Israel-Palästina-Konflikt: Proteste gegen Zwangsenteignung
Im palästinensischen Bilin im Westjordanland wehren sich die Bewohner friedlich gegen die Landenteignung durch Israel, das den Sicherheitszaun durchs Dorf baute und sie von den Feldern trennte.
BILIN taz | "One, two, three, four - occupation no more", rufen die gut einhundert Demonstranten, die sich jeden Freitag in dem palästinensischen Grenzort Bilin versammeln. Durch die drückende Mittagshitze zieht die bunte Gruppe langsam den Berg hoch zum Zaun, an dem die Soldaten postiert sind. Ein junger palästinensischer Rollstuhlfahrer neben einer fast kahl geschorenen israelischen Anarchistin, Hippies, ausländische Friedensaktivisten und eine ältere Palästinenserin mit Kopftuch, die gut gelaunt einen Esel hinter sich herzieht.
Die Palästinenser kämpfen um ihr Land. 4.000 Quadratkilometer, gut die Hälfte der Olivenhaine Bilins, liegen hinter den Trennanlagen, die Israel mit dem Argument errichten ließ, dem Terror ein Ende zu machen. Seit gut vier Jahren, als die Entscheidung bekannt wurde, den Sicherheitszaun direkt durch das Dorf zu ziehen, kämpft Bilin gegen die Ungerechtigkeit. Das "Volkskomitee gegen die Mauer" organisiert den Protest, der von Beginn an strikt gewaltlos bleiben sollte.
Oben warten schon die Fotografen, allesamt mit Gasmasken ausgerüstet, und ein arabisches Fernsehteam. Ein junger Palästinenser klettert auf den Zaun und schwingt die Flagge, andere bleiben vorsichtiger einige Dutzend Meter zurück. Die Soldaten sind hinter einer Steinmauer oder im Wachturm und lassen sich nicht blicken.
Ohne jede Vorwarnung oder den Aufruf, die Region zu verlassen, schießen sie Minuten später mehrere Tränengas- und Rauchbomben ab. So gut gezielt, dass es alle trifft, auch die, die weiter zurückgeblieben sind und mit der Hand vor dem Gesicht, mit Tüchern oder hochgezogenen T-Shirts weglaufen, den Berg runter, nur schnell raus aus dem in den Augen und den Atemwegen brennenden Gas.
Die Demonstrationen verlaufen fast immer nach gleichem Schema. Mit Tränengas und manchmal mit stinkenden Wasserwerfern vertreiben die Soldaten die Demonstranten. Mehr als die Hälfte sind Ausländer und israelische Anarchisten, die sich mit dem Kampf der Palästinenser aus dem Dorf solidarisieren. "25 unserer Jugendlichen sind in Haft, 30 bis 40 werden gesucht, da bleiben in so einem kleinen Dorf nicht mehr viel übrig", erklärt Abdallah Abu Rahme, der selbst mehrmals verhaftet wurde, das schräge Zahlenverhältnis.
Abu Rahme gehört zu den Gründern des "Volkskomitees", das sich aufgrund der Erfahrung der blutigen zweiten Intifada entschloss, den Kampf ohne Waffen fortzusetzen. Zweimal hätten sich Soldaten in zivil unter die Demonstranten gemischt und mit Steinen auf ihre Kameraden geworfen, um eine Eskalation zu provozieren. "Unser Kampf zermürbt sie, gerade jetzt, wo das Modell Schule macht." Seit ein paar Monaten versuchen sich zwei weitere Dörfer mit dem Protest ohne Steine.
Die Gewaltlosigkeit ist Voraussetzung für die Rekrutierung israelischer und ausländischer Hilfe und für die Öffentlichkeitsarbeit, vor allem im Internet. Im Dezember wurde das "Volkskomitee" mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille ausgezeichnet.
Trotz der Prämisse, keine Steine auf die Soldaten zu werfen, kommt es von Zeit zu Zeit zu Ausschreitungen. Im April ist ein Palästinenser erschossen worden. "Er ging auf die Soldaten zu und rief, dass sie aufhören sollen zu schießen", erinnert sich Abu Rahme an seinen Freund Bassam. "Zwei Minuten später war er tot." Immer öfter wird Bilin zum Schauplatz nächtlicher Razzien. "Meine 7-jährige Tochter wacht oft auf und fragt, wann sie mich holen kommen."
Die verschärften Militärmaßnahmen sind umso erstaunlicher, da Bilin auf dem Rechtsweg einen Teilerfolg erreicht hat. Im September vor zwei Jahren entschied der Oberste Gerichtshof in Jerusalem über die Verlegung der Sperranlagen, die die Bauern von ihren Feldern trennen.
Die drei Richter waren sich einig, dass der Verlauf des Zauns, der den palästinensischen Anwohnern "großen Schaden zufügt", nicht mit dem Argument der Sicherheit zu begründen sei. 2.000 Quadratkilometer Land hätten laut Gerichtsbeschluss den Bauern von Bilin zurückgegeben werden müssen. Eine Umsetzung der richterlichen Entscheidung ist bis heute nicht in Sicht.
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