Islamische Theologie an Berliner Uni: „Eine offene Haltung anbieten“
An der Humboldt-Uni wird seit einem Jahr Islamische Theologie gelehrt. Der Islam soll reflektiert und hinterfragt werden, sagt Professorin Tuba Işık.
taz: Frau Işık, vor einem Jahr wurden an der Humboldt-Universität das Berliner Institut für Islamische Theologie (BIT) und das Institut für Katholische Theologie eingerichtet. Warum braucht Berlin überhaupt universitäre Theologie?
Tuba Işık: Diese Frage wird ja immer lauter, warum man in einem säkularen Raum überhaupt noch Religion und Theologie an den Universitäten braucht; insbesondere islamische Theologie. Der Islam hat derzeit ja nicht unbedingt gute Presse und scheint viel mehr Unruhe als Frieden zu stiften. Ich glaube aber, gerade deswegen brauchen wir Theologie an der Universität.
Wie meinen Sie das?
Die Theologie kann mithelfen, die produktiven und humanisierenden Kräfte der Religion auch über sich selbst hinaus fruchtbar und verständlich zu machen. Dafür muss der Islam als Theologie wissenschaftlich zur Disposition gestellt werden. Denn universitäre Theologie muss gewissen wissenschaftlichen Standards gerecht werden. Es geht nicht darum, den Glauben der Studierenden zu vertiefen, sondern den Islam als wissenschaftlichen Gegenstand zu betrachten, ihn zu reflektieren und hinterfragen zu können. Und es geht darum, eine eigene Position zu etablieren, theologisch mündig zu werden.
Theologie als gesunde Verunsicherung also?
Ich denke, dass die universitäre Theologie helfen kann, die sinn- und friedensstiftenden Potenziale der Religion für jeden verständlich zu übersetzen. Sodass sie auch als Angebot für areligiöse Menschen anknüpfungsfähig werden. Als eine weitere Instanz wie andere Instanzen – etwa der Humanismus
Sie vertreten also eine engagierte Wissenschaft.
Theolog*innen dürfen nicht zu Elfenbeintheolog*innen werden, sie sollten menschennah sein. Insbesondere im Islam, der orthopraktisch, also praxisorientiert, ist und den Menschen zum Guten hin berühren möchte. Deshalb ist die islamische Theologie – insbesondere hier, in einer Minderheitenposition – umso stärker angefragt, ihren Beitrag für das gesellschaftliche Miteinander zu liefern.
Wie setzt sich die Studierendenschaft am BIT zusammen?
Als ich im Oktober anfing, war ich sehr überrascht, dass ich nicht nur muslimische Student*innen habe. Die unterschiedlichsten religiösen Ausrichtungen sind dabei und auch areligiöse Student*innen. Frauen sind in der Überzahl, das finde ich auch ganz stark.
Tuba Işık
studierte Rechtswissenschaften und Pädagogik in Göttingen. 2009 hat sie das Aktionsbündnis muslimischer Frauen mitgegründet und war bis 2016 dessen Vorstandsvorsitzende. Sie ist weiterhin aktives Mitglied. 2013 wurde Işık im Fach der Komparativen Theologie promoviert. Zum Wintersemster 2020/21 wurde sie als Professorin für Islamische Religionspädagogik und Praktische Theologie an die HU berufen. Sie ist Mitglied der SPD.
Welche Berufsziele verfolgen diese Studierenden?
Zunächst einmal haben wir einen Bachelor-Studiengang, der eine grundständige theologische Ausbildung bietet. Der andere Studiengang ist konzipiert, um Religionslehrer*innen für die Grundschule auszubilden. Der Religionsunterricht wird hier in Berlin von der Islamischen Föderation Berlin (IFB) angeboten. Studiengänge für weitere Handlungs- und Dienstfelder sind auch angedacht. Die zu entwickeln ist meine Aufgabe, die ich in den kommenden Semestern angehen werde. An vorderster Stelle steht da Seelsorge und soziale Arbeit. Aber auch die Frage, welche Bedarfe es in den muslimischen Gemeinden gibt.
Nun ist Religionsunterricht in Berlin ja ein rein freiwilliges Schulfach...
… in anderen Bundesländern ist das nicht komplett anders. Auch dort muss es ja erst eine gewisse Anzahl von interessierten Schüler*innen geben, damit islamischer Unterricht angeboten werden kann, und dafür müssen auch die Eltern die Initiative ergreifen.
Studierende können in Berlin die volle Lehrer*innenausbildung machen?
Es ist bei islamischen Religionslehrern so – wie auch bei den evangelischen oder katholischen –, dass man konfessionell gebunden sein muss. Man durchläuft sein Studium und anschließend ein Praxissemester. Das können Student*innen auch in Berlin machen, denn das Fach wird hier ja in der Schule angeboten. Wie das Praxissemester und die entsprechende Betreuung in Zukunft für HU-Student*innen aussehen wird und wie die Fächerkombinationen sein können – viele studieren beispielsweise Mathe und Deutsch in Kombination mit Theologie –, all diese praxisbezogenen Fragen werden wir demnächst mit der IFB erarbeiten.
Im Feld der Praktischen Theologie forschen Sie zur Seelsorge in Gefängnissen und Krankenhäusern. Was planen Sie in diesem Bereich?
Es gibt in Deutschland bereits verschiedene Projekte von Vereinen und auch Seelsorge-Pilotstudiengänge. Ich möchte das vor Ort sehr breit aufstellen und ganz intensiv mit zwei Institutionen zusammenarbeiten, zum einen mit der Charité. Die Krankenhäuser sind dankbar, wenn es Fachpersonal gibt, sowohl was die Seelsorge betrifft als auch die Fortbildung des bestehenden Krankenhauspersonals. Bei der Gefängnisseelsorge möchte ich eng mit der Justizverwaltung zusammenarbeiten. Da gibt es bereits Ansätze, die für die konkrete Situation anzupassen wären, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit Psychologen oder Pädagogen an der HU. Eine zentrale Frage ist: Welche Standards sind für die Gefängnisseelsorge zu setzen?
Was meinen Sie mit Standards?
Bei einem Pfarrer oder Priester ist die Schweigepflicht genuin gegeben, wie bei der Beichte. Nun: Haben Muslime auch eine Schweigepflicht, oder wie kann ein muslimischer Seelsorger verpflichtet werden, Interna nicht preiszugeben? Das wäre ein zu regelnder Standard. Ferner reicht ein Theologiestudium nicht aus, um seelsorgerisch tätig werden zu können, denn Theolog*innen sind nicht für solch ein Handlungsfeld gesondert ausgebildet. Wenn die Wiedergewinnung, die Resozialisierung des Menschen, das Ziel sein soll von Gefängnisseelsorge, stellen sich verschiedene Fragen: Was sollte sich beim Menschen ändern? Sind das Haltungen, sind das personale Eigenschaften? Ein Theologiestudium allein kann das nicht leisten.
Das Institut Im Oktober 2019 nahm das Berliner Institut für Islamische Theologie seinen Lehrbetrieb an der HU auf. 146 Studierende sind derzeit eingeschrieben, davon sind etwa 60 Prozent Frauen, was dem HU-Durchschnitt entspricht. Die Gründung islamisch-theologischer Institute geht u. a. auf eine Empfehlung des deutschen Wissenschaftsrats von 2010 zurück. Laut Gesetz bestimmen die Religionsgemeinschaften über Personal und Lehre der Theologien mit.
Die Kritik Das BIT wurde schon in der Planungsphase dafür kritisiert, dass sein Beirat ausschließlich mit konservativen Islamverbänden besetzt wurde. Zwei Verbände sind abgesprungen. Die Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e. V., der Zentralrat der Muslime in Deutschland e. V. – Landesverband Berlin und die Islamische Föderation in Berlin e. V. sitzen jetzt im Beirat. Vier von sechs vorgesehenen Professuren sind besetzt, davon eine mit einer trans Person. (taz)
Die Einrichtung des BIT stand unter anderem in der Kritik dafür, dass die im Beirat vertretenden Islamverbände Homosexualität ablehnen. Wie gehen Sie in ihrer Arbeit damit um?
Die Gründungsdiskurse kenne ich nicht, da war ich im Ausland. Geschlechterfragen stehen selbstverständlich an. Auch deswegen, weil eine Orientierung an den Schüler*innen bedeutet, sie ernst zu nehmen, auch in ihren Selbstverständnissen. Da geht es nicht nur um Religiosität, sondern auch um identitäre Fragen. Geschlecht ist immer Teil des islamischen Religionsunterrichts und damit auch Teil der Ausbildung von Lehrkräften. In Paderborn habe ich viele Veranstaltungen mit meinen Kolleginnen aus der Philosophie und der katholischen Theologie zum Thema Sexualität und Geschlechtergerechtigkeit in den Religionen angeboten. Ich bin auch ehrenamtlich tätig gewesen in diesem Kontext. Es ist ein wichtiges Anliegen für mich, da Entspannung zu schaffen. Das sind Fragen, die den heutigen Menschen, auch den heutigen jungen muslimischen Menschen ungemein bewegen. Die Theologie darf sich da nicht drücken, vor keiner Frage. Antworten müssen wir gemeinsam erarbeiten.
Was meinen Sie mit Entspannung schaffen?
Wir können in der wissenschaftlichen Theologie die unterschiedlichsten Positionen aufzeigen, die es bezüglich Homosexualität in der islamischen Tradition gab. Ein Blick in die Tradition zeigt, dass der Umgang mit Homosexualität grundsätzlich entspannter war als gegenwärtig. Heute kann sich die Meinungsbildung in eine bestimmte Richtung entwickelt haben, aber auch diese Entwicklung war verbunden mit Diskursen. An der Universität haben wir die Chance, auf die einst ambigue Kultur des Islam hinzuweisen und unter den jetzigen Gegebenheiten neu zu diskutieren. Wir können unter der Studentenschaft Offenheit stiften, eine offene Haltung anbieten. Eine Tabuhaltung hilft niemandem.
Wie müssen wir uns den Lehrbetrieb unter den Corona-Einschränkungen vorstellen?
Ich lerne viel zusammen mit Student*innen und entwickle meine Gedanken mit ihnen. Die physische Nähe ist sehr wichtig, weil da viel Energie fließt, und das fehlt mir. Ich finde es ganz seltsam, digital zu unterrichten. Immerhin konnte ich bei einem Campus-Spaziergang mit Abstand und Mundschutz ein paar Student*innen aus meiner Gruppe kennenlernen.
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