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„Israel schafft eine künstliche Grenze“

■ Proteste nach dem Freitagsgebet anläßlich der Ermordung Abu Jihads / Mehrere Verletzte und 32 Festnahmen / Teilnahme an den Demonstrationen ist für Palästinenser aus den besetzten Gebieten praktisch unmöglich

Aus Jerusalem Beate Seel

Das Aufgebot an Polizei ist am heutigen Freitag höher als sonst. An den Zugängen zur Altstadt des überwiegend arabischen Ost–Jerusalem stehen jeweils mehrere Mannschaftswagen, und wer das Damaskus–Tor passieren möchte, muß an einem Spalier von Militärs vorbei, die, recht gelangweilt, mit Maschinengewehr und höchst unsympathisch aussehenden Knüppeln auf den Mäuerchen zur Rechten und Linken sitzen. Innen drängen sich nach zwei Tagen eines fast 100prozentig befolgten palästinensischen Streiks die Menschen zwischen Straßenhändlern und Geschäften vorbei, von Kitsch bis zu Lebensmitteln ist alles im Angebot. Dazwischen immer wieder Gruppen von Touristen, bemüht, im Gewühl ihren Führer nicht zu verlieren. An einer Ecke der Via Dolorosa, der fünften Station des Kreuzwegs Jesu, steht eine Gruppe von Christen mit aufgeschlagenen Bibeln in der Hand und hört andächtig zu, wie der Leiter die passenden Worte verliest. Nur wenige Schritte weiter ändert sich, zunächst kaum merklich, die Atmosphäre. Zwar ziehen auch hier noch Touristen durch die schmale Gasse. Doch vor den Läden stehen auffällige Ansammlungen von Männern und Halbwüchsigen, die aufmerksam in ein und dieselbe Richtung schauen. Unter dem nächsten Torbogen haben Jugendliche ein kleines Feuerchen angezündet, schwarze Rauchschwaden steigen auf. Plötzlich kommt Bewegung in die Menge: Eine Gruppe israelischer Soldaten ist aufgetaucht, alle laufen ein paar Meter zurück in Richtung Damaskus–Tor. In Nullkommanichts sind die Stände auf der Straße und die Auslagen der Geschäfte verschwunden, die Besitzer ziehen die Läden vor den Schaufenstern zu, bleiben abwar tend im halbgeöffneten Eingang stehen. Aber es passiert nichts. Die Soldaten setzen nicht nach, die Jugendlichen verschwinden in der Menge, wo sie sich genauso schnell wieder zusammenfinden können. Schon in der nächsten Seitenstraße ist von dem Zwischenfall nichts zu spüren. Nur die Trupps von Soldaten, die in den Gassen patroullieren oder in Dreiergruppen unter einem Torbogen lümmeln, zeugen von den Veränderungen der letzten vier Monate. Kurz zuvor hatten mehrere hundert Menschen zum Gedenken an Abu Jihad, der vor einer Woche in Tunis ermordet wurde, rund um die Al–Aqsa–Moschee demonstriert. Schwarze Fahnen der Trauer, die Flagge der PLO und Parolen wie „Nein zur Besatzung“ oder „Ja zur PLO“ begleiteten den Zug. Nachdem Demonstranten die ersten Steine in Richtung auf die in einiger Entfernung postierten israelischen Soldaten geworfen hatten, griffen diese laut Augenzeugenberichten mit Tränengas und Gummigeschossen ein, um die Kundgebung aufzulösen. Mehrere Palästinenser wurden verletzt, 32 festgenommen und in einem Bus abtransportiert. Offiziellen Angaben zufolge wurden auch fünf israelische Soldaten verletzt. Die an diesem Freitag zum Gebet versammelte Menge war kleiner als gewöhnlich. Die Teilnahme der Bewohner der Westbank war stark eingeschränkt - praktisch unmöglich. Die Polizei sammelte am Eingang des Moscheenkomplexes ihre Identitätskarten ein und teilte Quittungen aus, die innerhalb von zehn Minuten beim Verlassen des Geländes wieder gegen die Papiere eingetauscht werden konnten - es sei denn, der Inhaber mochte seine Karte lieber auf dem Polizeirevier abholen. Wenig Zeit also, sich an einer Demonstration zu beteiligen. Andere Palästinenser aus den 22 gesperrten Städten und Flüchtlingslagern der Westbank konnten gar nicht erst nach Jerusalem kommen - ebensowenig wie diejenigen, die in diesen Orten wohnen und in Jerusalem arbeiten, am Abend oder zum Wochenende nach Hause fahren können. „Israel versucht, eine künstliche Grenze zu schaffen“, kommentiert ein Palästinenser aus Hebron, der in Ost–Jerusalem arbeitet. „Die Gebiete sind so eng verwoben, daß die unterschiedliche Behandlung von Bewohnern der Westbank und Jerusalems im Alltag für uns viele Probleme schafft.“

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