■ Israel/Palästina: Netanjahu wandelt sich zum Mann der Mitte: Der Bruch mit der Ideologie der Siedler
Ein Mann ist in die politische Mitte Israels gerückt, von dem viele das nicht erwartet hatten. Israels Ministerpräsident Netanjahu hat seine Freunde und Koalitionspartner der rechtsgerichteten Regierung düpiert. Einige werden ihm jetzt wohl die Gefolgschaft aufkündigen, doch die meisten werden schon aus Angst um Amt und Pfründe zähneknirschend zu ihm stehen. Sollte die rechte Regierungskoalition dennoch zerbrechen, so kann Netanjahu nach Umsetzung des nächsten Teilrückzugs in drei Monaten unbedenklich Neuwahlen ausschreiben lassen.
Ins Amt gewählt wurde Netanjahu vor zweieinhalb Jahren mit hauchdünner Mehrheit. Obwohl er damals das Oslo-Abkommen als „Katastrophe“ bezeichnete, versprach er, sich an die Vereinbarungen zu halten, wenn den Israelis von palästinensischer Seite mehr Sicherheit geboten werde. Hätte Netanjahu sich frontal gegen Oslo gestellt, wäre er niemals gewählt worden. Eine knappe Mehrheit hat seit 1993 beständig die Fortsetzung des Friedensprozesses befürwortet. „Frieden und Sicherheit“ lautete Netanjahus Wahlkampfparole. Für viele Israelis hat er dieses Versprechen jetzt wahrgemacht. Kaum verwunderlich, daß knapp 80 Prozent der Israelis dem jüngsten Abkommen zustimmen.
Die innere Zerstrittenheit des Landes, der „Kulturkampf“ zwischen Säkularen und Orthodoxen, ist damit nicht überwunden. Und die Macht der religiösen Rechten und der Ultranationalisten ist alles andere als gebrochen. Aber die Meinungsumfragen zeigen – in der zentralen Frage des Friedens mit den Palästinensern – eine überraschende gesellschaftliche Homogenität. Entsprechendes gilt auch für die jüdischen Organisationen in den USA. Diese Homogenität stärkt die Position Netanjahus und wird die Gegner des Wye-Abkommens zum Nachdenken zwingen.
Die Siedler werfen Netanjahu Tricks und Täuschungen vor, mit denen sie über den Tisch gezogen worden sein wollen. Mag sein. Aber im Gegensatz zu seinem ermordeten Vorgänger Rabin, der die Siedler wiederholt schmähte, hat Netanjahu die Anliegen der Siedler vertreten, schon weil er aus der gleichen revisionistischen Ecke des Zionismus kommt und ein Großteil ihrer Ideologie auch die seine ist. Er hat einen ihrer Führer zu seinem Kabinettschef gemacht, er hat die Siedlungen „erweitern“ lassen wie kaum ein anderer vor ihm. Aber er hat, wenn auch spät, erkannt, daß die partikularen Interessen der Siedler und der religiösen Rechten nicht die Mehrheitsmeinung in Israel sind. Vielleicht entsprang Netanjahus Haltung weniger innerer Überzeugung, vielleicht war es, wie seine Kritiker sagen, blanker Opportunismus.
Keiner hat den Wandel deutlicher gespürt als Jassir Arafat, der Netanjahu im September zu „seinem Partner im Friedensprozeß“ erklärte. Ob Netanjahu dies bleiben wird und sich zugleich als „Ministerpräsident aller Israelis“ darstellen kann, muß er beweisen, wenn es um die Umsetzung der Wye-Vereinbarung geht. Eine wichtige Trumpfkarte hat er aus der Hand gegeben. In Zukunft entscheidet nicht mehr er, ob die Palästinenser genug gegen den Terror tun und somit Land verdienen. Die Überwachung obliegt jetzt den USA. Billige Ausreden werden damit schwieriger. Georg Baltissen
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