Iphigenie. Die Liebe zur deutschen Kultur - das war schon so etwas. Ich erinnere mich an Stefan Zweig während des Krieges. Er saß auf dem Karmelberg bei Haifa in einem Haus, umgeben von deutschen Büchern und deutscher Musik, während italienische Flugzeuge auf deutschen Befehl Haifa bombardierten. Er war im Exil und wartete nur auf das Ende des Krieges, um nach Deutschland zurückzukehren. Einiges davon habe ich in dem Roman Adam resurrected erzählt, der im Herbst im Hanser-Verlag auf Deutsch erscheinen wird.
Ihre Romane sind schon in den siebziger Jahren in fast allen europäischen Sprachen erschienen, nur nicht auf Deutsch. Wir erklären Sie sich das?
Deutsche Verlage wollten meine Bücher nicht, ich habe sie überall angeboten. Ohne Erklärung wurden sie abgelehnt.2 Ich konnte mir sagen, meine Bücher waren nicht gut - aber die Norweger, die Finnen, die Franzosen, Engländer, Italiener übersetzten sie, nur die Deutschen nicht. 1984 kam Die wilde Heimkehr auf Deutsch heraus. Das ärgerte sie nicht so, weil darin nicht soviel über deutsche Juden stand, und das Buch verkaufte sich nicht. Jetzt ändert sich etwas. Für mich ist das sehr wichtig. Ich schreibe in erster Linie für mich selber, aber wenn ich an eine Leserschaft denke, dann zuallererst an eine israelische und dann an eine deutsche Leserschaft. Und da ist für mich der Konflikt und der Schmerz: Einerseits wünsche ich mir, daß meine Bücher in Deutschland Anklang finden, andererseits denke ich: Wenn sie das Buch mögen, ist es vielleicht nicht besonders gut. Denn das Problem ist doch das: Die deutsche Nachkriegsliteratur Grass und Böll zum Beispiel - ist „judenrein“. Sie haben nicht über Juden geschrieben, während wir die ganze Zeit über Deutsche und Juden schreiben - nicht nur ich, wir alle. Ein Viertel der Bevölkerung hier ist physisch mit dem Holocaust verbunden. Und dieser Dialog ist einseitig: Wir sprechen, und da ist keine Antwort. Sie sprechen darüber, was ihnen passiert ist im Krieg. Deshalb - meine Gefühle hinsichtlich der Veröffentlichung meiner Bücher auf Deutsch sind ambivalent.
1 Bisher erschienen auf Deutsch: Wilde Heimkehr, Klett-Cotta 1984 und Bekentnisse eines guten Arabers, Alibaba Verlag 1988
2 Auf Anfrage erklärte Michael Krüger vom Hanser-Verlag, die Romane von Kaniuk seien schon früher über seinen Schreibtisch gekommen, aber damals habe man sich eben noch nicht für Israel interessiert, und außerdem gäbe es so viele Bücher. Jetzt habe er Adam resurrected gelesen, sei begeistert und werde ab Herbst mit der Herausgabe von Kaniuks Romanen beginnen.
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