Islamistischer Terror in Nigeria: Eine Million Kinder ohne Schulbildung
Seit sechs Jahren terrorisieren die Islamisten von Boko Haram den Norden Nigerias. Unicef warnt vor den Folgen für SchülerInnen in mehreren Ländern.
Dazu gehört, dass aufgrund der Terrorgefahr laut Unicef mehr als 2.000 Bildungseinrichtungen geschlossen wurden. Alleine in Nigeria sollen mehr als 600 Lehrer ermordet worden sein. Betroffen sind aber auch die Grenzregionen in Kamerun, Tschad und Niger, in denen die Terroristen längst Anschläge verüben.
Die Angst vor einem Schulbesuch ist weiterhin groß, denn die Miliz hat in den vergangenen Jahren gezielt Bildungseinrichtungen angegriffen. Trauriger Höhepunkt war der Überfall in Chibok imBundesstaat Borno. Von den 276 Schülerinnen, die im April 2014 entführt wurden, gelten 219 weiter als vermisst. Schon in den Jahren zuvor hatte Boko Haram mehrfach Schulen überfallen und Kinder ermordet. Die Weltöffentlichkeit interessierte sich jedoch wenig dafür.
Dabei ist Nigeria ohnehin schon trauriger Spitzenreiter in den regelmäßig von Unicef veröffentlichten Schulrankings. Es wird geschätzt, dass auch ohne Boko Haram bis zu zehn Millionen Kinder im Grundschulalter dem Unterricht fernbleiben. In ländlichen Regionen müssen sie stattdessen auf den Feldern mithelfen. Mädchen werden früh verheiratet. Laut Girls Not Brides, einer Initiative gegen die Zwangsverheiratung von Minderjährigen, waren noch 2013 17 Prozent aller Mädchen bei ihrer Hochzeit jünger als 15 Jahre.
Nicht alle sind religiöse Fanatiker
Dabei gilt ausgerechnet mangelnde Bildung als eine der Hauptursachen, weshalb die Terrormiliz weiterhin Zulauf erhält. Denn längst nicht alle Anhänger sind religiöse Fanatiker, die die Scharia in aller Härte umsetzen wollen. Viele Mitläufer hoffen auf den sozialen Aufstieg, der in Nigeria immer schwieriger und ohne Schulbildung und entsprechenden sozialen Verbindungen so gut wie unmöglich ist.
„Regierungen müssen Jugendlichen deshalb Angebote machen. Sie müssen in der Lage sein, einen Sinn in ihrem Leben zu sehen“, sagt Christopher Fomunyoh, Direktor für Zentral- und Westafrika im Nationalen Demokratie-Institut (NDI), einem US-amerikanischen Institut. Außerdem müssten jungen Leute, meist sind es Männer, das Gefühl haben: In diesem Land habe ich eine Zukunft.
Das gelte jedoch nicht nur in der Region, in der Boko Haram aktiv ist. „Es ist auch ein Problem am Horn von Afrika sowie im Norden Malis“, so Fomunyoh weiter. Auch dort sind staatliche Strukturen kaum existent.
Bildung ist wichtigste Maßnahme
Für den Rechts- und Politikwissenschaftler aus Kamerun ist Schulbesuch deshalb die wichtigste Maßnahme, Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen. Die Bewohner müssten spüren: Der Staat ist da und kümmert sich. Das dürfte besonders für entlegene Regionen gelten. Am Tschadsee und damit eine Tagesreise von der Hauptstadt Abuja entfernt ist Boko Haram groß geworden. Auch der Norden Malis steht seit vielen Jahren nicht mehr unter Kontrolle der Regierung in Bamako.
Für mutmaßliche Täter ist es leicht, sich unbemerkt in Nachbarländer zurück zu ziehen. Gleichzeitig boomt der Handel mit Waffen und Drogen. Westafrika-Experte Fomunyoh ist daher sicher: Wenn diese Probleme nicht angegangen werden, wird sich auch in Zukunft nichts ändern: „Selbst wenn Boko Haram militärisch besiegt wird, entsteht dann einfach die nächste Rebellengruppe.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“