: Irritierende Gelassenheit
Suche, Abenteuer und Farce zugleich: Geduldige Zuschauer lässt Großregisseur Jacques Rivette in seinem neuen Film „Va Savoir“ schwerelos über ein Pariser Gesellschaftspanorama schweben
Es gibt Regeln, gegen die nur die ganz Großen ungestraft verstossen dürfen. So beginnt man einen Film, ein Bühnenstück oder einen Roman möglichst verführerisch: man versucht den Kulturkonsumenten in die Geschichte zu ziehen, zeigt was man kann und verspricht Großes.
Jacques Rivette beginnt seinen neuen Film „Va Savoir“ dagegen mit einer Zumutung. Da wird mitten in die Ausführung eines obskuren Theaterstücks (auf italienisch und ohne Untertitel) gesprungen, das nur die ganz Kultivierten (und wer ist das schon?) als „Come tu mi vuoi“ von Pirandello erkennen können. Dann folgt man einer der Schauspielerinnen von der Bühne, und sie bleibt irritierend theatralisch, indem sie ihren inneren Monolog als Selbstgespräch vor sich hin redet. Von einer ordentlichen Exposition kann da keine Rede sein, sperriger kann man einen Film kaum beginnen, und man bleibt eigentlich nur im Kino sitzen, weil es ja immerhin ein Film von Rivette ist – der verdient etwas Geduld.
Und diese wird dann auch wunderbar belohnt, denn wenn wir uns nach einem etwa 20 Minuten langen schweren Aufstieg auf der Höhe der Geschichte befindet, lässt Rivette uns für den Rest des Films schwerelos über einem Pariser Gesellschaftpanorama schweben und seine immerhin 154 Minuten erscheinen einem am Schluß als viel zu kurz.
Ganz beiläufig, und dabei so virtuos, das es schon wieder einfach und natürlich wirkt, zieht Rivette uns da in einen Beziehungs-Reigen, in eine romantische Komödie, in die Geschichte einer Theatertruppe, eine literarische Suche, eine Abenteuergeschichte, eine Farce. All das ist „Va Savoir“ und es endet in dem absoluten Gegenteil des Beginns: als Boulevard mit einem Happyend auf offener Bühne.
Die Schauspielerin Camille kommt mit der italienischen Theatertruppe ihres Freundes Ugo nach Paris. Während der hier ein verschollenes Werk des italienischen Bühnenautoren Carlo Goldoni aus dem 18. Jahrhundert sucht, will sie nach drei Jahren ihren ehemaligen Liebhaber Pierre wiedersehen. Aus diesen beiden Strängen entwickelt sich bald ein hochkomplexes Geflecht von Nebenerzählungen, die schließlich zu einer abenteuerlichen Flucht über die Dächer von Paris, einem hochkomischen Duell mit Wodkaflaschen, Betrachtungen über den „voralpinen Philosophen“ Heidegger und vielen anderen Episoden führen.
Camilles Exfreund Pierre ist ein Akademiker, der sich auf die deutschen Philosophen spezialisiert hat, und so hat man als Deutscher bei der Originalfassung noch den Bonus, Franzosen auf deutsch radebrechen zu hören. „Gelassenheit“ hört sich etwa sehr verwegen an, und es ist sicher kein Zufall, dass Rivette gerade dieses Wort herausstellt, denn gelassen wirkt nun auch sein Regiestil. Früher waren seine Filme überlang (Out 1 dauerte 760 Minuten), voll von literarischen Anspielungen, verwirrenden Handlungsverläufen und kaum entzifferbaren Anspielungen. Das ist auch in „Va Savoir“ noch zu erkennen, wird aber souverän in Leichtigkeit aufgehoben. Alles in „Va Savoir“ wirkt wie improvisiert, gerade passiert, frisch und lebendig.
Wilfried Hippen
„Va Savoir“ läuft in der Originalfassung mit Untertiteln von heute bis Samstag um 19.00 sowie Sonntag und Montag um 17.45 Uhr im Kino 46
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