Islamist nach der Haft: Keine Fesseln für den „Emir“
Der Islamist René Marc S. wurde aus der Haft entlassen, soll aber eng überwacht werden – für die Sicherheitsbehörden am liebsten per elektronischer Fußfessel.
Die Polizei hält ihn nach wie vor für einen der bedrohlichsten Islamisten Deutschlands. Spiegel-Recherchen zufolge befasste sich sogar das „Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum“ von Bund und Ländern mit der Freilassung von S., der als „Emir von Gröpelingen“ bekannt geworden war.
Ein „Gefährder“ ist laut Beschluss der Arbeitsgruppe „Kripo” von 2004: „[...] eine Person, bei der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des § 100a der Strafprozessordnung (StPO), begehen wird.”
Bundesweit sollen die Länder 447 Personen als islamistische Gefährder eingestuft haben.
Die Zahl der Gefährder stieg: Im Januar 2011 waren es noch 131 Menschen.
In Bremen sollen es aktuell 14 Personen sein. Das wäre mit zwei pro 100.000 Einwohner die höchste Gefährder-Dichte Deutschlands, gefolgt von 65 in Berlin (1,9 pro 100.000) und 18 in Hamburg (einer pro 100.000).
Das gesamte deutsche „islamistisch-terroristische“ Personenpotenzial soll etwa 1.100 Personen umfassen.
Sein Fall hat auch deshalb Bedeutung, weil er zu einer Generation von Islamisten gehört, von denen in nächster Zeit noch weitere aus der Haft entlassen werden, etwa Mitglieder der sogenannten Sauerland-Gruppe. Die Sicherheitsbehörden ringen nun um einen Umgang mit diesen „Gefährdern“.
Die Auflagenliste ist land
Eine ganze Liste mit Führungsauflagen hatte die Bundesanwaltschaft für S. beantragt. Nur über einen Teil hat das Münchner Gericht nun entschieden: Nach Angaben seines Anwalts muss René Marc S. sich ab sofort einmal in der Woche bei der Polizei und einem Bewährungshelfer melden. Ohne Genehmigung darf er Bremen maximal drei Tage lang verlassen.
Die Forderungen gingen viel weiter: Täglich sollte er aufs Revier und nur eingeschränkt kommunizieren dürfen: Zu 31 Personen sollte er gar keinen Kontakt aufnehmen, ein Handy nur benutzen, wenn er das Gerät vorher anmeldet. Die Entscheidung über diese Auflagen hat das OLG am Freitag vertagt.
Schon vorher zurückgezogen hatte die Bundesanwaltschaft den Antrag, S. eine elektronische Fußfessel anzulegen. Das wäre nur möglich, wenn er Mitglied einer terroristischen Vereinigung gewesen wäre. S. aber hatte al-Qaida nur unterstützt.
Regeln für Gewalt- und Sexualstraftäter ausgelegt
Daniel Heinke, im Bremer Innenressort für Terrorismusabwehr zuständig, erklärte dem NDR, dass das „bestehende Reglementarium für Gewalt- und Sexualstraftäter ausgelegt“ sei und an den Herausforderungen durch islamistische Gefährder angepasst werden müsse. Über die aktuelle OLG-Entscheidung sagte er zur taz: „Wir werden den Beschluss im Rahmen unserer Zuständigkeiten umsetzten und im Übrigen angepasste Maßnahmen der Sicherheitsbehörden prüfen.“
Doch was heißt das? Eine 24-Stunden-Überwachung ist personell sehr aufwendig. Wohl auch deshalb hatte der Spiegel berichtet, Bremens Innensenator Ulrich Mäurer sei der erste hochrangige SPD-Innenpolitiker, der sich Forderungen der CDU anschließe, eine elektronische Fußfessel für „Gefährder“ einzuführen. „Meines Erachtens sollte der Anwendungsbereich behutsam erweitert werden, um auch islamistische Gefährder zu erfassen“, wurde Mäurer zitiert.
Juristisch allerdings wirft das Fragen auf: „Gefährder“ als solche sind nicht notwendig verurteilte Straftäter, sondern stehen zunächst nur auf einer Verdachtsliste, geführt von Ermittlern, um sie zu beobachten und Anschläge bestenfalls im Vorfeld zu verhindern. Eine präventive Maßnahme also soll als Grundlage für Freiheitsbeschränkungen dienen?
Anwalt sieht keine rechtliche Grundlage
Bremens Innenressort rudert zurück: Mäurer sei vom Spiegel „nicht hundertprozentig“ wiedergegeben worden, erklärt Sprecher Nicolai Roth der taz. Nicht allgemein für „Gefährder“ habe der Senator die Fußfessel gefordert, sondern im Zusammenhang mit der „Führungsaufsicht“ von Islamisten, die aus der Haft entlassen wurden – also in Bezug auf Fälle wie den von René Marc S.
Dessen Bremer Anwalt Helmut Pollähne hält die Diskussion für „eine Frechheit“. Es gebe keine gesetzliche Grundlage, Fußfesseln einzuführen, „zumindest nicht für Menschen, die nie richtig Mitglied in einer Terrororganisation waren“, sagt Pollähne. „Und auch da hat sich der Gesetzgeber sehr schwer getan, das einzuführen.“
Der Jurist kritisiert das Nebeneinander von Justiz und der Polizei: „Egal, was das OLG in München entscheidet, Polizei und Geheimdienste machen ohnehin was sie wollen.“ Sein Mandant würde weiter beschattet und es gebe etwa auch „Gefährderansprachen“. Das sei nicht im Sinne einer Resozialisierung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
„Männer“-Aussage von Angela Merkel
Endlich eine Erklärung für das Scheitern der Ampel
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs