: Irrfahrt in rechten Gewässern
Ein neues Buch über die Flüchtlinge der St. Louis funktionalisiert sie für revisionistische Thesen ■ Von Theo Bruns
Neunhundert jüdische Flüchtlinge verlassen am 13. Mai 1939 an Bord des HAPAG-Schiffes St. Louis den Hamburger Hafen Richtung Kuba, wo sie auf Zuflucht vor der Nazi-Barbarei hoffen. Ihre Reise wird zu einer Irrfahrt. In Havanna angekommen, müssen sie erfahren, dass der kubanische Präsident Laredo Bru ihre Visa nicht anerkennt. Tagelange Verhandlungen führen zu keinem Ergebnis. Der deutsche Kapitän versucht eine Landung an der Küste von Florida, aber auch die US-amerikanischen Behörden sind nicht bereit, die Flüchtlinge aufzunehmen.
Die Reederei erteilt den Befehl, nach Deutschland zurückzukehren. An Bord spielen sich erschütternde Szenen ab. Nur den Bemühungen der jüdischen Hilfsorganisation Joint und dem mutigen Verhalten des Kapitäns Gustav Schröder, der die Rückreise immer wieder verzögert, ist es schließlich zu verdanken, dass die Flüchtlinge im letzten Augenblick Asyl in Belgien, Holland, Frankreich und England erhalten und in Antwerpen von Bord gehen können. Eine trügerische Sicherheit: Kurze Zeit später überfällt NS-Deutschland Holland und Frankreich. Fast die Hälfte der ehemaligen St.-Louis-Passagiere kommt in den Konzentrationslagern von Auschwitz, Sobibor und Bergen-Belsen ums Leben.
Über die bewegende Geschichte sind zwei Filme gedreht und zwei Bücher geschrieben worden. Das trotz einiger Fehler im Detail immer noch lesenswerte Buch von Hans Herlin Die Tragödie der St. Louis wurde jetzt im Herbig Verlag neu aufgelegt. Die bisher präziseste Arbeit von Thomas/Morgan-Witts Das Schiff der Verdammten ist leider vergriffen. Die Ankündigung eines neuen Werkes unter dem Titel Das St.-Louis-Drama ließ nun eine Studie erhoffen, die den neuesten Forschungsstand berücksichtigt.
Doch schon der Verlagsname Sto-cker lässt aufhorchen: Rudolf Heß: „Ich bereue nichts“ lautet einer der Verlagstitel; „Vom schwarzen Block zur Lichterkette“ der Untertitel eines Buches über das „antifaschistische Milieu“. Der Autor des St. Louis-Buchs selbst, Georg Mautner Markhof, ein österreichischer Unternehmer und Hobbyhistoriker, war zeitweise Wirtschaftssprecher der FPÖ und einer der Stellvertreter Haiders. Die Lektüre des Buches erbringt sachlich wenig Neues, es ist aber durchgängig von einem Zungenschlag geprägt, der unschwer als Vorbote revisionistischer Äußerungen zu erkennen ist.
Mautner Markhof erklärt, es gehe ihm darum, „Pauschalurteile über die deutsche Bevölkerung zurückzuweisen“. Konsequent wird insbesondere „der vorbildliche Service“ während der „bezaubernden Seereise“ über den grünen Klee gelobt, während der Autor nicht müde wird, die klägliche und abstoßende Haltung Kubas und insbesondere der USA zu geißeln, die sich ansonsten gerne als „Moralapostel“ präsentieren würden. Erstaunt erfahren wir weiterhin, dass der in Deutschland „zweifellos vorhandene Antisemitismus zu Beginn der dreißiger Jahre gemäßigter als in den meisten anderen Ländern gewesen“ sei.
Kürzlich wurde das Buch in Hamburg vorgestellt. Der Verleger Stocker Jr. versichert, dass es „nicht um die hundertste Detailgeschichte jüdischen Schicksals“ gehe, sondern darum, „Klischees zu brechen“. Ort der Veranstaltung ist ein Schifffahrtsmuseum an der Elbchaussee. Nirgends sei eine Buchvorstellung „so verteidi-gungsfähig wir hier“, betonte Hausherr Peter Tamm bei der Präsentation angesichts der Mörser und Kanonen, die im Garten dräuend auf die Elbe gerichtet sind.
Bei dem militärbegeisterten Redner handelt es sich um den langjährigen Chef des Springerkonzerns, der in der Begrüßungsansprache sein enges Verhältnis zu Österreich herausstreicht. Schließlich habe man es dem österreichischen Einsatz in der Schlacht von Helgoland anno 1864 zu verdanken, dass Altona nicht mehr dänisch sei. „Dafür heute noch ein Dankeschön!“ Die so begründete Achse Hamburg-Wien hat unter den aktuellen politischen Vorzeichen durchaus Chancen, Teil der hanseatischen Leitkultur zu werden. Dann allerdings stehen ruppige Zeiten ins Haus – nicht nur für die Dänen.
viel lesenwerter: Hans Herlin, Die Tragödie der St. Louis, Herbig Verlag, 224 Seiten, 39,90 Mark
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